Digitale SprechstundeTheodor-Heuss-Akademie kämpft für zivilisierte Corona-Debatte
Niederseßmar – Immer mittwochs um 18 Uhr bittet Martin Thoma zur „Gesundheitspolitischen Sprechstunde“. Der Zufall will es, dass der politische Referent der Theodor-Heuss-Akademie (THA) ein studierter Gesundheitswissenschaftler ist. Das ist hilfreich in Zeiten, in denen eine Pandemie die Debatte beherrscht. Thoma ist prädestiniert, das Videoformat zu moderieren, mit dem er vom Nachbarbüro in der Gummersbacher Theodor-Heuss-Akademie aus im Internet auf Sendung geht.
Die Heuss-Akademie ist vom Corona-Lockdown doppelt betroffen: Sie ist Bildungsstätte und zugleich Herberge. Rund 5000 Teilnehmer an 160 mehrtägigen THA-Seminaren sind dort in normalen Jahren untergebracht, die Gäste anderer Veranstalter nicht mitgerechnet. Der Betrieb der einzigen Einrichtung dieser Art in Deutschland wird vom Steuerzahler gewährleistet, und Akademieleiter Klaus Füßmann ist froh, dass er keinen der etwa 35 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen entlassen musste.
Nahezu täglich Digitalkonferenzen und Workshops
Gleiches gilt für die etwa weiteren 30 Beschäftigten anderer Einrichtungen, die ebenfalls in Niederseßmar unter dem Dach der „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“ ihren Arbeitsplatz haben, wie das „Archiv des Liberalismus“. Schwieriger ist die Situation für die mehr als 30 Honorarkräfte, die auf die Einkünfte durch Vorträge und Trainings angewiesen sind. Füßmann setzt sie bevorzugt für sein Internet-Angebot ein.
Es gibt nun nahezu täglich Digitalkonferenzen, Online-Workshops und Webtalks. Die Corona-Krise ist regelmäßig Thema, etwa beim Training „Führen auf Distanz“. Aber nicht immer. Klaus Füßmann hat lernen müssen: „Man darf es nicht übertreiben. Schließlich gibt es auch abends im Fernsehen derzeit kaum ein anderes Thema.“
Ausschließlich gesundheitspolitische Fachleute kommen zu Wort
Bei Martin Thomas Sprechstunde kommen ausschließlich gesundheitspolitische Fachleute zu Wort. „Das sind alles hochkarätige Experten, die wir hier in Gummersbach sonst nicht zu Gesicht bekämen“, sagt der Referent. Im von ihm moderierten Webtalk über das Videokonferenz-Programm Zoom kann man auch Fragen stellen, es geht sachlich zu: „Das ist politische Bildung und keine Show – die kriegt man bei Anne Will.“
In 25 Folgen hat er damit rund 1300 Zuschauer erreicht. Die Reichweite stimmt also durchaus im Bildungsangebot der Naumann-Stiftung und ihres Gummersbacher Hauses. Akademieleiter Klaus Füßmann vermisst aber die Tiefe.
„Ich bin ein Freund des intellektuellen Austauschs in der Präsenz“, sagt der 64-Jährige. „Dazu gehören Rede und Gegenrede, wie sie in einer Videokonferenz nicht möglich sind. Dahin müssen wir so schnell wie möglich zurückkommen.“
Als Empfänger von Steuergeldern in der Pflicht
Als der erste Lockdown im Mai zu Ende ging, legte Füßmann denn auch gleich wieder los. Als Empfänger von Steuergeldern sah und sieht er sich in der Pflicht, das Möglichste zu leisten.
Auf den Gängen wurden Pfeile für Einbahnverkehr aufgeklebt, in der Kantine die Tische auseinandergerückt und Plexiglasscheiben aufgehängt. „Wir haben die Hygienevorschriften penibelst eingehalten, denn wir sind eben nicht nur eine Art Hochschule, sondern auch ein Hotel.“ Bei den Veranstaltungen wurden nur noch 40 statt 80 Teilnehmer zugelassen, einige wurden per Videokonferenz zugeschaltet. „Solche Formate werden wir später beibehalten, Corona war auch für uns ein Innovationsschub.“
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Doch im Oktober war dann wieder Schluss. Füßmann hofft nun, vielleicht schon im März wieder die ersten Gäste im Haus begrüßen zu können. Politische Bildung sei wichtiger denn je in einer Zeit, in der populistische Bewegung die liberale Demokratie herausfordern. Der Liberalismus und die ihm verpflichtete Akademie stehe dabei in einer ähnlichen Zwickmühle wie die der Stiftung nahestehende oppositionelle Bundes-FDP, sagt Füßmann. „Besonders am Anfang der Pandemie stand der starke Staat und die Exekutive hoch im Kurs.“
Nun sei es aber an der Zeit, die handwerklichen Fehler beim Krisenmanagement und allzu großzügige Staatshilfen zum Thema zu machen. Und Füßmann meint: „Das Parlament muss wieder Ort der wichtigen Debatten sein und nicht mehr die Talkshow.“