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InklusionIn Wiehl gibt es nun Experten für Leichte Sprache

Lesezeit 4 Minuten
An einem langen Tisch sitzen junge Frauen und Männer.

Inklusionsexpertin Maria Lamsfuß (l.) und Kursleiterin Anna Schnau (hinten) sind stolz auf die frisch zertifizierten Prüfer.

In Wiehl werden Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zu Prüfern in Leichter Sprache ausgebildet. Sie wollen auch Botschafter sein.

Man muss kein geistiges Handicap haben, um an Behördenbriefen zu scheitern. Oder an Handyverträgen, Bedienungsanleitungen oder Beipackzetteln. Für die zwölf Teilnehmer des Volkshochschulkurses im Bielsteiner Burghaus gilt das erst recht. Die meisten von ihnen arbeiten in einer der BWO-Werkstätten und haben eine geistige Beeinträchtigung. Aber nun haben sie auch eine besondere Befähigung. Und zwar mit Brief und Siegel vom „Netzwerk Leichte Sprache“.

In dem viertägigen Kurs sind sie zu zertifizierten Prüferinnen und Prüfern ausgebildet worden. Sie sind Experten in einem Regelwerk, das gewährleisten soll, dass Texte möglichst verständlich sind. Für die Leichte Sprache gilt beispielsweise: Die Sätze sind kurz. Jeder Satz enthält nur eine Aussage. Jeder Satz ist aktiv. Nicht vorkommen sollen Synonyme und Zahlen. Bilder helfen, einen Text besser zu verstehen.

Sonst Redakteur beim Wiehler BWO-Rundblick

Der frisch ausgebildete Sprachprüfer Alex Brauer berichtet: „Wir haben im Kurs die Regeln gelernt, Geschichten gelesen und geprüft. Schwierige Wörter haben wir angestrichen.“ Alex arbeitet sonst auch für das BWO-Magazin „Rundblick“ und gehört zu den eloquenteren jungen Leuten am Tisch. Er merkt an, dass auch Zuwanderer oder Leute, die schlecht sehen, von der Leichten Sprache profitieren, und nicht nur welche mit Lernschwäche.

Lernschwach heißt übrigens nicht „lernunwillig“, macht Maria Lamsfuß deutlich. Für die Projektleiterin der Inklusionsinitiative „Wiehl enthindert“ war es beeindruckend zu erleben, wie groß die Freude der Kursteilnehmer am Lernen war. Anna Schnau stimmt zu. Sie ist ausgebildete Übersetzerin für Leichte Sprache und hat den Kurs geleitet. „Mit dem Verstehen geht eine große Erleichterung einher, es vollzieht sich eine geradezu körperliche Veränderung. Die Menschen erleben Selbstständigkeit, das macht so einen Unterschied!“

Leichte Sprache steht bei„ Wiehl enthindert“ nicht zufällig ganz am Anfang

Die zu prüfenden Texte wurden zuvor von anderen Experten übertragen. Sechs Wochen dauert die Ausbildung zum Übersetzer für Leichte Sprache. „Das kann jeder lernen, es ist keine Atomphysik“, sagt Schnau, die früher als Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der NRW-Lebenshilfe gearbeitet hat. Sie weiß: „Es kitzelt unser Ego, uns kompliziert auszudrücken.“ Um eine Information verständlich zu vermitteln, müsse man sich aber fragen, welche Details wirklich wichtig sind. Reicht es nicht, wenn aus der „Allee“ eine „Straße“ wird? Kursteilnehmer Alex Brauer merkt nüchtern an: „Es muss nicht immer wie bei Goethe und Schiller sein.“

Das will sich auch Lars Nelson vornehmen, der bei der VHS für Gesundheitsbildung zuständig ist. „Da gibt es bei uns selbst noch Nachholbedarf.“ Projektleiterin Maria Lamsfuß stellt die Leichte Sprache ganz an den Anfang von „Wiehl enthindert“, um die Zielgruppe einzubinden. „Es gilt der Grundsatz: Nicht über uns ohne uns. Wir kommen nur zu guten Lösungen, wenn wir unterschiedliche Perspektiven einbeziehen.“

„Man kann alles in Leichte Sprache übersetzen“, versichert die Expertin Anna Schnau. Und sei es nur zur Ergänzung eines juristisch wasserdichten Originaldokuments, das unterschrieben werden muss. Die UN-Teilhabe-Konvention sorge für einen Rechtsanspruch. Es wäre aber schon viel gewonnen, wenn alle Briefe, die sich an die Zielgruppe wenden, in Leichter Sprache formuliert wären.

Die Teilnehmer des VHS-Kurses sollen nicht zuletzt Botschafter dieses Anliegens sein. Sarah Weber sagt kämpferisch: „Wenn keiner was macht, ändert sich nichts.“ Fabian Schmidt versichert: „Wir wollen zeigen, wie wichtig das ist. Dafür muss man einen Brief auch mal an das Amt zurückschicken.“ Marc Wischnewski hat das schon mal bei seinem Geldinstitut gemacht. „Ich habe aber bis heute keine Antwort erhalten.“


„Wiehl enthindert“

Die Stadt Wiehl zählt zu den vier Modellkommunen des NRW-Programms „Inklusion vor Ort“. Jede Kommune hat eine gemeinnützige Organisation als Partner. In Wiehl ist es der Verein „Lebenspfade“, der unter anderem die BWO-Werkstätten betreibt. Mit dem Projekt „Wiehl enthindert“ hat sich die Stadt neben Mönchengladbach, Oberhausen und Warendorf gegen 37 weitere Bewerbungen durchgesetzt. Ziel ist, die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen voranzutreiben. Das Projekt wird über fünf Jahre mit einer Million Euro gefördert.

Den Text dieses Kastens hat Maria Lamsfuß übersetzt (siehe Bild unten) und von der Gruppe prüfen lassen.

Ein Text in Leichter Sprache über das Projekt „Wiehl enthindert“.

So sieht ein Text in Leichter Sprache aus.