Das Thema Abtreibung hat im Oberbergischen einen Eklat ausgelöst. Die Frauenhilfe im Rheinland ist nach den Aussagen eines Pfarrers entsetzt.
Frauenhilfe fassungslosNümbrechter Pfarrer stellt sich gegen Abschaffung von Abtreibungs-Paragrafen
Mit einer überraschenden Ankündigung hat Pfarrer Matthias Köhler am Sonntag den gut besuchten Gottesdienst zum ersten Advent in der evangelischen Kirche in Nümbrecht eingeleitet: Er könne nicht empfehlen, für die Tür-Kollekte zu spenden.
Die Kollekte am ersten Adventssonntag kommt traditionell Projekten der Evangelischen Frauenhilfe im Rheinland zugute. Die Begründung des Pfarrers: Der Verband fordere auf seiner Internetseite die Entfernung des Paragrafen 218 zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafgesetzbuch. Das berichtete ein Gottesdienstbesucher dieser Zeitung. „Ich kann als Seelsorger diese Kollekte nicht empfehlen“, bestätigt Pfarrer Köhler auf Anfrage.
Kreisverband Oberberg der Frauenhilfe ist fassungslos
Er habe die Sammlung als Pflichtkollekte durchgeführt, jeder habe selbst entscheiden können, ob er spendet oder nicht. Aber: „Mich daran zu beteiligen, dass der Schutz des ungeborenen Lebens aufgeweicht wird, geht gegen mein Gewissen“, sagt der Pfarrer.
Ute Schell vom Kreisverband der Evangelischen Frauenhilfe An der Agger ist fassungslos. „Das kann seine persönliche Meinung sein. Aber ich finde es unverschämt, öffentlich im Gottesdienst aufzufordern, nicht zu spenden.“
Kontroverse um den Abtreibungs-Paragrafen 218
Zumal das gesammelte Geld für ganz verschiedene Projekte der Frauenhilfe wie betreutes Wohnen für ältere Menschen, das Mutter-Kind-Heim, für Bildung und Integration von Migrantinnen und zur Unterstützung von Frauen in Familie, Kirche und Beruf bestimmt sei.
Schell: „Offenbar sieht der Pfarrer nicht, was die Frauenhilfe im Ganzen leistet.“ Aber auch zum Paragrafen 218 hat sie eine klare Meinung: „Niemand darf eine Frau, die ungewollt schwanger wird, zwingen, ihr Kind zu bekommen. Kein Kind sollte mit Hass groß werden.“
Entsetzen bei der Frauenhilfe im Rheinland
Auch Dagmar Müller, Leitende Pfarrerin und Geschäftsführerin der Frauenhilfe im Rheinland, ist entsetzt. Der Kollektenplan sei landeskirchlich beschlossen, es sei Manipulation der Gottesdienstgemeinde, öffentlich davon abzuraten, für den beschlossenen Kollektenzweck zu spenden.
Im Übrigen sei die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in Ländern mit liberaler Gesetzgebung am geringsten, die Evangelische Kirche in Deutschland habe sich zum Paragrafen 218 positioniert: Jede Frau müsse selbst entscheiden und sei ethisch kompetent.
Dachverband für Abschaffung des Paragrafen 218
Auch der Dachverband der Evangelischen Frauen im Rheinland habe sich darum im Oktober für die Abschaffung des Paragrafen 218 ausgesprochen. „Für eine kirchliche Institution, die dem Gebot ,Du sollst nicht töten' verpflichtet ist, ist es ein gravierendes ethisches Problem, sich so einseitig zu positionieren“, meint Pfarrer Köhler.
„Gott ist ein Freund des Lebens“, so Köhler. Er sieht sich damit im Einklang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993. Das Gericht hatte damals die Fristenregelung gekippt, also der straffreie Abbruch in den ersten drei Monaten der Schwangerschaft.
Die Frauenhilfe habe nur die Situation der Frauen im Blick, nicht das Recht des ungeborenen Lebens. Ausdrücklich nimmt Köhler die Frauenarbeit in seiner Gemeinde von der Kritik aus.
Schwangerschaftskonfliktberatung gehört zu den Aufgaben
Im Gottesdienst habe der Pfarrer den Verband „eine Gruppe von Funktionärinnen“, genannt, so ein Besucher des Gottesdienstes. „Für Funktionärinnen haben wir kein Geld, wir stecken alles in die Arbeit für die Frauen“, kontert Pfarrerin Dagmar Müller. Dazu gehöre auch die Schwangerschaftskonfliktberatung.
„Nicht der Paragraf 218 hält Frauen vom Abbruch ab, sondern Aufklärung, kostenlose Verhütung, Unterstützung und ausreichender Unterhalt.“ Auch Pfarrer Köhler setzt auf Beratung, seelischen Beistand und materielle Hilfe.
Pfarrer betont das Recht des ungeborenen Lebens
Ute Schell glaubt aber: „Er ist sich der Not der betroffenen Frauen offenbar nicht bewusst.“ Ob viele Gottesdienstbesucherinnen und -besucher seiner Empfehlung gefolgt sind und nicht für die Arbeit der Frauenhilfe gespendet haben, wollte Köhler nicht sagen.
Laut Strafgesetzbuch ist ein Schwangerschaftsabbruch nach Paragraf 218 grundsätzlich strafbar. Der Staat ist verpflichtet, das ungeborene Leben zu schützen. Das stellte das Bundesverfassungsgericht 1993 in einem Urteil fest. Allerdings darf der Schwangerschaftsabbruch nach einer Beratung in den ersten zwölf Wochen straflos bleiben. Er muss von einem Arzt vorgenommen werden.