In einem spannenden Vortrag zur NS-Geschichte erläuterte der Regionalhistoriker Manfred Huppertz die Entstehung der Klinik in Marienheide.
VortragDer Nazi-Arzt und die Klinik in Marienheide
Warum wurde mitten im Zweiten Weltkrieg in Marienheide ein Krankenhaus gebaut? Und was hat der NS-Arzt Karl Brandt (1904-1948), der den Massenmord an Menschen mit geistigen oder körperlichen Einschränkungen organisierte, damit zu tun? Manfred Huppertz forscht seit Jahren privat an dem Thema. Mittwochabend präsentierte er die Ergebnisse erstmals – im Rahmen einer Reihe zur NS-Forschung in Oberberg, organisiert vom LVR-Freilichtmuseum Lindlar. Das Interesse war so groß, dass der hauptberufliche Archivar seinen Vortrag gleich zweimal hielt.
Zu Beginn legte Huppertz sehr anschaulich die geistigen Wurzeln der „Euthanasie“-Verbrechen dar. Die Nationalsozialisten griffen breit diskutierte Ideen zur „Rassenhygiene“ auf und wandten sie an auf die Idee vom „Volkskörper“. Kranke Elemente – dazu zählten nach NS-Überzeugung Erbkranke, Juden, „Asoziale“ und alles Fremdartige – müssten wie Geschwüre aus dem „Volkskörper“ entfernt werden, um Geld für die Versorgung von behinderten Menschen einzusparen, so die zynische Rechtfertigung.
Ab 1933 ließ der NS-Staat rund 350 000 bis 400 000 Menschen mit Erbkrankheiten zwangssterilisieren. Im Oktober 1939 beauftragte Adolf Hitler den NS-Funktionär Philipp Bouhler und seinen Arzt Karl Brandt mit der Umsetzung der sogenannten „Aktion Gnadentod“. Ein Befehl zum Massenmord, dem rund 70 000 Menschen zum Opfer fielen, darunter rund 11 000 Kinder. Die Patienten wurden mit Bussen zu den Tötungsanstalten gefahren und dort mittels Gas umgebracht – ein Verfahren, das wenig später auch im Holocaust Anwendung fand.
Nach Protesten, vor allem von Seiten der Kirche, ließ Hitler die Aktion im August 1941 stoppen. Das Morden aber ging weiter, jetzt dezentral, in vielen Krankenhäusern. Die hilflosen Patienten ließ man verhungern oder tötete sie mit Medikamenten.
Karl Brandt, Mitglied der NSDAP und einer der höchsten SS-Offiziere, machte im NS-Staat steile Karriere. Zusammen mit seiner Frau Anni Rehborn, einer in den 1920er Jahren sehr erfolgreichen Schwimmerin, gehörte er zum engsten Bekanntenkreis von Hitler. Das Ehepaar Brandt war Stammgast auf dem Obersalzberg, Hitlers Alpenresidenz. Huppertz zeigte Fotos, die Hitler, Brandt und Rüstungsminister Albert Speer – ein guter Freund Brandts – im vertrauten Gespräch zeigen.
Als deutsche Großstädte durch die alliierten Bombenangriffe schwer zerstört wurden, benötigte man Ausweichkrankenhäuser im ländlichen Raum. Brandt und Speer wählten die Standorte der „Sonderanlagen Brandt“ persönlich aus. Die Klinik Marienheide ging 1944 in Betrieb, ab Sommer waren dort über 600 Patienten untergebracht. Bislang, so Huppertz, gibt es keine Hinweise, dass dort gezielt Menschen getötet wurden. Nach dem Krieg wurde das Krankenhaus zu einer Lungenklinik umgebaut, später zu einer psychiatrischen Klinik – dem heutigen „Zentrum für Seelische Gesundheit“.
Verbindungen zur Familie Rüggeberg
Warum aber fiel die Wahl auf Marienheide? Wie Huppertz erörterte, war Brandt der Ort wohl nicht unbekannt. Seine Ehefrau Anni und der Sohn Karl Adolf zogen nach dem Krieg nach Marienheide und lebten in einer Villa der Firma Rüggeberg, Anni Brandt betreute eine kranke Tochter der Familie. Annis Schwester Hanni hatte 1932 den Ingenieur Heinz Clas geheiratet. Trauzeugen waren Karl Brandt und der Industrielle Alfred Rüggeberg. Beide kannten sich also.
„Sie dürfen sich Professor Brandt nicht als Verbrecher, sondern als Idealisten vorstellen“, zitierte Rüggeberg Pastor Friedrich von Bodelschwingh. Auch die Eltern von Karl Brandt zogen nach und lebten bis zu ihrem Tod in Oberwette. Beide wurden auf dem Friedhof in Müllenbach beigesetzt.
Und dort hatte auch der Massenmörder Karl Brandt seine letzte Ruhestätte gefunden. Nach Kriegsende wurde er als Hauptangeklagter im Nürnberger Ärzteprozess zum Tod durch Erhängen verurteilt und in Landsberg am Lech hingerichtet. Der Leichnam wurde verbrannt, die Urne auf dem Gefängnisfriedhof bestattet und später nach Müllenbach überführt, wie Huppertz belegen konnte. Im Winter 2022/2023 wurde das Grab eingeebnet, nachdem der Sohn Karl Adolf Brandt verstorben war.
„Die Erinnerung an die Ursprünge der Krankenhaus-Sonderanlage in Marienheide verblasst langsam. Umso schöner wäre es, wenn das ‚Zentrum für seelische Gesundheit‘ oder die Gemeinde Marienheide das Gedenken an die Ursprünge der Klinik aufrechterhalten würden“, appellierte Manfred Huppertz. Dafür – und für seinen eindringlichen Vortrag – gab es viel Beifall. Stefan Meisenberg, Bürgermeister von Marienheide, und Manfred Huppertz, sind sich einig, dass der Vortrag auch in Marienheide gehalten werden soll.