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Serie

Historisches Unwetter
Oberberg blieb von Tornado knapp verschont

Lesezeit 7 Minuten
Eine Postkarte zeigt das Foto eines eingestürzten Hauses, daneben handschriftliche Anmerkungen.  

Auf einer Postkarte berichtet der Bergneustädter Adolf Deitenbach seiner Familie von den Auswirkungen des Tornados, die er in Köln selbst in Augenschein genommen hat.

Geschichten aus der Geschichte: Ein Wirbelsturm verwüstete im August 1898 Köln und das Bergische Land. Oberberg kam noch glimpflich davon.

„Da habe ich gestanden“, schrieb Adolf am 21. August 1898 seinem Vater Wilhelm Deitenbach und seiner Schwester in Bergneustadt-Kleinwiedenest. Adolf bezog sich auf das Bild einer Ansichtskarte aus dem nahen Köln. Dort war kein Panoramabild vom Dom zu sehen. Vielmehr ein Trümmerhaufen mit einem Pfeil, den der Absender eingezeichnet hatte. Laut Bildunterschrift handelte sich um die Überreste der großen Maschinenfabrik in Köln-Bayenthal. Der Postkartenschreiber erläuterte: „Ich schicke euch eine Ansichtskarte davon, dass ihr euch einen Begriff machen könnt von dem furchtbaren Tornado.“ Die Landsleute in Oberberg waren relativ glimpflich davongekommen. Das Unwetter im August 1898 blieb aber im ganzen Rheinland und in Westfalen noch lange im Gedächtnis.

In Köln war der Tornado am 7. August zunächst auf die linksrheinischen Stadtteile getroffen, vor allem auf Bayenthal. Dort verwandelte er die Maschinenfabrik in ein Trümmerfeld. Der bedeutendste Arbeitgeber im Stadtteil war innerhalb von vier Minuten nur noch eine Ruine. Ob Postkartenschreiber Adolf Deitenbach an diesem Sonntag in der Fabrik gearbeitet hat oder als Katastrophentourist unterwegs war, ist nicht mehr zu ermitteln.

Die Wirbelsturmkatastrophe war in längeren Artikeln Thema in mehreren Ausgaben der Gummersbacher Zeitung. Die bis dahin im Rheinland weitgehend unbekannte Wettererscheinung zog demnach an diesem Sonntag zwischen vier und fünf Uhr nachmittags nach zuvor strahlendem Sonnenschein eine breite Schneise der Vernichtung durch die Eifel und überquerte danach den Rhein zwischen Köln und Bonn. Nachdem der Sturm weitere rechtsrheinische Stadtteile (Dellbrück, Stammheim, Schlebusch), zudem Bergisch Gladbach, Bensberg und Paffrath verwüstet hatte, bog er in Richtung Norden ab.

Fenster des Kölner Doms wurden zerschlagen

Überall wurden Bäume, Häuser, Felder, Kirchen und Telegraphenstangen durch einen ungeheuren Luftwirbel zerstört. Ein desaströses Gewitter, zusammen mit Hagel und Regen, verstärkte das Inferno. Taubeneiergroße Hagelgeschosse zerstörten die Fensterscheiben. Mauer- und Ziegelteile, zerfetzte Bäume und Eisenteile bedeckten die Straßen. Auch der Kölner Dom wurde schwer getroffen: Die vor kurzem neu eingesetzten Glasfenster wurden gänzlich zerschlagen und lagen als Scherben rund um den Dom.

Der Schaden allein in Köln wurde auf eine Million Mark beziffert, was ungefähr der zehnfachen Summe in Euro entspricht. Die Zahl der Unwetteropfer blieb bemerkenswert gering. Zwei Kinder und eine Frau wurden von Gebäudeteilen erschlagen.

Der Tornado überquerte im Süden der Domstadt den Rhein, nicht ohne Wassermassen anzusaugen und sie in eine herumwirbelnde hohe Wassersäule zu verwandeln.   Auch in Poll wütete der Orkan, wobei die Kirche schwer getroffen und ohne Kirchturm zurückblieb. Dann stattete der Tornado auf der rechten Rheinseite Bergisch Gladbach, Bensberg, Bechen und schließlich Wipperfeld einen unerwünschten Besuch ab. Auch hier wurden Dächer abgedeckt, viele hunderte Fensterscheiben gingen zu Bruch, etliche Häuser stürzten ein. In Bergisch Gladbach starben drei Menschen, davon zwei Kinder, als sie in einstürzenden Häusern begraben wurden.

In Wiehl-Bomig ging die ganze Ernte verloren

Die Gemeinden im damaligen Oberbergischen kamen glimpflich davon, als die Ausläufer sie heimsuchten. Die Gummersbacher Zeitung berichtete ausführlich. Demnach war das Fest des Oberbantenberger Kriegervereins betroffen. Es hatte guten Zuspruch, als die ersten grauen Gewitterwolken kurz vor vier Uhr im Westen aufzogen. Alle Besucher wechselten eiligst in das Festzelt. Keinen Augenblick zu früh, denn kurz danach brach ein schweres Gewitter mit Starkregen über die Gegend herein, dazu ein Hagelsturm mit gefährlichen Eisgeschossen in Taubeneiergröße.

Über Bomig war zu diesem Zeitpunkt das Gewitter mit Regen und Hagel schon hinweggezogen. Die Schadensaufnahme zeigte das folgende Bild: „Hagelstücke in Stärke eines Hühnereis zertrümmerten mehrere Dachziegeln und Fensterscheiben. Die Feldfrüchte sind in einigen Fluren sehr beschädigt. Korn und Hafer ist halb gedroschen und liegt zerknickt am Erdboden; viele Kartoffelsträucher sind durchschlagen. Das Obst liegt zur Hälfte am Boden und es ist die Aussicht auf eine mittlere Ernte genommen.“

Einige Kilometer weiter wütete das Gewitter mit Hagelschlag in Marienhagen und vernichtete auch dort die Ernte. „Es fielen Eisstücke in Schwere von einem halben Pfunde“, wusste die Gummersbacher Zeitung zu berichten. Die Zeitung hatte eine wichtige Erkenntnis für die Leserschaft parat: „Es hat sich heute wieder gezeigt, wie empfehlenswert es ist, seine Feld- und Gartenfrüchte gegen Hagelschaden zu versichern.“

In Wiehl-Mühlen streckte ein Hagelbrocken einen Mann nieder

Ähnliches geschah in Derschlag. Teilweise waren auch hier die Hagelkörner bis zu 100 Gramm schwer. Diesem Bombardement konnten zahlreiche Fensterscheiben nicht standhalten. In Bergneustadt beklagte man denselben Umstand.   Menschen kamen glücklicherweise dort nicht zu Schaden. Im Gegensatz zu Mühlen a. d. Bech: Die Zeitung berichtet, dass der „dortige Einwohner Bündenbach, der sich während des Gewitters auf der Straße aufgehalten hatte, von einem Eisstücke so heftig auf den Kopf getroffen wurde, daß er besinnungslos zu Boden stürzte und erst nach einer Viertelstunde wieder zu sich kam“. Vermutlich war die eiskalte Überraschung, die ihn am Kopf traf, nur taubeneigroß. In Köln-Kalk wurde ein Eisstück gefunden mit einem Gewicht von einem Kilogramm.

Kaum war der Wirbelsturm vorübergezogen, regte sich die Neugier der vom Unglück Verschonten, insbesondere in Köln. Eine große Anzahl von ihnen machte sich auf, um die Zerstörungen in Augenschein zu nehmen. Ob der anfangs erwähnte Oberberger Adolf Deitenbach dazugehörte, ist ungewiss. Schon am zweiten Tag nach dem Unwetter setzte der Zustrom von Katastrophentouristen in die betroffenen Stadtteile Raderthal, Bayenthal und Poll ein. Die Kapazität der Kölner Pferdestraßenbahn reichte nicht aus, um den Ansturm zu bewältigen. Obwohl die Direktion der Pferdetrams zusätzliche Wagen einsetzte, gelang es nicht, die Transportwünsche zu befriedigen.

Um die ungezählten Glasschäden   zu beheben, reichte die Zahl der Glaserbetriebe in Köln und Umgebung nicht aus. Die zuständigen Stellen sandten deshalb sofort telegrafische Hilferufe an die Glasereien in den Großstädten Berlin, Hamburg und nach Süddeutschland und baten um Unterstützung durch möglichst viele Glasergesellen in Köln. Als Anreiz verdoppelten die Glashändler den Tageslohn.

Jedoch nur kurze Zeit. Dann galt wieder der übliche Tagessatz. Die um 70 Prozent heraufgesetzten Glaspreise verblieben jedoch auf der derselben Höhe wie nach der Unwetterkatastrophe. Das erboste die Glasergesellen so sehr, dass sie auf einer unverzüglich einberufenen Versammlung den sofortigen Streik beschlossen. So sollte es noch dauern, bis alle Schäden des Jahrhundertunwetters in und um Köln beseitigt waren.


Kölner Zeitung beschreibt das Phänomen

Der Kölner Lokal-Anzeiger beschrieb das Unwetter so: „In Köln bestand die gewaltige Naturerscheinung aus drei Gewitterwirbeln, wovon der dritte der ärgste gewesen sein muss. Es war um 5 Uhr, als in Bayenthal mehrere Personen gegen Nordwesten einen grauen Streifen, ähnlich einem schmalen Bande, am Himmel sahen, welcher sich rasch näherte. Das Phänomen stellte sich allmählich als eine wirbelnde Luftsäule dar, die rasch herankam. In wenigen Minuten wuchs der Wind zum Orkan an, alles zerstörend, was er auf seinem Wege traf.

Der Durchmesser des rasenden Wirbels war nur gering, aber die Gewalt desselben so groß, daß die stabilsten Gebäude ihr zum Opfer fielen. Wie sich aus den Richtungen der umgestürzten Bäume ermitteln ließ, drehte sich der Wind in dem Wirbel von Nordwest durch Süd nach Ost. In der Mitte desselben muss sich ein starkes Aufsteigen der Luft stattgefunden haben, denn die Wirkung war stellenweise explosionsartig, wobei massive Wände von innen nach außen gedrückt wurden in der Richtung gegen das luftverdünnte Zentrum hin.

Das ist genau die Erscheinung, welche bei den amerikanischen Tornados beobachtet wird und auch darin glich das Phänomen einem solchen Tornado, daß es kleine Strecken anscheinend übersprang. Keine Schilderung vermag ein richtiges Bild der Verwüstung zu geben, welche dieser Wirbel in wenigen Minuten angerichtet hat.“


Horrorfahrt auf der Burscheider Kirmes

Auf der Burscheider Kirmes bescherte der Wirbelsturm einer Gruppe Jugendlicher ein Horrorerlebnis, berichtete damals der Remscheider Generalanzeiger.   Am frühen Nachmittag hatten die jungen Leute eine damals als „Russische Schaukel“ bezeichnete Kirmesattraktion bestiegen. An dem etwa 13 Meter hohen Riesenrad waren drehbare Gondeln aufgehängt. Kaum hatte sich das Rad in Bewegung gesetzt, brach das Unwetter los. Die Bedienungsmannschaft versuchte vergebens, das Riesenrad abzubremsen. Bald gab der Mechanismus mit lautem Krachen seinen Geist auf.

Die tobende Windsbraut erfasste nun mit voller Macht das große Rad und trieb es unter dem Schreien der Passagiere herum. Das Entsetzen stieg, als grelle Blitze und Donnerschläge dazukamen. „Es war, als wären sämtliche Dämonen der Hölle losgelassen, um mit uns armen Sterblichen in dieser wahren Hexen-Schaukel ein grausames Spiel zu treiben“, berichtet ein Mitfahrer.   Geisterbleich klammerten sich die Mitfahrer an den Messingstangen des Höllengefährts fest.   Schließlich brachten starke Männer das Rad zum Stillstand.

Inzwischen war das Unwetter weitergezogen, und die Sonne lugte hinter einer riesigen Wolke hervor. Für zwei junge Damen war das Erlebnis dann doch zu viel: Sie sanken lautlos neben dem Russenrad am Rand einer großen Regenpfütze zu Boden, eine Ohnmacht hatte sie übermannt.