- In unserer Reihe „Über Wirtschaft reden“ spricht Frank Klemmer mit Prof. Dr. Matthias Böhmer.
- Themen sind die Fachkräfte der Zukunft und was ein neuer Studiengang an der TH damit zu tun hat.
Zum neuen Semester startet Ihr Studiengang „Code & Context“. Was ist anders an den Studenten, die Sie ausbilden?
Böhmer: Es geht darum, Ihnen die Kompetenzen und das Handwerkszeug zu vermitteln, wie man mit Code als Material die Digitalisierung mitsamt ihren sozialen, kulturellen und ökonomischen Kontexten gestalten kann. Sie sollen sehr experimentell und progressiv denken und arbeiten. Darauf achten wir schon bei unserer Aufnahmeprüfung: Wir schauen, ob sie eine intrinsische Motivation haben.
Was heißt das?
Wir wollen Macher ausbilden, die die Welt verändern wollen. Menschen, die in sehr frühen Phasen die Entwicklung von Produkten prägen und auch wissen, was sie damit bewirken. Deshalb schauen wir genau hin, wie sie eine Aufgabe anpacken und ob sie von Anfang bis zum Ende mit 360-Grad-Blick verfolgen können.
Können das Ihre Studenten bisher nicht?
Informatiker sind es traditionell nicht gewohnt, so zu denken. Die Kompetenz ist eher, Anforderungen klar zu benennen und diese dann lösungsorientiert in eine Software umzusetzen. Dazu gehört es nicht so sehr, Potenziale für eigene Ideen zu erkennen und diese experimentell und prototypisch zu explorieren. Das wollen wir bei unseren neuen Studierenden in der Vordergrund rücken. Dazu gehört es auch, dass Ideen scheitern können. Wir wollen Unternehmertum fördern.
Zur Person
Prof. Dr. Matthias Böhmer ist 38 Jahre alt und im sauerländischen Attendorn aufgewachsen. Sein Informatikstudium hat er an den Universitäten in Münster und Saarbrücken absolviert. Thema seiner Promotion war die Auswirkung von Smartphones auf das gesellschaftliche Leben.
In den vergangenen Jahren hat er – in enger Abstimmung mit den Bedürfnissen der Wirtschaft – den Bachelorstudiengang „Code & Context“ entwickelt. Dieser ist fächerübergreifend und projektorientiert angelegt. Er ist ein gemeinsamer Studiengang von vier Fakultäten der TH Köln: Kulturwissenschaften, Informations- und Kommunikationswissenschaften, Informations-, Medien- und Elektrotechnik und Informatik und Ingenieurwissenschaften.
Sieben Institute der TH beteiligen sich, darunter das Cologne Institute for Digital Ecosystems und das Advanced Media Institute, aber auch die Köln International School of Design. Studienort ist nicht Gummersbach, sondern der Campus Köln-Mülheim. Das Studium ist auf sechs Semester angelegt (wahlweise sieben, dann inklusive Praxissemester). (kmm/sül)
Dennoch sollen Ihre Studenten nicht nur Gründer von Start-ups werden. Gerade die Wirtschaft, sagen Sie, verlange nach diesen Fachkräften – im eigenen Unternehmen. Warum werden solche Fachkräfte gebraucht?
Wir haben schon bei der Entwicklung des Studiengangs die Wirtschaft beteiligt. Das Interesse war sehr groß, und wir haben ein positives Feedback bekommen. Viele Unternehmen, auch solche im Oberbergischen, haben inzwischen eigene Labs, wo innovative digitale Ideen erprobt werden. Dort brauchen sie Menschen, die sehr frei denken und sich auch schon in dieser frühen Phase Gedanken darüber machen, wie ihr Produkt in seiner Umgebung wirken würde.
Das, wovon Sie sprechen, klingt eigentlich stärker nach Ethik als nach Informatik. Ist das etwas, was der Digitalisierung und ihren Prozessen bisher gefehlt hat?
Es ist wichtig, dass sich Menschen, die digitale Produkte für andere gestalten, schon früh bewusst sind, was sie da tun. Es stimmt, Digitalisierung verändert Gesellschaft. Ich würde zwar nicht unbedingt sagen, dass sie uns vor sich hertreibt. Doch wenn ich Digitalisierung selbst gestalten will, dann muss ich auch wissen, wo der wahre Bedarf ist und was ich mit meinen Produkten auslöse.
Was löst Digitalisierung denn aus?
Nehmen wir ein Beispiel: die beiden blauen Häkchen bei Whatsapp. Nachdem die Macher der App diese Empfangsbestätigung integriert haben, hat das die Kommunikation über den Messenger verändert. Wir wissen jetzt, ob der Empfänger die Nachricht auch tatsächlich gelesen hat und fragen uns, warum keine Antwort kommt. Oder der Einfluss von Smartphones generell: Was macht es mit uns, wenn ein Anruf uns in einer App unterbricht? Da haben wir herausgefunden, dass wir dann bis zu viermal länger mit der App beschäftigt sind. Bis vor einiger Zeit musste man einen Anruf ablehnen, um die App weiter zu nutzen. Und das hat auch Einfluss auf die Gestaltung der Geräte: Will ich wirklich, dass ich einen Anruf ablehnen muss, um eine App weiter zu nutzen? Früher musste das aus technischen Gründen so sein, inzwischen nicht mehr. Die Auswirkungen von Smartphones auf die Benutzer ist ein Thema, das mich schon lange beschäftigt.
Aber warum braucht man für solche Überlegungen Informatiker?
Informatik ist die Leitdisziplin der Digitalisierung. Das gilt für viele Bereiche – von der Entwicklung von KI – also Künstlicher Intelligenz – bis zum Internet der Dinge. Die Gestaltung neuer digitaler Produkte beschäftigt im Augenblick meist Designer oder Teams mit hohem Kreativitätspotenzial. Doch die meisten haben eben keine Kompetenzen in Informatik, also in der technischen Umsetzung solcher Produkte. Deshalb fügen wir diese Aspekte in unserem Studiengang zusammen.
Letztlich heißt Ihr Studiengang aber auch, dass Ihre Studenten aus den einzelnen Bereichen weniger lernen als die, die den klassischen Studiengang wählen. Warum können Sie danach trotzdem mehr?
Wir haben uns das genau angesehen und Kompetenzen gebündelt, die man für unser Absolventenprofil benötigt. Da fehlt zum Beispiel die theoretische Informatik. Die schult zwar das abstrakte und logische Denken, und das hat natürlich nach wie vor seinen Wert. Für unseren neuen Studiengang stehen aber andere Dinge im Vordergrund, die sie in den sechs Semestern bis zu ihrem Bachelor-Abschluss lernen sollen.
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Interdisziplinäre Ausbildung statt klassischer Informatik: Ist das der Weg zu den Fachkräften der Zukunft?
Das würde ich so pauschal nicht sagen. Der neue Studiengang ist ja ein zusätzliches Angebot. Unsere anderen Studiengänge gibt es weiterhin und die Absolventinnen und Absolventen werden nach wie vor gebraucht – gerade mit Blick auf die weitere Umsetzung und Realisierung der Digitalisierung. Dennoch gibt es einen Bedarf an Kreativität und interdisziplinärer Zusammenarbeit – gerade durch die Bedeutung der Informatik für verschiedene andere Bereiche. Da arbeite ich als Informatik-Professor dann zum Beispiel auch schon mal mit Geisteswissenschaftlern oder Neurowissenschaftlern zusammen – wenn es zum Beispiel um die Entwicklung eines Tools für ein multimediales Tagebuch geht, das Demenzkranken das Erinnern erleichtern soll. Wenn uns Digitalisierung irgendwie treibt, dann heraus aus dem eigenen Silo.