AboAbonnieren

Niklas stirbt an KrebsDer kleine Ritter sagt Lebewohl

Lesezeit 5 Minuten

Der Kranz ist der letzte Gruß der Familie an Niklas. (Foto: privat)

Wipperfürth – Der Kranz steht an dem frischen Grab auf dem Westfriedhof. „Wir lieben Dich“ lautet die Widmung auf der Schleife. Das Grab ist knapp eine Woche alt. Es ist Niklas Grab. Niklas Niermann wurde sechs Jahre alt. In diesen sechs Jahren hat er so viel durchleben müssen, es hätte für hundert Jahre gereicht. Aber Leid aufrechnen, das geht nicht. Leid aufrechnen, das würde Niklas nicht gerecht. Denn Niklas war ein Ritter und dies ist seine Geschichte.

Gestorben ist Niklas am Donnerstag, 17. Juli, auf der Kinderkrebsstation der Uniklinik Köln. Gestorben ist Niklas im Kreise der Menschen, die ihn lieben. Sein Vater Michael drückt ihm die Hand, seine Schwester liest ihm eine Geschichte vor. Niklas ist ruhig, die Familie spricht leise ein Gebet. Niklas freut sich, wird sich seine Mutter Efi später erinnern.

Mit drei erkrankt Niklas an Krebs

Auch Aram ist im Raum, als Niklas die Augen schließt. Aram ist zwölf Jahre alt, er stammt aus dem Irak und wird in Köln wegen seiner Leukämie behandelt. Das fremde Land, die fremden Menschen, all das machte ihm am Anfang Angst. Niklas war für Aram da. Er nahm ihm die Angst und spendete Trost, da war er wieder, der Ritter Niklas.

Am Anfang war das anders. Als bei Niklas das Neuroblastom diagnostiziert wurde, war er drei Jahre alt und hatte ständig Wutausbrüche, war aggressiv. Ein Neuroblastom ist ein Tumor im Nervensystem. Seine Mutter suchte lange nach einer Erklärung. Die Trotzphase vielleicht. Doch es wurde nicht besser. Es dauert lange, bis ein Arzt die Ursache findet, die richtige Diagnose stellt.

In Deutschland erkrankt gerade einmal eins von 5700 Kindern an dieser Krebsart. Die Überlebenschance gibt das Deutsche Krebsregister mit 75 Prozent an, wenn der Tumor früh erkannt wird. Bei Niklas wurde bereits 2011 das Stadium vier diagnostiziert, das letzte Stadium, die Krankheit ist bereits fortgeschritten und die Chancen auf Heilung minimal. Das wissen die Eltern, das wissen die beiden Schwestern von Niklas, die nun damit leben müssen, dass ihr Bruder einen Großteil der Aufmerksamkeit der Familie braucht. Die Familie findet ein kleines Haus zur Miete, den Klosterberg hoch, dann noch ein Stück weiter oben.

Hilfe für die Familien von krebskranken Kindern bieten viele gemeinnützige Organisationen. Für Niklas Familie gibt es eine Spendenseite über die Aktion Strahlemännchen, die Geld für seinen Grabstein sammelt (Spendenaktion „Ritter Niklas“, Link unten).

Unterstützt wird Familie Niermann auch durch den Förderverein für krebskranke Kinder in Köln. Eine unabhängige Elterninitiative, deren Kind an Krebs erkrankt war oder ist. Der Verein betreibt zum Beispiel das Elternhaus an der Uniklinik Köln. Dort können Eltern während der Behandlung ihrer Kinder übernachten, sich mit anderen Betroffenen austauschen, sich zurückziehen und Kraft schöpfen. Niklas Eltern Michael und Efi Niermann arbeiten weiter aktiv beim Förderverein mit und wollen nun ihrerseits betroffenen Eltern helfen.

www.krebskrankekinder-

koeln.de

www.helpedia.de/spenden-

aktionen/ritter-niklas

Mit dem Verlauf der Krankheit verändert sich Niklas. Von Ritter-Geschichten kann er nicht genug bekommen. Der Starke, der die Schwachen beschützt, das ist sein Vorbild. Die Nachbarn rund um das neue Haus werden schnell zu Freunden. Die Schwestern auf der Kinderkrebsstation, die Ärzte, die anderen Kinder. Niklas scheint nach dem Leben zu greifen, nach Freundschaft, nach Nähe.

Bei der Bekämpfung der Neuroblastome wurden erst in den vergangenen zwei Jahrzehnten nennenswerte Fortschritte erzielt und die Früherkennung verbessert. „Es folgte jedoch nicht die erhoffte Mortalitätssenkung“, steht im Jahresbericht des Krebsregisters.

Mortalität, das heißt Tod und wie Niklas sich den Tod vorstellt, verrät er einmal seiner Mutter. Für ihn ist das ein Ort, wo er all das essen kann, was er will und so viel er will, kein Tumor, der im Bauch sitzt. Fast drei Jahre begleitet Niklas der Tod. Das ist eine so lange Zeit, dass er jeden Schrecken für den kleinen Ritter verliert. Drei Mal entwickelt sich der Tumor zurück, drei Mal kommt die Krankheit wieder. Als der Tod näher rückt, freut sich Niklas, seinen besten Freund wiederzusehen, der vor zwei Jahren an Krebs gestorben ist. An dem Ort, an dem Kinder die sterben, weiterleben. Dort werden die beiden gemeinsam eine Party feiern, daran glaubt der Sechsjährige ganz fest.

Wie Niklas mit seinem Schicksal umgeht, das ist die eine Sache. Wie die Familie die Jahre zwischen Hoffnung und Hoffnungslosigkeit erlebt, eine andere. Daniel Ganouni ist ein enger Freund der Familie, der 33-Jährige Vater hat selbst ein Kind, das an Krebs erkrankt ist. Bei einer gemeinsamen Kur vor zwei Jahren in Bad Oexen lernen sich die Familien kennen, schließen Freundschaft, auch mit anderen Familien in ganz Deutschland, die ihr Schicksal teilen. „Wir nehmen uns alle ein Beispiel an Familie Niermann“, sagt Ganouni.

Geschichten von Rittern geben Niklas Kraft

Statt Trauer sieht er bei den Niermanns Mut und Zuversicht. Er beschreibt, was die Familie niemals sagen würde. Berichtet, wie Vater Michael sich plötzlich morgens nicht mehr bewegen kann, weil ihm der eigene Körper nicht mehr gehorcht und sich der 52-Jährige doch nach Köln kämpft, um seinen Sohn zu sehen.

Wenn Niklas Mutter Efi im Krankenhaus ist, spricht die 44-Jährige nicht über den Krebs, nicht über Behandlungen. Sie will die Zeit mit ihrem Kind genießen, will sich bei jedem Besuch ein Stück Familienalltag erobern. „Diese Sichtweise hat uns anderen Familien viel Kraft gegeben“, berichtet Ganouni. Doch der 33-Jährige beobachtet auch etwas anderes, und das macht ihm Sorgen. Er sieht, wie das Auto der Familie den Geist aufgibt, dann der Computer. Vater Michael wird krank geschrieben, geht heute noch an Krücken. Alles ist darauf ausgerichtet, Niklas in seinen letzten Wochen Familienalltag zu geben.

Anfang Juli wird Niklas Zustand immer schlechter. Die Ärzte empfehlen, die Maschinen abzustellen. Als der Moment des Todes kommt, ist es, als stehe auf der Station für einen Moment die Zeit still, erinnert sich Daniel Ganouni, der den Gang entlang eilt, hin zu Niklas Zimmer. Auch die Ärzte, die Schwestern eilen zu Niklas, sie wollen dem kleinen Ritter Lebewohl sagen. Um 14.15 Uhr schließt Niklas die Augen.