NS-Zeit in OberbergLandrat will nach Kritik externen Historiker beauftragen
Gummersbach – Bei welchen Aspekten der oberbergischen NS-Geschichte gibt es noch besonderen Forschungsbedarf? Was sollte dabei Vorrang haben? Landrat Jochen Hagt will dem Kreistag vorschlagen, dass sich ein externer Historiker mit diesen Fragen beschäftigt. So hat es Hagt am Montagabend im Anschluss an einen Vortrag des Regionalhistorikers Gerhard Pomykaj angekündigt.
Er habe bereits Kontakt zu mehreren Universitäten aufgenommen, berichtete Hagt. Er sei Pomykaj dankbar für die Feststellung, dass die Forschung nicht abgeschlossen sei. Dass der Bergneustädter Politaktivist Lothar Gothe die Aufarbeitung der NS-Geschichte in einer Einwohnerfrage an den Kreistag erneut thematisiert habe, sei darum ebenfalls richtig gewesen, sagte der Landrat.
Pomykaj spricht seinen Kritikern die wissenschaftliche Kompetenz ab
Hagt bemühte sich so, die Wogen zu glätten, die das Thema jüngst geschlagen hatte und auch am Montagabend im Seminarraum der Halle 32 zu Tage getreten waren. Rund 200 Zuhörer, darunter viele Protagonisten der oberbergischen Politik und Erinnerungskultur, erlebte eine teils hochemotionale Debatte. Der frühere Gummersbacher Stadthistoriker und Leiter des Kreisarchivs Pomykaj war aus Bochum nach Gummersbach zurückgekehrt, um einen Überblick über die Publikationen zu geben, die über die NS-Zeit in Oberberg erschienen sind. Hintergrund ist der namentlich von Gothe erhobene Vorwurf, dass Pomykaj auf diesem Feld große Lücken hinterlassen habe, die nur von einem „unabhängigen“ Historiker geschlossen werden könnten.
Pomykaj gab seiner großen Verärgerung darüber Ausdruck, dass ihm in „gezielten Angriffen“ unterstellt werde, er habe das Thema vernachlässigt und das auch noch im Auftrag des Landrats. Diese Unterstellung sei „abstrus“, „empörend“, „eine Beleidigung“. Pomykaj sprach seinen Kritikern die wissenschaftliche Kompetenz ab, zudem hätten sie offenbar die vorliegenden Bücher nicht gelesen.
Vortrag: Oberbergische Publikationen zur Nazizeit
In seinem chronologischen Vortrag stellte er die Publikationen zur Nazizeit in Oberberg vor: angefangen mit Festchroniken aus den 1950er Jahren, die vor allem von Selbstmitleid geprägt gewesen seien. Noch 1977 habe Otto Kaufmann in einem Buch zur Nümbrechter Geschichte schlimme antisemitische Klischees verbreitet. Erst Ende der 1980er Jahre seien die ersten ernstzunehmenden Texte erschienen. Von herausragender Bedeutung sei Heinz-Wilhelm Brandenburgers Buch „Ley-Land“, betonte Pomykaj.
Wichtige Beiträge seien zudem die Veröffentlichungen von Anne Voglmayr, Jürgen Woelke, Volker Dick, Richard Fabritius, Henner Luyken, Maik Bubenzer, Dieter Lange oder zuletzt Frederik Grundmeier, Michael Kamp und Robert Wagner. Pomykaj hob sein eigenes Wirken besonders hervor. In zahlreichen Vorträgen und Aufsätzen habe er trotz schwieriger Quellenlage die NS-Zeit mit ihren Strukturen und prägenden Figuren beleuchtet. Mit dem heute leider vergriffenen dritten Band der „Oberbergischen Geschichte“ habe er dann 2001 ein „Überblicks- und Standardwerk“ vorgelegt.
Pomykaj: Untersuchung der oberbergischen Kommunalpolitik nicht verhältnismäßig
Pomykaj wies darauf hin, dass er einer der Initiatoren der Umbenennung des Gummersbacher Marktplatzes in „Simonsplatz“ war, mit der an eine jüdische Familie aus der Stadt erinnert wird. Zudem habe er sich für die Taufe einer Straße nach dem NS-Gegner Wilhelm Heidbreder eingesetzt und sich gegen eine entsprechende Ehrung für den früheren Oberkreisdirektor Friedrich-Wilhelm Goldenbogen ausgesprochen, was ihm bis heute böse Briefe einbringe.
Goldenbogen, so merkte Pomykaj an, sei „kein Demokrat“ gewesen, „man kann ihn aber auch nicht zum schwerbelasteten Nazi umdeuten“. In diesem Zusammenhang hält der Historiker eine allgemeine Untersuchung der oberbergischen Kommunalpolitik, wie von seinem Kritiker Gothe gefordert wird, als „zweite Entnazifizierung“ für nicht verhältnismäßig. Kontinuitäten habe es nicht nur in der Politik, sondern in allen gesellschaftlichen Bereichen gegeben. Dennoch seien weitere Forschungen sicher sinnvoll. Die historische Aufarbeitung sei ein ständiger, nicht abschließbarer Prozess, merkte Pomykaj an: „Wir befragen die Geschichte immer von der Gegenwart her.“
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Der Pomykaj-Kritiker Gothe ergriff in der Diskussion als erster das Wort und gestand zu, kein Fachhistoriker zu sein: „Ich komme von den Menschenrechten.“ Seine Recherchen hätten aber zu dem Ergebnis geführt, dass sich Goldenbogen „durch die Entnazifizierung gelogen“ habe und ein Nazi geblieben sei. „Dass dieses Thema in Oberberg nicht unabhängig untersucht worden ist, bleibt ein wissenschaftlicher Kunstfehler.“
Wolfgang Birkholz, bis vor kurzem Vorsitzender der Oberbergischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, nannte die Art und Weise, in der in Nümbrecht die nach Otto Kaufmann und Dr. Heinrich Schild benannten Straßen ohne umfangreiche Debatte umgetauft wurden, beispielhaft für eine unzureichende Aufarbeitung. Er sei dem Landrat dankbar für die Initiative, neue Forschung anzuregen.
Zuhörer Maik Bubenzer sprach sich in der Diskussion dafür aus, die regionale NS-Geschichte im Schulunterricht aufzugreifen. Heinz Kowalski warb dafür, auch den Widerstand in Erinnerung zu bringen. Moderator Martin Kuchejda resümierte am Ende der Veranstaltung: „Wenn Geschichte eine Kontroverse auslöst, dann ist das auch positiv – weil es nicht egal ist.“