Heute ändert sich die Zuständigkeit für das „Wohngeld-Plus“. Damit könnte über Oberbergs Rathäuser eine Flut von Anträgen hereinbrechen.
Wohngeld-PlusMehr Arbeit durch neue Anträge für Oberbergs Rathäuser
Wenn sich heute, am 1. Juli, per Gesetz die Zuständigkeit wechselt, dann könnte über Oberbergs Rathäuser eine Flut von Anträgen hereinbrechen – oder auch nicht. Seit 1. Januar zahlen die Sozialbehörden das „Wohngeld-Plus“. Und wenn dieser Zuschuss zur Miete oder zum Eigentum (als Lastenzuschuss) höher ist als das Bürgergeld, sind für diese Zahlungen eben die Sozialverwaltungen der Kommunen zuständig und nicht mehr – wie bisher – die Jobcenter.
„Schon zum Stichtag 1. Januar hatten wir 80 Prozent mehr Fälle als zuvor“, berichtet etwa Jens Gördes, Leiter des Waldbröler Sozialamtes. Das bestätigt in etwa die Prognosen, die das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen geäußert hat: Die Anzahl der Haushalte, die Anspruch auf das neue Wohngeld haben, werde sich bundesweit verdreifachen. Und Haushalte, die bereits diese Unterstützung erhalten, können mit deutlich mehr Geld rechnen, mancher sogar mit der doppelten Summe wie bisher.
Klar ist: Jeder Fall in Oberberg muss nun neu geprüft werden
In der Marktstadt gab es nach Angaben von Gördes zuletzt 638 Wohngeld-Fälle (Stand Ende April). Er spricht allerdings von Bedarfsgemeinschaften – das sind Familien, Lebensgemeinschaften, Alleinstehende.
„Klar ist: Jeder Fall muss neu geprüft werden“, betont Heike Herzog, Leiterin des Jobcenters für Waldbröl und Morsbach, dass die Übertragung von Fällen an die kommunalen Verwaltungen weniger Arbeit bedeutet, „im Gegenteil“. Wer weniger als 400 Euro an Bürgergeld im Monat erhalte, der könne seinen Fall prüfen lassen, schildert Herzog. Konsequenz: Rathaus und Jobcenter müssen erneut eng zusammenarbeiten, soll alles reibungslos klappen. Neu ist diese Situation übrigens nicht: Als die Betreuung aus der Ukraine Geflüchteter von den Jobcentern in die Verantwortung der örtlichen Verwaltungen überging, mussten die Behörden das erste Mal zusammenrücken. Herzog: „Wir hatten also ein Jahr Zeit, um für Wohngeld-Plus zu üben, wenn man so will.“
Bürgermeisterin von Waldbröl übt harsche Kritik an Bundesregierung
In den Rathäusern aber steigt der Aufwand, die Arbeit wird mehr. „Seit dem 1. Mai kümmern sich hier in Waldbröl drei statt bisher zwei Vollzeitkräfte um die Wohngeld-Zahlungen“, berichtet Eckhard Becker, zuständiger Fachbereichsleiter. Zuletzt aber seien rund 340 Anträge nicht bearbeitet, die Wartezeit auf einen Bescheid liege derzeit bei sechs Monaten. „Wegen der guten Aufklärung ist die Zahl der Beschwerden glücklicherweise gering“, führt Amtsleiter Gördes aus. Grund dafür sei, dass sich die Menschen, die einen Antrag für das Wohngeld-Plus ans Rathaus richten, zuvor gründlich informiert hätten.
Während die Regierung das erneuerte Wohngeld als Reform anpreist, ist es für Waldbröls Bürgermeisterin Larissa Weber ein echtes Ärgernis – „nicht nur, weil wir mehr Mitarbeitende einstellen und mehr Geld zahlen müssen“. „In Berlin hat niemand die Kommunen und an die Kosten gedacht, die damit über die Städte und Gemeinden hereinbrechen“, kritisiert sie. „Wir brauchen Hilfe, die Finanzierung der Kommunen muss endlich gesichert werden.“
Larissa Weber fürchtet, dass weniger Menschen Lust auf Arbeit haben
Weber fürchtet zudem, dass die erhöhten Beträge die Lust aufs Arbeiten im sozialversicherungspflichtigen Verhältnis, etwa in einem 520-Euro-Job, schwinden lassen, zumal das Wohngeld-Plus mit weiteren Zuschüssen, etwa aus dem Bereich „Bildung und Teilhabe“, kombiniert werden kann. „Das Gesetz schafft da völlig falsche Anreize“, urteilt die Rathauschefin und bangt etwa um Betriebe in der Gastronomie, die auf Aushilfen angewiesen seien. „Und der Fachkräftemangel verschärft sich noch dazu“, ergänzt Larissa Weber. „An die Langzeitfolgen des Wohngeldes hat in der Hauptstadt offenbar niemand gedacht.“
Tatsächlich hätten nun auch Menschen Anspruch auf Wohngeld, die bisher ohne klargekommen seien, fügt Heike Herzog vom Jobcenter hinzu. Auch da habe sich die Bearbeitungszeit inzwischen verdreifacht. Bei einer Weiterleitung ans Rathaus springt das Jobcenter ein „beim Schippchen obendrauf“, bis die Bewilligung von dort die Empfängerin oder den Empfänger erreicht. Viele Fälle seien sehr komplex, ergänzt Jens Gördes, „dazu tragen beispielsweise befristete Arbeitsverträge oder oft wechselnde Jobs kräftig bei“. Um Rückerstattungen zu vermeiden, bewillige die Stadt das Wohngeld jeweils für ein Jahr.
Für seine Chefin Larissa Weber wäre auch dies Anlass genug zu einem ganz großen Schritt: „Warum werden die örtlichen Sozialbehörden nicht unter einem Dach vereint?“
So sieht es zum Beispiel in Gummersbach aus
In den vergangenen Wochen haben sich Oberbergs Rathäuser und die örtlichen Jobcenter abgestimmt, wie die Zusammenarbeit künftig funktionieren kann. Zudem haben die Verwaltungen dafür neue Leute eingestellt – so auch in Gummersbach. „Wir haben vier zusätzliche Stellen geschaffen und besetzt“, schildert Fabienne Schönig, Ressortleitung „Soziale Hilfen“. „Insgesamt sind in der Wohngeldstelle jetzt sechs Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter beschäftigt.“
Auch in der Kreisstadt ist ungewiss, wie viele Erstanträge oder Neuanträge das Rathaus erreichen nach dem 1. Juli: „Eine belastbare Prognose ist momentan nicht möglich“, erklärt auch Schönig. Zurzeit gebe es in Gummersbach Wohngeld für 2400 Haushalte (Stand Mai). Die Bearbeitungszeit für einen Antrag, so Fabienne Schönig, hänge stets vom Einfall ab. Aber: „Bei Neuanträgen muss mittlerweile mit einer Wartezeit von mehr als sechs Monaten gerechnet werden.“