Seit 20 Jahren„Haus Ilona“ in Neuenothe macht Pflegefälle fürs Zuhause fit
- Wer mehr tot als lebendig in das „Haus Ilona“ kommt, soll es spätestens sechs Monate später wieder in einem deutlich besseren Zustand verlassen.
- Viele Menschen konnte in den letzten 20 Jahren mit unkonventionellen Ansätzen geholfen werden.
- „Wir sind kein Heim, wir bringen Sie heim“, hat sich der Verein auf die Fahne geschrieben.
Neuenothe – Das Haus der „Patienten im Wachkoma“ will keine Endstation sein. Wer als vermeintlich hoffnungsloser Fall hierhin kommt, mehr tot als lebendig, soll das Haus spätestens sechs Monate später wieder verlassen – mit einem deutlich besseren Gesundheitszustand. „Wir sind kein Heim, wir bringen Sie heim“, hat sich der im Bergneustädter Örtchen Neuenothe ansässige Verein auf die Fahne geschrieben. Seitdem vor 20 Jahren die ersten Patienten aufgenommen und nach unkonventionellen Ansätzen therapiert wurden, konnten viele Menschen vor einem Leben in fremder Umgebung bewahrt werden.
Wachkoma sei ein Zustand, der nur schwer diagnostizierbar ist, es gebe auch andere Gründe für einen minimalen Bewusstseinszustand, erklärt Geschäftsführer Hrachya Shaljyan. Anders als der Vereinsname vermuten lässt, spielt es für die Arbeit im „Haus Ilona“ aber keine Rolle, ob sich ein Patienten tatsächlich im Wachkoma oder in einem ähnlichen Zustand befindet. Gemein haben die Menschen, die meist nach einer Hirnblutung, einem Schlaganfall oder einem Verkehrsunfall nach Neuenothe kommen, dass sie nach oft langem Aufenthalt im Krankenhaus und Reha-Klinik als austherapiert gelten.
Vermeintlich Fälle fürs Pflegeheim
Vermeintlich sind diese Menschen Fälle fürs Pflegeheim, erklärt der zweite Geschäftsführer Karl Heinz Andree – denn ihr Überleben wird nur durch allerlei Maßnahmen gesichert. Fast alle Patienten, die im „Haus Ilona“ aufgenommen werden, sind durch Medikamente sediert, sie tragen nach einem Luftröhrenschnitt eine Trachealkanüle, um Atmen zu können. Ernährt werden sie über eine Magensonde, über einen Blasenkatheter wird der Urin abgeleitet. All das wird dem Patienten in Bergneustadt-Neuenothe im Optimalfall binnen weniger Monate abtrainiert.
Unter medizinischer Begleitung werden nach und nach die unnötigen Medikamente reduziert, der Patient aus seinem sedierten Zustand geholt. Eine Logopädin hilft dabei, die Trachealkanüle überflüssig zu machen, damit der Patient wieder durch Mund und Nase atmen kann. Auch das ist ein langwieriger Prozess, weil der Mensch das Schlucken neu lernen muss. Damit einher geht die Umstellung von Sondenkost auf normale Nahrung: Dreimal am Tag bereitet eine Köchin frische Gerichte zu, die dann püriert werden. Auch der Blasenkatheter wird abtrainiert. Wenn der Patient nach spätestens sechs Monaten entlassen wird, ist er zumindest so weit fit, dass er in sein Zuhause kann. Aber: Die allermeisten bleiben Pflegefälle, werden dann von ihren Angehörigen versorgt. In nur ganz wenigen Fällen hat sich ein Patient so weit von seiner Erkrankung erholt, dass er sogar wieder zur Arbeit gehen konnte.
Auch das Versterben gehört dazu
In 65 Prozent aller Fälle gelingt es den Mitarbeitern in Neuenothe, ihre Patienten wieder fit fürs eigene Zuhause zu machen, sagt Hrachya Shaljyan: „15 Prozent unserer Patienten im Haus Ilona wachen auf, können dann verbal oder mit Gesten kommunizieren. Für weitere 10 Prozent können wir nichts machen.“ Die restlichen 10 Prozent versterben – auch das gehört in Neuenothe dazu.
Wie es anfing
Das „Wachkoma“ im Vereinsnamen geht auf die Gründung zurück, ist aber kein Kriterium bei der Therapie. Die Tochter von Hildegard und Dietmar Baumhof war 1994 nach einem Routineeingriff im Krankenhaus ins Wachkoma gefallen; Ilona verstarb nach kurzer Zeit trotz intensiver Pflege. Ihr Haus bauten die Baumhofs 1995 zu einer Pflegestation um. Vier Jahre später wurden Patienten aufgenommen. Bald wurde bundesweit über „Haus Ilona“ berichtet. Noch heute, so sagt Geschäftsführer Hrachya Shaljyan, gebe es keine vergleichbare Einrichtung in Deutschland. (ag)
„Das hier ist eine eigene Welt“, sagt Pflegerin Svetlana Krymko, die zuvor in der Altenpflege gearbeitet hat. Sie hat gelernt, in den scheinbar regungs- und reaktionslosen Patienten Menschen zu sehen, die in einem anderen Bewusstseinszustand leben, die mehr wahrnehmen und fühlen als allgemein angenommen. Sie und ihre Kollegen brauchen einen Blick für winzige Fortschritte, viel Geduld und Einfühlungsvermögen, um die Patienten adäquat versorgen zu können. Die nötige Zeit dazu haben die Pflegekräfte – jeder Mitarbeiter ist für nur zwei Patienten zuständig. Für ihre Arbeit sucht das „Haus Ilona“ weitere examinierte Pflegekräfte.