Kontaktstelle für psychisch KrankeWaldbröler Angebot hat wieder geöffnet
- Nach monatelanger Zwangspause wegen der Coronavirus-Pandemie hat das sozialpsychiatrische Kontaktzentrum in Waldbröl wieder geöffnet.
- Allerdings dürfen wegen der Abstandsregeln längst nicht so viele Hilfsbedürftige in die Kontaktstelle kommen wie früher.
- Dennoch ist die Einrichtung für Menschen, die an psychischen Erkrankungen leiden, enorm wichtig.
Waldbröl – Er sagt, er sei gestrauchelt. Und das Leben von der Schiene geraten. Peter (Name geändert) spricht ruhig. Er wählt klare Worte, jedes davon mit Bedacht. Denn der 62-Jährige aus Waldbröl beschreibt keine Entgleisung, die ihn etwa als jugendlichen Lümmel in Konflikt mit dem Gesetz gebracht hätte.
Er spricht von Jahren voller Leid und Leiden, von Psychosen und Depressionen, von Angstzuständen und einer Fantasie, die sich nicht mehr einfangen ließ: „Stand der Henkel der Kaffeetasse nach rechts, habe ich mich gefragt, was mir dies sagen soll.“
Peter sitzt am großen Tisch im Gemeinschaftsraum im Sozialpsychiatrischen Kontaktzentrum der Oberbergischen Gesellschaft zur Hilfe für psychisch Behinderte (OBG). An der Waldbröler Kaiserstraße öffnen sich nach der Corona-Zwangspause nun wieder die Türen für Menschen wie Peter. Dienstags gibt es ein gemeinsames Frühstück, mittwochs ein Mittagessen.
Wer den Anruf vergisst, der darf nicht hinein
„Leider noch immer nicht für alle“, bedauert dort Elisabeth Ernst, OBG-Teamleiterin für Ambulante Dienste in Oberbergs Süden. „Zurzeit betreuen wir insgesamt 33 Menschen mit einer psychischen Erkrankung, ihre Diagnosen reichen von der Depression über Angstzustände bis hin zu Persönlichkeitsstörungen“, schildert die 34 Jahre alte Sozialpädagogin.
Sie und ihre acht Kollegen gehen mit bei Einkäufen, geben Begleitung beim Arztbesuch und Ämtergängen. Und sie bieten eben offene Treffen an, die Teil der ambulanten Hilfe sind. Und kommen in gewöhnlichen Zeiten 15 bis 20 Oberberger, so dürfen derzeit nur jeweils sechs ins Haus, damit der Abstand am großen Tisch bei den Mahlzeiten gewahrt werden kann.
Einrichtung besteht seit den 1980er Jahren
Das Sozialpsychiatrische Kontaktzentrum (SPZ) der Oberbergischen Gesellschaft zur Hilfe für psychisch Behinderte gibt es Waldbröl seit den 1980er Jahren. Zuständig ist es nicht nur für die Marktstadt, sondern auch für Nümbrecht, Morsbach, Reichshof und Wiehl. Zwei weitere Anlaufstellen sind in Gummersbach, Kontakt unter (02261) 81 68 04 , und in Wipperfürth, (02267) 87 22 11.
Errichtet wurde die Waldbröler Villa in den 1920er Jahren, lange Zeit war dort eine Außenstelle des Kreisgesundheitsamtes untergebracht. Deren Räume im Erdgeschoss hat die Kontaktstelle nach der Schließung im Jahr 2009 übernommen.
Die Waldbröler Kontaktstelle an der Kaiserstraße 82 ist zu erreichen unter (02291) 36 63. (höh)
Eine Anmeldung ist Pflicht, wer das vergisst, muss draußen bleiben. „Wir versuchen stets, diese Termine so fair wie möglich zu verteilen“, erklärt Elisabeth Ernst.
Jüngst hat Peter den Anruf vergessen und das Treffen verpasst. Für ihn ist das eine Katastrophe. „Das ist hier wie ein Hort, ein Hafen, ein Platz, den ich ohne Angst betreten kann“, sagt er. Für acht Wochen musste er darauf ganz verzichten, im März musste sich die Einrichtung Corona beugen und schließen.
Auch für Sylvia war das nahezu unerträglich. Sie ist 71 Jahre alt, im November hatte sie einen Unfall. „Und danach bin ich durchgedreht.“ Bei einem Sturz sei im Kopf etwas kaputtgegangen, danach kamen die Depressionen. Erst war sie in der Klinik, danach empfahl man ihr die Sozialpsychiatrische Kontaktstelle.
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„Hier erfahre ich so viel Liebe, Schutz und Geborgenheit“, betont Sylvia. Denkt sie an die Adventsfeier, bekommt sie prompt Gänsehaut. Denn Corona hat auch die Seniorin aus der Bahn geworfen.
„Ich bin so glücklich, dass ich nun endlich wieder herkommen darf“, schwärmt Sylvia von der Kontaktstelle und der herzlichen Gesellschaft mit den anderen dort. Und überhaupt: „Seitdem ich die Treffen hier habe, bin ich ein neuer Mensch, nicht wiederzuerkennen.“
Struktur in einem schwierigen Alltag
Für Menschen wie sie und Peter sind diese Treffen etwas, das Struktur im schwierigen Alltag bietet und Motivation schafft. „Da depressive Menschen ohnehin die Neigung haben, sich zurückzuziehen, wirkt Corona hier als Verstärker und andererseits als Legitimation, sich zurückziehen zu dürfen – was alles andere als förderlich ist“, erklärt Dr. Bodo Karsten Unkelbach, Klinikdirektor und Chefarzt am Standort Marienheide des Klinikums Oberberg, dem psychiatrischen Zweig des Krankenhauses. „Corona hat die Situation für die Betroffenen nicht einfacher gemacht, da Sorgen und Ängste bei diesem Krankheitsbild verstärkt wahrgenommen werden.“
Peter bestätigt das. Er begreift seine Situation – nicht aber, warum sein Leben so ist wie es ist. „Manchmal sitze ich Stunden lang da, kriege den Hintern nicht hoch, um Staub zu saugen oder den Müll hinauszubringen“, berichtet der Waldbröler.
„Man möchte nicht glauben, was der Kopf alles anrichten kann.“ Die Treffen an der Kaiserstraße besuche er seit bestimmt zehn Jahren. Sie seien eine feste, beständige Größe in einem Leben, in dem er an manchen Tagen nicht mehr aufwachen wolle.
Für Sylvia sind sie heute sogar ein Stück Lebenslust. „Aber ich habe lange gebraucht, bis ich mich getraut habe, hier durch die Tür zu gehen.“ Bereut hat sie es nie.