Eigentümerin seit Jahren vermisstDas Geisterhaus von Morsbach-Steimelhagen
Steimelhagen – Eine Jalousie hängt schief im Fenster, hinter anderen Scheiben baumeln gemusterte Gardinen, die vor langer Zeit einmal weiß gewesen sind. Blind geworden ist das Glas, hinter einer stumpfen Scheibe steht ein schrumpliger, knorriger Kaktus. Und aus dem Zeitungshalter an der Haustür quillt zerfleddert eine Zeitung: „Sonnabend, 21. September 2011“ steht auf dem Titelblatt, gegenüber hängt ein struppiger Kranz an der weiß getünchten Wand.
An jenem Tag ist Anett Carolin Kaiser schon mehr als einen Monat nicht mehr in Morsbach-Steimelhagen gewesen. So lange steht das Haus mitten im Ort leer. Gewohnt hat sie dort nie. Seit dem August 2011, kurz nachdem sie das Haus gekauft hat, gilt die Frau als vermisst. Spuren gibt es keine.
Ruhig ist es in Steimelhagen am späten Nachmittag. Eine Katze jagt durchs Grün, irgendwo bellt ein Hund. Nachbar Gerhard Wirths (78) ist auf den Beinen. Er hat Anett Carolin Kaiser damals gesehen, als sie das Haus gekauft hatte: „Sie wirkte sehr sympathisch“, sagt Wirths. „Vorgestellt hat sie sich uns Nachbarn aber nicht, das macht man doch so in einem Dorf.“ Hannah Krämer (80) wohnt ebenfalls nebenan. Sie bedauert, dass das Haus verfällt. „Ein Schande ist das, so viele wollten es kaufen.“
Ein Verbrechen kann die Kriminalpolizei nicht ausschließen
Beide Senioren erinnern sich gut an den Tag, als die neue Nachbarin aus Solingen einziehen wollte: „Sie hat das Haus bar bezahlt: 125 000 Euro in einem Koffer“, sagt Wirths und nennt die Verkäuferin. Die 64-Jährige lebt heute in Waldbröl, ihren Namen will sie nicht in der Zeitung lesen. Und zu der Sache mit dem Koffer gibt sie keine Auskunft. „Ein Bekannter hatte Frau Kaiser nach Steimelhagen gebracht, weil sie auf dem Land leben wollte“, erinnert sich die frühere Eigentümerin. „Und es musste unbedingt ein großes, leeres Haus sein.“ Es heißt, Anett Carolin Kaiser habe geerbt und das neue Anwesen mit dem Geld ihrer Eltern bezahlt. Sie ist ledig, hat keine Kinder.
„Passen würde es zu ihr“, sagt Hauptkommissar Stefan Weiand von der zuständigen Kriminalpolizei. „Sie bezahlte offenbar alles mit Bargeld.“ Weil die damals 51-Jährige von Solingen nach Morsbach umgezogen ist, ermittelt die Wuppertaler Polizei. Auch heute noch: „Vermisstenfälle verjähren nicht“, erklärt Weiand. Am 18. November 2011 hatte ein Bekannter die Vermisstenanzeige aufgegeben. Seither gibt das Schicksal der Frau den Behörden Rätsel auf. „Die meisten Vermissten kehren nach drei, vier Tagen zurück – dieser Fall ist anders, ganz anders.“
Ob die zierliche Frau mit den wuscheligen Haaren und den großen Augen Opfer eines Gewaltverbrechens geworden ist, kann die Polizei weder bestätigen, noch ausschließen. Vor etwa zwei Jahren haben Beamte das leere Haus in Steimelhagen geöffnet und mit Leichenspürhunden abgesucht. „Es wurde nichts gefunden“, berichtet Weiand. Im Garten des Hauses stehen, in die Waage gebracht auf dicken Betonsockeln, vier Überseecontainer, jeder hat ein Volumen von rund 66 Kubikmetern.
Nach Angaben von Morsbachs Bürgermeister Jörg Bukowski hat Anett Carolin Kaiser – wie es die Vorschriften verlangen – dafür eine Baugenehmigung beantragt und von der Gemeinde auch erhalten. „Es hieß damals, sie sei viel gereist und habe ihr Eigentum immer in solchen Containern verwahrt.“ Die Polizei hat die Schlösser geknackt: „In den Containern sind Berge von Kleidungsstücken und Möbel, aber keine Spuren“, schildert Stefan Weiand. Er weiß auch, dass die Gesuchte selbst mit dem Gesetz in Konflikt geraten sein soll. Warum, darf er indes nicht sagen. Den Vernehmen nach soll sie in Solingen und Leichlingen Kleidercontainer geplündert haben.
Als wichtigste Spur gilt den Ermittlern auch heute noch das auffällige Fahrzeug der Solingerin: Sie fuhr einen Ford „Transit“, den das Technische Hilfswerk ausgemustert hatte – Kennzeichen: SG–AD 895. „Damit wollte sie am 26. August nach Spanien, dort hatte sie wohl ein weiteres Haus“, betont Kommissar Weiand. „Und das macht den Fall so mysteriös: Denn Anett Carolin Kaiser hatte ein Datum genannt, wann sie nach Deutschland zurückkehren wollte.“ Doch von den spanischen Behörden wissen die Kollegen in Wuppertal, dass Anett Carolin Kaiser den Ort Jerez de la Frontera in Andalusien niemals erreicht hat.