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Interview

Deutsche Einheit
Zwei Wiehler diskutieren über die Partnerstadt in Sachsen

Lesezeit 6 Minuten
Eine Frau und ein Mann an zwei Bronze-Figuren.

„Kommunikation“ heißt die Skulptur auf dem Bielsteiner Brindöpke-Platz. Kathrin Dudak und Uwe Müller sprechen davor über Crimmitschau.

Auch in Wiehls sächsischer Partnerstadt hat die AfD abgeräumt. Wie denken zwei Wiehler darüber, die eine besondere Verbindung zu Crimmitschau haben? Ein Gespräch.

Der Tag der Deutschen Einheit wird begangen in Zeiten, in denen das wechselseitige Unverständnis mal wieder besonders groß ist. Die Wahlerfolge der AfD in den östlichen Bundesländern machen viele Westdeutsche ratlos. Vielleicht können zwei Oberberger weiterhelfen, deren Lebensweg mit dem Osten besonders verbunden ist. Die Lehrerin Kathrin Dudak (61) und der pensionierte Verwaltungsbeamte Uwe Müller (65) sind auf verschiedene Weise Grenzgänger zwischen Wiehl und der sächsischen Partnerstadt Crimmitschau. Reiner Thies hörte ihnen zu.

Was verbindet Sie als Wiehler mit Crimmitschau?

Katrin Dudak: Ich komme von dort. Der Liebe wegen bin ich 1992 nach Wiehl umgezogen. Seit 2007 arbeite ich als Lehrerin in der Grundschule an der Gummersbacher Körnerstraße. Dass ich nicht früher eine Stelle bekommen habe, liegt an meiner Ausbildung in der DDR. Zunächst wurde mir mitgeteilt, ich sei für den Beruf „nicht tragbar“. Solche verletzenden Formulierungen haben die Leute aus dem Osten nach der Wende oft gehört. Meinem Vater, der im Uranbergbau gearbeitet hat, berichtete mir, dass ein „Schnösel aus dem Westen“ ihm auf dem Arbeitsamt gesagt habe, „die Ostdeutschen müssten erstmal arbeiten lernen“.

Uwe Müller: Ich stamme aus Oberwiehl und habe 1979 nach dem Abitur eine Ausbildung bei der Stadt Wiehl begonnen. Meine Laufbahn hat mich in das Sozialamt und dann ins Hauptamt geführt. Als die Stadt auf Anregung von Reinhold Ley wegen der Städtepartnerschaft ihre Fühler nach Crimmitschau ausgestreckt hat, bin ich dorthin gefahren und habe übrigens ebenfalls Arroganz erlebt, nämlich bei der Abfertigung durch die DDR-Grenzbeamten. In Crimmitschau sind wir aber sehr freundlich empfangen worden. Die Aufbruchstimmung fühlte sich an wie in meiner Jugend in den 60er Jahren. Ich habe die Chancen gesehen und 1992 schließlich das Angebot angenommen, die Leitung des Hauptamts im Crimmitschauer Rathaus anzutreten. 2022 bin ich in den Ruhestand gewechselt und zurück nach Wiehl gekommen.

Warum?

Müller: Mich plagte das Heimweh. In Crimmitschau hatte sich die Stimmung verändert. Mein persönliches Empfinden ist: Die Leute waren unzufriedener geworden. Wer mehr hatte als andere, wurde kritisch beäugt. In der Corona-Zeit wurde es dann ganz schlimm. Die Vorschriften wurden oft nicht respektiert und waren bald nur noch Anlass für Zorn und dafür, sich von der Stadtverwaltung und den Entscheidern bei Land und Bund als „denen da oben“ zu distanzieren. Bis in die jüngste Zeit trafen sich bis zu 150 Leute zu den systemkritischen „Montagsdemonstrationen“. Und in diese Stimmung ist die AfD reingestoßen. Der Einfluss der Rechten wurde zu lange verharmlost.

Dudak: Dabei stammt deren Spitzenpersonal wie Björn Höcke auch aus dem Westen. Schon lange vor Corona haben sich die Rechten um die jungen Leute gekümmert und ein Angebot geschaffen, nachdem die Jugendclubs platt gemacht worden waren. Diese Kinder sind erwachsen. Der Staat hat weggeguckt und wundert sich jetzt, dass es explodiert. Diese Generation hat damals die Erfahrung gemacht, dass alles, was vor der Wende richtig und gut war, sich als zweifelhaft erwiesen hat. So etwas prägt.

Die Wahlergebnisse haben Sie also nicht überrascht.

Müller: Die AfD schaut den Menschen aufs Maul. Deren Personal wird gar nicht als rechtsextrem wahrgenommen. Niemand kommt auf den Gedanken, die Abgeordneten der politischen Mitte und andere Vertreter des Staats mit seinen Sorgen und Nöten anzusprechen. Nöö, da wird lieber gemeckert als einen Weg zu suchen, etwas zu verändern. Man wärmt sich an dem Gefühl, dass alles schlechter wird. Die Leute, denen man in der Stadt begegnet, schauen missmutig auf den Boden.

Dudak: Die Leute sind mit der aktuellen Situation unzufrieden, auch in meiner Familie. In Diskussionen werden häufig objektive Argumente nicht mehr wahrgenommen. Informationen bekommen viele nur noch aus zweifelhaften Quellen in Pressemitteilungen und Internet.

Müller: Ich habe von Paaren gehört, die sich nur wegen des Streits über Corona und den Ukraine-Krieg getrennt haben.

Dudak: Die AfD appelliert an das Heimatgefühl und verspricht den Menschen eine Wirklichkeit ohne Frauen mit Kopftuch. Die Leute fürchten, dass sie verlieren, was sie haben, wenn die Zuwanderer nicht nach Hause geschickt werden. Sie haben das Gefühl, dass die mittelständischen Firmen im Osten unter dem Ukrainekrieg mehr leiden als die im Westen. In den Kohleregionen fühlen sie sich von den Veränderungen in der Energiepolitik überfordert.

Müller: Diese Haltung ist kaum zu reparieren. Ich glaube, die Leute müssen ihre Erfahrungen mit der AfD in der Regierung machen und erfahren, dass es nicht funktioniert.

Was unterscheidet die Zivilgesellschaft in Crimmitschau von der in Wiehl?

Dudak: Auch in Crimmitschau engagieren sich die Menschen im Ehrenamt, beispielsweise beim Eishockey- und Tennisverein. Leider weniger in der Städtepartnerschaft, aber das ist hier in Wiehl, wo ich selbst mitarbeite, auch schwierig. Ich finde nicht, dass die Menschen im Osten lethargischer sind. Sie engagieren sich lieber in privaten Bereichen und nicht im politischen Tagesgeschehen. Es gibt ein großes Misstrauen. Man erkennt nicht, dass die Politik für viele Krisen gar nichts kann.

Müller: Und wenn etwas besser wird, etwa die Angleichung der Renten, wird es oft nicht honoriert.

Droht uns im Westen eine ähnliche Entwicklung?

Dudak: Wenn ich an einige Diskussionen mit Scjhülereltern und im Freundes- und Bekanntenkreis denke, war das in der Corona-Zeit schon nicht viel anders. Die Auseinandersetzung ist in den Chatgruppen unglaublich schnell eskaliert. Die Wahlergebnisse in einigen Waldbröler Bezirken geben mir zu denken. Auch in Wiehl hat es Corona-Querdenker-Umzüge gegeben, ähnlich wie im Osten. Die Krisen der Welt erreichen uns hier ja genauso. Ich würde mich nicht über den Osten erheben, sondern die nächsten Wahlen in den westdeutschen Ländern erst einmal abwarten.

Müller: Ich bin selbst in einfachen Verhältnissen aufgewachsen und immer dankbar für den wachsenden Wohlstand gewesen. Diese Dankbarkeit vermisse ich im Osten. Im Westen gibt es zudem ein gewisses Korrektiv. Im Frühjahr sind hier tausende Menschen gegen Rechts auf die Straße gegangen, im Osten nur in geringerer Zahl.

Welche Lehren kann man aus der Situation in Crimmitschau ziehen?

Dudak: Wir müssen die zukünftige gesellschaftliche Entwicklung beachten, gegebenenfalls Alternativen anbieten. Wir dürfen die Menschen nicht verurteilen, sondern müssen ihre Sorgen ernst nehmen und gemeinsam nach sinnvollen Lösungen suchen.

Müller: Ich besuche als Zuhörer die Sitzungen der Wiehler Kommunalpolitik und bin verwundert, dass ich meist der einzige bin. Die Politiker in Kommunen, Land und Bund müssen mehr auf die Bürger zugehen, vielleicht Sprechstunden vor Ort anbieten.

Dudak: Was sie in Crimmitschau gut können, ist Feste organisieren, auch für die Städtepartnerschaft.

Müller: Das ehrenamtliche Engagement hatte in den letzten Jahren leider nachgelassen. Vieles geht von der Stadtverwaltung aus.

Dudak: Der Ossi ist es eben gewohnt, dass ihm jemand sagt, wo es langgeht. Ich darf das sagen! (lacht)