AboAbonnieren

Schutz vor GewaltFrauenhaus Oberberg bietet Chance für den Neuanfang

Lesezeit 5 Minuten
Eine Frau sitzt in einem Frauenhaus auf einem Bett. 

Start in ein Leben ohne Gewalt: Diese Aufnahme stammt aus dem Frauenhaus in Herne. Der Standort der oberbergischen Einrichtung muss geheim bleiben.

Anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen haben wir das oberbergische Frauenhaus besucht und mit einer Betroffenen gesprochen.

„Wenn es an der Tür klingelt, fängt mein Herz an zu rasen. Dann packt mich die Panik, ich kriege keine Luft mehr“, sagt Sabrina. „Ich muss mir dann selbst mit lauter Stimme vorsagen, dass ich hier in Sicherheit bin. Das hilft gegen die Angst.“

Angst ist das vorherrschende Gefühl, das seit Jahren ihr Leben prägt. Angst vor dem Mann, den sie mal geliebt hat. Und vor dessen wiederkehrenden Gewaltausbrüchen die junge Frau vor einigen Wochen ins Frauenhaus Oberberg geflohen ist. Sabrina heißt eigentlich anders. Auch die Adresse des Frauenhauses muss geheim bleiben. Denn nicht selten versuchen die verlassenen Männer, ihre Frau und ihre Kinder mit allen Mitteln zurück zu holen.

Im Frauenhaus Oberberg gibt es Platz für neun Frauen und zehn Kinder

Neun Frauen und zehn Kinder finden hier ein Zuhause auf Zeit, 46 Frauen waren es im vergangenen Jahr, berichtet Nicole Schneider, Leiterin der Einrichtung und Koordinatorin des Fachdienstes Frauen der Caritas. Die Plätze sind fast ständig belegt.

In einem kleinen Apartment mit Dusche und Kochnische können die Frauen erst einmal zur Ruhe kommen. Viele haben unvorstellbare Brutalität erlebt, wurden vergewaltigt, geschlagen, rund um die Uhr kontrolliert, sie wurden eingesperrt, in wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten, mit Drohungen gefügig gemacht, unter Zwang verheiratet.

Eine Frau am Telefon.

Nicole Schneider leitet das Frauenhaus.

Sabrina erzählt von Blutergüssen am ganzen Körper, immer wieder, über Jahre, mehrfach musste sie ins Krankenhaus. Warum sie nicht früher gegangen ist? „Hinterher hat er immer so gelitten, und das konnte ich nicht aushalten. Ich hab mir gesagt, er meint es nicht so, und ich habe seinem Love-bombing geglaubt, den Beteuerungen, dass es nie mehr vorkommen würde. Immer wieder habe ich mir eingeredet, dass es gar nicht so schlimm ist und ich das aushalte.“

So beschreibt sie ihre emotionale Verstrickung, den ebenso fatalen wie ausweglosen Kreislauf von Gewalt, Verzeihen, Neuanfang, neuer Gewalt. „Er hat es geschafft, sich selbst als Opfer darzustellen. Weil ich ihn endlich verlassen habe.“ Weil sie ihrer kleinen Tochter ersparen wollte, damit aufzuwachsen, wie ihre Mutter ständig erniedrigt, misshandelt, beschimpft wurde.

Wohnungsmangel verschärft in Oberberg die Situation

„Jetzt fühle ich mich befreit“, sagt die junge Frau. Gleichzeitig türmt sich die Zukunft vor ihr auf wie ein riesiger Berg. „Zeige ich ihn an? Was ist, wenn er nicht ins Gefängnis muss? Dann habe ich Todesangst!“ Was wird sie arbeiten, wo wird sie wohnen? Vieles ist zu regeln: die Scheidung, der Kampf ums Sorgerecht für ihr Kind. Der Schritt aus der Anonymität. Bei all diesen Problemen hilft Nicole Schneider mit ihrem Team, beruhigt, berät, erläutert zum Beispiel die Möglichkeit von Auskunftssperren bei Behörden, Banken und Krankenkassen. „Häufig beruhigt sich die Situation aber schon durch die räumliche und zeitliche Distanz“, weiß die Leiterin des Frauenhauses.

Allerdings verschärfe der Wohnungsmangel in Oberberg die Situation, beklagt Schneider. „Wir sind eine Notfalleinrichtung, wir können keine Dauerbetreuung leisten.“ Manche Frauen bleiben zwei Wochen, andere ein halbes Jahr, bis sie es schaffen, ihr eigenes Leben zu organisieren. Aber auch danach stehen diverse Hilfsangebote zur Verfügung. Auch den 169 Frauen die im vergangenen Jahr abgewiesen werden mussten.

Aufklärung in oberbergischen Schulen

Gründe für eine Ablehnung können eine psychische Erkrankung oder eine Sucht sein, dafür seien andere Einrichtungen zuständig, ebenso für Obdachlose oder Minderjährige, sagt Schneider. Sie vermittele dann den Kontakt, oft helfe auch schon eine Gewaltschutzberatung. „Im Notfall sollte man immer die Polizei und das Ordnungsamt einschalten.“

Damit es gar nicht so weit kommt, klärt Nicole Schneider auch in oberbergischen Schulen auf: über die ersten Anzeichen, dass etwas schief läuft, wenn etwa der Freund beginnt, das Handy der Freundin zu kontrollieren oder ihre Kontakte einzuschränken. Aber auch darüber,   wohin die von Gewalt betroffene Tante oder die Nachbarin sich wenden kann.

Sabrina hat ein klares Ziel: „Ich will so stark werden, dass ich ihm im sicheren Rahmen des Gerichts sagen kann: Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben. Du kannst mir nicht mehr weh tun.“


Hilfsangebot für Frauen in Not

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist bundesweit erreichbar unter der Telefonnummer 116 016. Informationen bekommen Frauen auch im Internet:www.hilfetelefon.dewww.frauen-info-netz.de.


Oberbergische Gleichstellungsbeauftragte fordern Ausbau der Hilfsstrukturen

Eine blaue Fahne erinnert heute in Gummersbach, Wiehl, Waldbröl, Wipperfürth, Nümbrecht, Morsbach und anderen Kommunen der Region an den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen. Die Regional AG Oberberg, der Zusammenschluss der Gleichstellungsbeauftragten, setzt sich damit für den Ausbau der Hilfestrukturen ein.

Die Gummersbacher Gleichstellungsbeauftragte Nina Sommer hält eine neue   bundesgesetzliche Regelung für unerlässlich. Die Situation für von Gewalt betroffenen Frauen habe im ländlichen Bereich traurige Besonderheiten: „Der ÖPNV ist unzureichend ausgebaut, Frauen können Beratungsstellen und Zufluchtsorte nur erschwert erreichen.   Eher traditionelle Rollenmodelle und die damit verbundene finanzielle Abhängigkeit können ein erhöhtes Risiko für häusliche Gewalt darstellen und erschweren die Situation, sich aus einer durch Gewalt belasteten Beziehung zu befreien“, sagt Sommer. „Und jede(r) kennt jede(n): Das führt dazu, dass häusliche Gewalt eher bagatellisiert und unter den Teppich gekehrt wird.“ Diese seien alles Gründe dafür, dass im ländlichen Raum deutlich höhere Zahlen im Dunkelfeld zu erwarten seien.

Eine Fahne zeigt die Aufschrift: "25. November, Nein zu Gewalt an Frauen, frei leben."

Vor vielen Rathäusern weht heute die blaue Fahne der Aktion.

Frauenhausplätze müssten darum ausgebaut werden, ebenso wohnortnahe Beratungsmöglichkeiten. Präventionsangebote müssten bereits im Kindesalter etabliert werden, fordert Sommer im Namen der Gleichstellungsbeauftragten und betont: „Wir sehen es als unsere dringende Aufgabe, für diese Forderungen einzustehen und den Ausbau zu unterstützen. “

Die Wiehler Gleichstellungsbeauftragte Martina Kalkum schreibt: „Jede dritte Frau in Deutschland erfährt mindestens einmal im Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt, jede vierte Frau erfährt Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Und auch Männer sind betroffen. Das kann sich nur ändern, wenn sich die ganze Gesellschaft gegen Gewalt einsetzt. Denn nur gemeinsam sind wir stärker als Gewalt!“