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Interview mit Bodo Löttgen„Kein Tag ohne Entscheidungssituation“

Lesezeit 7 Minuten
Bodo Löttgen Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion

Bodo Löttgen, Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion

Gummersbach – Mit der Landtagswahl geht für Bodo Löttgen die erste Legislaturperiode im Rampenlicht des Parlaments zu Ende: 2017 hatte der Nümbrechter, der als Architekt von Armin Laschets Wahlsieg galt, die Führung der CDU-Fraktion. Im Gespräch mit Frank Klemmer zieht der 62-Jährige, der wieder für den Landtag kandidiert, eine sehr persönliche Bilanz. Ihr Vater ist in der vergangenen Woche gestorben und nur zwei Flugstunden entfernt tobt ein Krieg in der Ukraine. Welchen Einfluss hat das auf Sie, möglicherweise auch auf den beginnenden Wahlkampf, Herr Löttgen?Bodo Löttgen: Es war mein Vater, der mich an die Politik herangeführt und in die Politik gebracht hat. Sein Tod ist ein schwerer Verlust. Er hätte mich sicherlich darauf aufmerksam gemacht, dass es in Kriegszeiten darauf an kommt, nicht das Trennende in der Politik zu suchen, sondern Gemeinsamkeiten zu finden, um Sicherheit und Stabilität zu gewährleisten.

Mehr als 70 Jahre sind wir im Bewusstsein aufgewacht, dass es geradezu selbstverständlich ist, in einer Demokratie mit all ihren Freiheiten unser Leben eigenverantwortlich gestalten zu können. Putins Angriffskrieg greift dieses Selbstverständnis in seinem Kern an und sollte uns deutlich machen, dass wir erheblich mehr Einsatz zeigen müssen, um unsere demokratischen Strukturen wirksam nach innen und außen zu schützen.

Ihre erste Legislaturperiode als CDU-Fraktionsvorsitzender neigt sich gerade dem Ende zu. Wie lautet Ihre persönliche Bilanz?

Das kommt ganz darauf an, ob Sie mich nach der Zeit vor Februar 2020 fragen oder nach der Zeit danach. Mit den ersten Corona-Fällen hier in NRW hat sich vieles geändert. Ich habe Negatives erlebt, aber auch viel Positives – wie die enormen Leistungen vieler Menschen von Verkäufern bis hin zu Lkw-Fahrern, aber vor allem in der Pflege und in den Krankenhäusern.

Und das Negative?

Da gibt es diejenigen, die rückblickend alles besser wissen. Und diejenigen, die Corona für eine Erfindung halten. Ich finde auch, dass man die Pandemie noch mal teilen muss: In die Zeit vor Dezember 2020 und in die danach, als wir durch den Impfstoff etwas bekommen haben, was viele, viele Leben gerettet hat und Millionen, nein: Milliarden Menschen hilft, besser durch die Pandemie zu kommen.

Was hat sich denn ganz konkret für jemanden geändert, der wie Sie seit gut zehn Jahren Landespolitik in der ersten Reihe macht – erst als CDU-Generalsekretär, dann als Fraktionsvorsitzender?

Seit die Pandemie die Politik bestimmt, vergeht im Prinzip kein Tag mehr, ohne dass man in einer echten Entscheidungssituation steckt – mit erheblichen Auswirkungen.

Ist das anstrengend?

Anstrengend ist der falsche Begriff. Es ist belastend, aber man bekommt schon einen neuen Blick auf Prioritäten, auf das, was uns wichtig sein sollte.

Es sind die zweiten fünf Jahre unter CDU-Führung in NRW, die Sie im Landtag miterleben. Was ist anders als 2010, als die Macht gleich bei der nächsten Wahl wieder verloren ging?

Stark verbessert hat sich für mich vor allem das Verhältnis des Landes zu den Städten, Gemeinden und Kreisen. Wir haben von damals gelernt, wie wichtig Wertschätzung gegenüber der Kommunalpolitik ist. Gegenseitiges Vertrauen und Zutrauen ist dort am wichtigsten, wo das Verwaltungshandeln vor Ort beginnt.

Haben Sie in den fünf Jahren geschafft, was Sie erreichen wollten?

Ja, wir haben manches erreicht und in vielen Bereichen richtige Weichen gestellt. Wir hatten aber auch einige Zeitverluste. Nicht nur durch die Pandemie, sondern auch durch die verheerende Flut. Gerade bei der Infrastruktur kommen dann auch noch akute Probleme wie die A 45-Brücke hinzu. Einiges ist deshalb noch auf der Werkbank.

Niemand, wirklich niemand hat Bodo Löttgen nach der Wahl 2017 darum beneidet, als Fraktionsvorsitzender eine Ein-Stimmen-Mehrheit von CDU und FDP zu organisieren. Verraten Sie uns: Wie macht man das?

Zunächst einmal haben sich da in den Koalitionsverhandlungen 2017 Menschen neu kennengelernt – Menschen, nicht Politiker. Durch vertrauensvolle Zusammenarbeit konnten wir in kurzer Zeit viele Häkchen an wichtige Projekte setzen wie zum Beispiel das Polizeigesetz und das Landesplanungsgesetz. Wir bleiben dennoch unterschiedliche Parteien mit unterschiedlichen Auffassungen und Grundordnungen. Aber gerade bei den wichtigen Themen Freiheit und Sicherheit haben wir sehr oft als Produkt politischer Klugheit einen Konsens gefunden. Und mein Ziel ist noch nicht ganz erreicht: Ich möchte auch bis zur Wahl keine einzige Abstimmung mit unserer Ein-Stimmen-Mehrheit verlieren. Ein paar Abstimmungen haben wir ja noch . . .

Wie viel politische Klugheit brauchte es dabei denn zuletzt? Vor allem in der Corona-Politik und erst recht seit der Bundestagswahl klingen CDU und FDP auch in NRW so fremd wie seit ewig langer Zeit nicht mehr . . .

Nein, das gute Verhältnis, das zu unseren Erfolgen geführt hat, ist – auch auf der persönlichen Ebene – unverändert. Ich weiß, dass Politik kein Wunschkonzert ist, aber wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich nach der Wahl immer mit der FDP weiter arbeiten wollen.

Wäre in NRW die dann neue und alte Landesregierung für eine Impfpflicht oder nicht?

Sagen wir es so: Der Beschluss, eine einrichtungsbezogene Impfpflicht einzuführen, war kein Fehler. Und selbstverständlich wird NRW ein beschlossenes Gesetz auch umsetzen. Das ist für mich keine Frage.

Aber?

Die Frage, die wir uns vor allem bei der Diskussion um eine allgemeine Impfpflicht stellen müssen, ist doch, ob wir sie dann, wenn sie beschlossen wird, überhaupt brauchen. Wenn es eine Mutation gibt, die so ansteckend wie Omikron und dazu gefährlicher ist, was die schweren Verläufe angeht, brauchen wir eine Impfpflicht für den nächsten Herbst – aber nicht im Sommer. Was spricht also dagegen, ein Gesetz vorzubereiten, aber noch nicht zu verabschieden? Ein Gesetz also, das alles beinhaltet, aber erst scharf geschaltet wird, wenn wir es wirklich brauchen? Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen.

Wie nehmen Sie denn die Proteste gegen die Impfpflicht auch und vor allem in den vergangenen Wochen in Gummersbach wahr?

Zunächst einmal muss ich sagen: Das ist Demokratie pur. Ich habe manchmal den Eindruck, wir haben verlernt wertzuschätzen, dass wir darin leben. Dazu gehört auch, dass nicht alles eine Einheitssoße ist. Dieser Protest steht jedem frei, vor allem wenn er wie im Fall der Demos auch in Gummersbach im Kern friedlich geäußert wird – egal von wem.

Gilt das auch für die Argumente, die auch auf den Gummersbacher Straßen gegen eine Impfpflicht vorgebracht werden – oder Äußerungen dort bis hin zur Maskenpflicht als staatlich verordnetem Selbstmord?

Wir müssen hinnehmen, dass die Argumente, die geäußert werden, stark polarisierend wirken. Aber wir müssen sie nicht übernehmen. Unabhängig von dem, was auf unseren Straßen passiert, ist offensichtlich, dass die Debatte vor allem im Internet von interessierten Gruppen mit Falschinformationen geführt wird, die leider zu viele Menschen für bare Münze nehmen. Da sind nicht nur rechtsextreme Netzwerke am Werk, da gibt es auch geopolitische Gründe, unsere Gesellschaften zu destabilisieren. Aber es bleibt dabei: Es ist eine Minderheit – nicht nur im Netz, auch auf den Straßen.

Sie sagen selbst, wenn Sie über die Entwicklung der Pandemie reden, das Wörtchen Wenn: Was lehrt uns die Pandemie über die begrenzten Möglichkeiten von Politik, wenn sich das blöde Virus zum Beispiel wieder mal nicht an die so schön verhandelten Stufenpläne für Öffnungen halten will?

Es lehrt uns vor allem Demut – das ist das richtige Wort. Das Wichtigste aber wird sein, dass wir lernen, in der Normalität zu leben, wenn am 19. März wirklich viele der bisher geltenden Regeln endgültig auslaufen. Ich bin keiner von denen, die sich viel zu schnell daran gewöhnt haben, in die Grundrechte der Menschen einzugreifen. Und zur Erinnerung: Die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme muss man nur prüfen, wenn man Freiheiten einschränkt, nicht wenn man diese wiederherstellt. Wir sollten diese Normalität nutzen, um uns angesichts des Krieges in der Ukraine gemeinsam um den Fortbestand und die Stabilität der Demokratie zu kümmern.