Oberberg – Made in Oberberg: In den Artfarm Studios in Drabenderhöhe haben Kai und Thorsten Wingenfelder ihr neues Album eingespielt, in der Artfarm selbst haben sie es gestern mit prominenten Gästen vorgestellt. Frank Klemmer sprach mit Thorsten Wingenfelder, der seit zwölf Jahren in Nümbrecht lebt, über das Album, die Zukunft von Fury in the Slaughterhouse und über den Erfolg.
Kreuzfahrt im September mit Fury in the Slaughterhouse, jetzt die neue Platte der Wingenfelders: Was sind Sie gerade mehr? Teil einer Band oder Teil eines Duos mit ihrem Bruder?
Beides, obwohl das mit Fury ist eigentlich schon wieder erledigt für mich. Wir machen in diesem Jahr nur noch ein paar Sachen, die wir im vergangenen Jahr zum 30-Jährigen nicht mehr geschafft haben – wie zum Beispiel die Kreuzfahrt. Ich habe gerade aber nur das neue Album im Kopf.
Das klingt so, als war es das erstmal wieder mit Fury . . .
Es war ein tolles Jahr. Die Tui-Arena in Hannover war drei Mal ausverkauft. Mehr als 35 000 Zuschauer – das hat nicht mal Helene Fischer geschafft. Und da gab es ganz besondere Momente, wie zum Beispiel mit meinem Sohn Arm in Arm hinter der Bühne zu stehen. Das Jahr hat uns als Band viel Spaß gemacht und uns wieder sehr zusammengebracht.
Wenn ich mir „Sieben Himmel hoch“, Ihr neues Album, so anhöre, klingt das wieder deutlich mehr nach dem alten Fury-Sound, eben nur mit deutschen Texten. Täuscht das oder ist auch das ein Ergebnis des vergangenen Jahres?
Das Fury-Jahr hat uns vielleicht entspannter gemacht. Der Sound und Vibe der Platte liegt aber schon eher an uns und unserem Team, wie zum Beispiel Robert „Robbie“ Schuller von den Artfarm Studios in Drabenderhöhe.
Sie leben schon länger mit Ihrer Familie im Oberbergischen. Jetzt haben Sie hier zum ersten Mal eine Platte aufgenommen – und präsentieren sie auch hier. Wie kam es dazu?
Das hat ganz viel mit Robbie Schuller zu tun. Ich habe ihn kennengelernt und war begeistert von dem, was er macht. Davon habe ich Kai dann erzählt: „Pass auf, da ist einer, der macht ganz tolle Sachen. Den musst Du mal kennenlernen.“ Also kam Kai hierher, und wir haben drei Songs testhalber aufgenommen. Wir haben einfach mal gemacht, viel Gitarre gespielt, viel probiert. Die Chemie stimmte und wir waren uns einig, dass wir das hier und nirgendwo anders machen wollen.
Zur Person
Thorsten Wingenfelder (52) gründete Mitte der 1980er Jahre mit seinem Bruder Kai (58) sowie mit Rainer Schumann, Christof Stein-Schneider und Hannes Schäfer in Hannover die Rockband „Fury in the Slaughterhouse“. Die Band, in der er vor allem Gitarrist und Songschreiber war, war in gut 20 Jahren nicht nur in Deutschland erfolgreich.
Zu ihren größten Hits gehören Songs wie „Time to wonder“, „Won’t forget these days“, „Radio Orchid“ oder „Every Generation got its own disease“. Nachdem die Band 2008 eine Pause einlegte, arbeitete Wingenfelder, der seit zwölf Jahren mit seiner Familie in Nümbrecht lebt, vor allem als Fotograf. Zudem gründete er mit Bruder Kai 2010 das Bandprojekt „Wingenfelder“.
Mit ihrem neuen Album „Sieben Himmel hoch“, das sie gestern Abend in der Artfarm in Drabenderhöhe gefeiert haben, werden die Brüder im Herbst auf Tour durch 26 deutsche Städte unterwegs sein. (kmm)
Versetzen wir uns zurück in die 1990er Jahre: Hätten Sie sich damals vorstellen können, Deutsch zu singen?
So ungewöhnlich ist das für uns gar nicht. Kai hat damals in den 1980ern sogar mit deutschen Texten angefangen. Ich selbst habe 2006 mit „360 Heimat“ ein deutsches Soloalbum herausgebracht. Deutsch geht für uns einfach tiefer . . .
Aber inzwischen macht es fast jeder deutsche Künstler, auch wenn er früher immer nur Englisch gesungen hat . . .
Das stimmt und ehrlich gesagt: Ich freue mich für den Erfolg dieser Künstler, aber nicht alles davon ist immer gut und relevant. Wenn ich mir dagegen zum Beispiel Elif anhöre, eine junge Singer-Songwriterin mit deutsch-türkischen Wurzeln, dann sagt sie zum Beispiel mit ihrem Song „Baba“ mehr über Migration in Deutschland als all die ganzen Flüchtlingsdebatten in unserem Land. Wie Bruce Springsteen schon sagt: Du kannst von einem dreiminütigen Popsong manchmal mehr lernen als in 3 Jahren in der Schule.
Gibt es solche Talente erst jetzt? Oder waren die in den 1990ern auch schon da?
Großes Talent gab es schon immer. Im Zeitalter der Heimstudios und weltweiten Digitalvertriebe gibt es heutzutage ganz andere Möglichkeiten, sich zu präsentieren. Diese Chancen hatte man damals so in der Form nicht.
Auch in den Texten auf der neuen Platte spürt man die ein oder andere Kulturkritik. Das trifft dann auch schon mal Facebook oder Instagram. Wie politisch sind die Wingenfelders?
Ich weiß, dass ich von der Bühne aus nicht wirklich die Welt retten kann. Ich kann mein Forum jedoch nutzen, um Dinge anzusprechen und das tun wir auch. Ansonsten bezieht sich unser Engagement eher sehr viel auf lokale Projekte vor der eigenen Haustür. Da kehrt es sich immer noch am besten.
Das ist ja fast schon ein kommunalpolitisches Engagement . . .
Wir leben gerne im Oberbergischen. Ich setze mich hier auf mein Fahrrad und bin innerhalb von 15 Minuten an Orten mit Aussichten, da bleibt einem die Spucke weg. Und wir haben auch nicht vor, hier wegzugehen. Nur in der Kulturlandschaft, da ginge noch viel mehr, glaube ich. Man bräuchte eine gemeinsame Marke, die die kulturellen Orte in Nümbrecht, Wiehl oder Gummersbach miteinander verbindet. Mal sehen, vielleicht stellen wir da auch noch was auf die Beine.
Für mich fehlt da noch eine Frage, wenn ich mir Ihren Weg so ansehe: Wann tauchen Ihr Bruder Kai und Sie endlich bei „Sing meinen Song“ im Fernsehen auf Vox auf?
Das ist ein tolles Format, von denen es ja auch kaum mehr welche gibt im TV. Genug Songs dafür hätten wir ja auf jeden Fall – und sicher wäre es reizvoll mal zu hören, was zum Beispiel ein Rea Garvey oder Ähnliche daraus machen.
Warum funktioniert so ein Format so gut?
Weil es die Menschen berührt und hier und da überrascht. Da siehst Du dann als Zuschauer, wie gut ein Daniel Wirtz zum Beispiel zu singen vermag – und was für Texte ein Hartmut Engler schreiben kann. Die beiden würdest du so eigentlich nicht übereinander bekommen. Aber Musik im Radio und TV: Das ist eine Wissenschaft für sich. Werthaltiges Radio, bei dem jemand entscheidet „Das ist ein guter Song, den spielen wir“, gibt es so fast gar nicht mehr. Für Projekte wie „Wingenfelder“ macht es das sicherlich nicht einfacher.
Sie müssten so einen harten Weg für den Erfolg doch gar nicht mehr gehen. Das letzte Jahr hat doch gezeigt, wie schnell Sie mit Fury Hallen oder sogar ganze Stadien füllen könnten.
Ich will nicht vermessen klingen, aber: Was ist denn genau Erfolg? Das neue Album von „Wingenfelder“ zum Beispiel ist für mich ein Erfolg. So eines machst Du nur alle 10 bis 15 Jahre. Und fürs Ego hätte ich das Jahr mit Fury wahrscheinlich nicht gebraucht. Und wahrscheinlich genau deshalb konnten wir ja alles so entspannt genießen und uns daran erfreuen. Aber mal sehen, was noch kommt, vielleicht spielen wir wirklich mal mit Fury vor fast 50 000 in der HDI-Arena in Hannover. Das wäre noch mal eine Geschichte: Von der Kneipenband in Hannover ins Fußball-Stadion. Aber nur, wenn es Spaß macht.