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Pandemie und KriegOberbergs Schulpsychologen warnen vor zu langem Krisenmodus

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Bei vielen Schülern zeige sich die Belastung durch Ängste und Schulabsentismus, berichtet der Schulpsychologische Dienst.

Oberberg – Noch nie hätten Schulen die Ferien so nötig gehabt wie dieses Jahr, sagt Bernd Christ, der Leiter des Schulpsychologischen Dienst des Oberbergischen Kreises. Der hat jetzt seinen Jahresbericht für 2021 veröffentlicht. Gibt dieser schon einen Einblick in die massiven Belastungen, die Lehrende und Lernende durch die Corona-Pandemie ausgesetzt sind, hat sich die Situation in der ersten Hälfte dieses Jahres keineswegs entspannt. Die Folgen des Kriegs gegen die Ukraine seien zusätzlich belastend, heißt es in einer Mitteilung des Kreises.

Christ erläutert, dass dies sowohl Schülerinnen und Schüler betrifft, aber genauso die Lehrkräfte und alle am Schulleben Beteiligten.

Zahlen zeigen hohe Belastung

Das Deutsche Schulbarometer der Robert Bosch Stiftung zeige aktuell die massiv hohe Belastung der Lehrkräfte: Demnach fühlen sich 84 Prozent der Lehrer stark oder sehr stark belastet, 62 Prozent leiden unter körperlicher und 46 Prozent unter mentaler Erschöpfung. Das seien Spitzenwerte.

Um Ausnahmesituationen wie die derzeitigen durchzustehen, spiele die sogenannte Resilienz eine große Rolle. Je mehr psychische Widerstandskraft Lehrende und Schüler besitzen, desto länger können sie durchhalten. Zusätzlich spiele die Lebenssituation und die Belastungen außerhalb der Schule eine große Rolle, heißt es vom Kreis. Viele Lehrkräfte seien auch Eltern. Die Situation vieler Familien von Schülerinnen und Schülern war nicht für hybriden Unterricht gedacht.

Ängste und Schulabsentismus

Bei vielen Schülern zeige sich die Belastung durch Ängste und Schulabsentismus, die neben Verhaltens- und Leistungsproblemen deutlich zugenommen haben. Der Schulpsychologische Dienst nennt ein Beispiel: Ein Zweitklässler konnte zu Jahresbeginn nicht mehr in die Grundschule gehen. Er weinte, schrie und wehrte sich mit Händen und Füßen gegen den Schulbesuch, schließlich wurde er zu Hause unterrichtet. Einmal habe der Junge sogar zu seiner Mutter gesagt, er wolle nicht mehr leben. Mehrere Gespräche zwischen Schulpsychologischem Dienst, Familie, dem Kind und der Klassenlehrerin hatten zum Ergebnis, dass der Junge zunächst wieder stundenweise in die Schule. Schließlich, nach wenigen Wochen und einigen Auf und Abs, konnte er wieder normal in die Schule gehen. Noch heute sei der Zweitklässler schneller als früher verunsichert, wenn etwas Außergewöhnliches anstehe.

Christ erklärt: Wenn eine akute Krisensituation vorbei ist, komme bei vielen die Erschöpfung durch, die Spannungskurve rausche sozusagen in den Keller. Bei einem mehrmaligen Hin und Her verstärke sich dieser Effekt. Mit dem Ukrainekrieg und den vielen Geflüchteten, vor allen Frauen mit Kindern, komme die nächste außergewöhnliche Herausforderung auf die Lehrkräfte zu. Das sei für viele der eine Tropfen zu viel, der das Fass zum Überlaufen bringe.

Die Mitarbeiter des Schulpsychologischen Dienstes hören solche Belastungsreaktionen in vielen Gesprächen mit Lehrkräften, Eltern sowie Schülerinnen und Schülern – und sie bietet Unterstützung. Mittlerweile seien die Anmeldezahlen für die sogenannte Einzelfallhilfe auf Rekordwerte gestiegen. Die Neuanmeldungen haben in den ersten sechs Monaten dieses Jahres schon die Menge des gesamten letzten Jahres erreicht, schreibt der Kreis. Kreisbildungsdezernentin Birgit Hähn wird zitiert: „Wir wissen, dass in den Schulen weiterhin hoher Unterstützungsbedarf bestehen wird, denn die Krise in den Menschen ist noch lange nicht vorbei.“