„Fürchtete um mein Leben“Wie perfide Telefonbetrüger Senioren um ihr Geld bringen
Oberberg – Kaum ein Monat, in dem nicht auch in dieser Zeitung berichtet wird, wie skrupellos Ganoven Senioren übers Ohr hauen und um Zigtausende Euro erleichtern. Magdalena Schneider (Name geändert) kennt die Meldungen, sie weiß, was der Enkeltrick ist und dass falsche Polizisten vor angeblichen Einbrüchen warnen oder Geld für eine Kaution gefordert wird, um Angehörige nach einem von ihnen verschuldeten schweren Verkehrsunfall im Ausland aus der Untersuchungshaft zu holen.
Dass ausgerechnet sie trotzdem zum Opfer wurde, kann die 85-Jährige bis heute nicht wirklich begreifen. Aber es ist so. 10 000 Euro hat man ihr vor einigen Wochen abgenommen, „das ist der Hammer“, schüttelt sie immer wieder den Kopf. Ihren Namen und den Wohnort will sie nicht in der Zeitung lesen, aber sie war bereit, uns ihre Erlebnisse zu schildern, damit es anderen nicht so ergeht wie ihr Mitte Mai.
Es war an einem Donnerstagabend, gegen 20.15 Uhr. So spät ruft sonst nie jemand bei Magdalena Schneider an. Als sie abhebt, meldet sich ein angeblicher Polizist. Bei einer Kontrolle habe man gerade drei Rumänen in einem schwarzen Mercedes überprüft und Hinweise bei ihnen entdeckt, dass sie noch an diesem Abend bei ihr einbrechen wollten. Drei weitere Männer seien entwischt und möglicherweise schon auf dem Weg zu ihr. Schneiders Tochter sei inzwischen am Kontrollpunkt eingetroffen. Weitere Anweisungen würden folgen, die alte Dame solle nur ja das Telefon nicht auflegen.
„Es gibt ja Google Maps“
Der Anrufer verfügte über Ortskenntnise, erwähnte Straßen, die es in Schneiders Wohnort ganz in der Nähe ihrer Wohnung wirklich gibt. Tatsächlich aber sind die Täter nie wirklich in der Nähe, sagt Kriminalhauptkommissar Torsten Ringsdorf. Im Fall der falschen Polizisten kommen die meisten Anrufe aus einem Callcenter in der Türkei (s. Infokasten „Miese Maschen“): „Die telefonieren den ganzen Tag die Telefonbücher durch, meistens in den Regionen, in denen sie gerade Abholer stationiert haben.“ Bevorzugt Leute mit älter klingenden Vornamen werden kontaktiert, meist alleinstehende Frauen, wie sich anhand des Telefonbucheintrags vermuten lässt: Hannelore, Elfriede, Brigitte – oder eben Magdalena. Vor Ort ausbaldowert wird da nichts. Und die angeblichen Ortskenntnisse? „Brauchen sie nicht, es gibt ja Google Maps“, sagt Ringsdorf.
Trotz ihres hohen Alters wirkt Magdalena Schneider nicht leichtgläubig. Und schon gar nicht tüdelig oder leicht übers Ohr zu hauen. Trotzdem ist sie auf den Trick, den sie kannte, hereingefallen. Wie kann das sein?
Die kriminellen Anrufer sind gut geschult. Sie verstehen es perfekt, die Anrufer vom ersten Augenblick an unter Druck zu setzen. Diese Erfahrung musste auch Magdalena Schneider machen: „Von einem Augenblick auf den anderen war ich total in Panik, ich fürchtete um mein Leben“, erzählt die Seniorin, „es klang alles so echt.“ Dass eine Woche zuvor ein mysteriös wirkender neuer Mieter auf ihrer Etage eingezogen war, verstärkte ihre Angst, dass sie wirklich in großer Gefahr schwebte. Ihre Tochter konnte sie nicht um Hilfe rufen oder um Rat fragen, sie durfte ja das Telefon nicht auflegen.
Dreistigkeit nicht zu überbieten
Über gut zweieinhalb Stunden hielt der Betrüger die alte Dame hin, ließ sie ihr Bargeld zusammensuchen und sogar die Nummern einzelner Geldscheine vorlesen – alles, um Zeit zu schinden und den Abholer anreisen zu lassen. Als der Gangster offenbar selber eine Pause wollte, meldete er sich für eine Viertelstunde ab, Schneider aber musste am Apparat bleiben.
Die Dreistigkeit der Gangster ist nicht zu überbieten. Zwar riechen die meisten Angerufenen den Braten und beenden das Telefonat sofort, aber wen die Betrüger einmal am Haken haben, von dem lassen sie nicht mehr ab. Ist kein Geld, Schmuck oder Gold in der Wohnung, werden die Opfer am nächsten Tag zur Bank geschickt. Striktestes Stillschweigen auch den Angehörigen gegenüber wird ihnen eingebläut. In einem Fall schickten die Betrüger eine oberbergische Seniorin tatsächlich an zwei Tagen hintereinander zum Geldholen auf die Bank. Vor dem dritten Mal kam der Frau die Sache endlich merkwürdig vor und sie schaltete die Polizei an. Bei der Geldübergabe konnten zwei Personen festgenommen werden.
An die Hintermänner heranzukommen, ist schwer. Aber es gibt Möglichkeiten. Welche, darüber will Hauptkommissar Ringsdorf nichts sagen, aber zu vermuten ist, dass Funkzellenprüfung, Handyortungen und Abhörmaßnahmen dazu gehören. Demnächst soll zwei Telefonbetrügern in Gummersbach der Prozess gemacht werden.
Bargeld ist Generationenfrage
Ein Beispiel ganz besonderer krimineller Kaltschnäuzigkeit erlebte Ringsdorf in einem anderen Fall: Die echte Polizei war gerade dabei, das Betrugsopfer zu vernehmen, als die Gauner erneut anriefen und ihr Opfer dreist aufforderten: „Sagen Sie unseren Kollegen Bescheid, dass wir gerade weitere 70 000 abgeholt haben...“ In einem anderen Fall beschwerten sich die Gangster anschließend, dass man ihnen billigen Modeschmuck übergeben habe.
Warum ältere Menschen so viel Geld in der Wohnung aufbewahren statt auf dem Bankkonto, ist ein weiteres Phänomen, das es den Betrügern leicht macht. Ältere Menschen kennen den Umgang mit Bargeld von Jugend an. Kredit- und Bankkarten oder Online-Banking sind ihnen nicht so vertraut, das ist auch eine Generationenfrage.
Miese Maschen
Die älteste Masche der Telefonbetrüger ist der „Enkeltrick“, bei dem der Anrufer suggeriert, er sei der Enkel der Angerufenen und gerade finanziell in der Klemme. Durch geschicktes Ausfragen erfährt der Ganove Details aus dem Leben der Opfer, die er im weiteren Gespräch benutzt, um glaubhaft zu erscheinen. Der Enkeltrick wurde in Polen erfunden und wird bis heute von Callcentern dort immer noch eingesetzt. Das Gros der falschen Polizisten meldet sich zurzeit aus Callcentern in der Türkei.
Der Anrufer suggeriert den Angerufenen, sie seien in akuter Gefahr, Opfer eines Einbruchs zu werden. Sie sollen ihre Wertsachen sicherheitshalber der Polizei übergeben und irgendwo deponieren, damit ein Beamter sie abholen kann. Inzwischen werde beide Methoden auch kombiniert: Blitzt der falsche Enkel ab, meldet sich kurz darauf ein angeblicher Polizist, der rät, zum Schein mit dem falschen Enkel zu kooperieren. Man habe ihn unter Beobachtung und werde zugreifen, sobald die Übergabe erfolgt sei. Alles ist dabei aber natürlich erstunken und erlogen. (kn)
Magdalena Schneider ist es gewohnt, Geld im Haus zu haben. Wenn sie mal mit der Tochter wegfährt, essen geht oder zum Shoppen, zahlt sie. Die 10 000 Euro haben sich schlichtweg angesammelt. Die Seniorin holte regelmäßig Geld von der Sparkasse, was sie nicht verbrauchte, wurde es in einer Kassette verwahrt.
Schlimme Nacht durchlitten
Gegen 23 Uhr erhielt Schneider die Anweisung, das Geld vor die Haustüre zu legen. Es werde abgeholt und der Tochter übergeben. Am nächsten Mittag werde eine Frau Weber vorbeikommen, um mit ihr zur Staatsanwaltschaft fahren. Vorher dürfe sie niemandem von dem Vorgang erzählen.
Die 85-Jährige tat wie ihr geheißen und deponierte das Geld in einem Umschlag vor der Haustüre. Vermutlich wurde sie dabei beobachtet und das Geld schon Augenblicke später von einem Komplizen des Anrufers abgeholt. Erst als am nächsten Mittag Schneiders Tochter ihre Mutter im Hausflur auf die Frau Weber wartend traf, flog der Schwindel auf.
Bis dahin hatte die 85-Jährige eine schlimme Nacht durchlitten: „Ich traute mich vor lauter Angst nicht ins Bett und bin auf dem Sofa geblieben.“ Eine Woche lang übernachtete ihre Tochter bei ihr, um die Angst abzubauen. Die ist jetzt – vier Wochen danach – immer noch nicht weg. Tagsüber geht’s, aber wenn der Abend kommt, kommt auch die Unruhe wieder.
Finanzieller und seelischer Schaden ist groß
Schneider und allen anderen Betroffenen kann die kriminalpolizeiliche Opferschutzberatung versuchen zu helfen. Was passiert ist, können die Mitarbeiter natürlich nicht ungeschehen machen. „Hauptziel ist, ihnen die Angst zu nehmen, dass die Gangster wiederkommen könnten“, sagt Sabrina Maar, Opferschutzbeauftragte Kriminalität bei der Kreispolizeibehörde: „Die Opfer werden absolut zufällig aus dem Telefonbuch ausgewählt.“ Ist der Coup über die Bühne gegangen, ist der Fall für die Kriminellen erledigt. „Die kommen nicht wieder“, sagen Ringsdorf und Maar. Warum auch?
Die allermeisten Angerufenen kommen zum Glück ungeschoren davon. Dass sich viele von ihnen trotzdem bei der Polizei melden, ist richtig, sagen Ringsdorf und Maar, das gibt der Polizei ein besseres Lagebild über die Aktivitäten der Gauner in der Region. An einem Tag haben sich schon mal 20 Oberberger gemeldet, die von falschen Anrufern berichteten.
Rund ein Dutzend Fälle von vollendetem Enkelbetrug, falschen Polizisten oder Schockanrufen gab es im vergangenen Jahr. Das sind nicht viele, aber der finanzielle und noch mehr der seelische Schaden bei den Opfern ist groß – und anhaltend. „Alte Menschen so abzuziehen, ist wirklich unterste Schublade“, sagt Opferberaterin Maar.
Polizei setzt verstärkt auf Prävention
Sind die Telefonbetrüger mit ihren miesen Maschen durchgekommen, gibt es keine Möglichkeiten, den Schaden gutzumachen. „Den Opfern zuhören und helfen, dass sie wieder positiv nach vorne blicken können“, nennt Sabrina Maar deshalb das wichtigste Ziel der Gespräche, die sie als Opferschutzbeauftragte Kriminalität bei der Kreispolizeibehörde mit den Betroffenen führt. „Ganz wichtig ist, ihnen die Angst zu nehmen und klarzumachen, dass keine Gefahr für sie besteht. Es war ein einmaliges Geschehen und reiner Zufall, dass ausgerechnet sie angerufen wurden.“
Maar berichtet von der großen Scham, die die Opfer empfinden, niemand soll davon wissen, die Nachbarn nicht und manchmal nicht einmal die Angehörigen.
Das könnte Sie auch interessieren:
Damit Senioren möglichst nicht auf Telefonbetrüger hereinfallen, informiert der Opferschutz im Rahmen von Vorträgen und mit Infobroschüren. „Im Alter sicher leben“ heißt die Broschüre mit vielen Fallbeispielen, die Polizei und Weißer Ring herausgegeben haben. Empfehlenswert ist auch „Ausgetrickst? Nicht mit uns!“ – ein Stück des Altentheaters am Freien Werkstatt Theater Köln auf Youtube.