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Serie

Rheinische Pioniere
Was den Vater des Otto-Motors untrennbar mit Köln verbindet

Lesezeit 7 Minuten
Montagehalle 1875

Ein Blick in die Montagehalle der Gasmotoren-Fabrik Deutz in Köln im Jahr 1875.

Sie waren die ersten Startup-Gründer und Influencer: Menschen, die im Rheinland wirkten und deren Ideen bis heute faszinieren. Unsere Serie stellt die „Rheinischen Pioniere“ und ihre Erfolgsgeheimnisse vor.

Was macht Nicolaus August Otto zu einem Pionier?

Am Ottoplatz in Deutz steht eine Steinsäule mit einem rund zwei Tonnen schweren Ur-Motor auf ihrem Sockel. Dieses Original verdankt Köln dem Erfinder Nicolaus August Otto – es bildete die Grundlage für den Viertaktmotor, den sogenannten „Ottomotor“. Der Tüftler aus dem Taunus ist untrennbar verbunden mit der industriellen und wirtschaftlichen Entwicklung Kölns und des Rheinlands.

Alles begann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit einem 700 Kilogramm schweren Verbrenner, der gerade einmal 0,5 PS hatte. Nicolaus August Otto, der nie studiert hatte, tüftelte in seiner kleinen Werkstatt in der Servasgasse hinter dem Kölner Hauptbahnhof, und trug bald zum Urknall der Welt-Motorisierung bei.

Was ist über seine Herkunft bekannt?

Nicolaus August Otto wurde am 14. Juni 1832 in Holzhausen auf der Heide geboren – das Dörfchen im Rhein-Lahn-Kreis zählt noch heute kaum mehr als 1000 Einwohner. Damals fuhren die Menschen noch mit der Postkutsche. Nicolaus war das jüngste von sechs Kindern, der Vater Philipp Wilhelm war Land- und Gastwirt sowie Posthalter .

In der Familie herrschte bescheidener Wohlstand, jedoch verlor Otto seinen Vater kurz nach seiner Geburt und wurde von seiner Mutter Anna Katharina großgezogen. 1848 brach Otto seine Schulausbildung ab. Er absolvierte eine Kaufmannslehre, anschließend war er ab 1852 als Handlungsreisender für Kolonialwaren in Frankfurt und ab 1853 in Köln tätig, wo sein Bruder Wilhelm lebte. Otto bezog eine Wohnung in der Pfeilstraße und handelte bis 1862 für zwei Kölner Firmen in ganz Westdeutschland mit Kaffee, Tee, Reis und Zucker.

Was war die Grundlage für seinen Erfolg?

Ottos Leidenschaft galt aber der Technik: Als er von einer neuartigen Gasmaschine des Franzosen Lenoir erfuhr, die ohne Schornstein und Kessel auskam, war Otto Feuer und Flamme. Zunächst entwickelte er gemeinsam mit Wilhelm einen Motor-Prototypen, bis sein Bruder sich zurückzog. 1861 ließ er vom Kölner Mechaniker Michael Zons eine kleine Kolbenmaschine für die Verbrennung eines Gas-Luft-Gemisches mit elektrischer Zündung bauen.

Bereits in dieser Phase konzentrierten sich seine Überlegungen auf das Viertaktprinzip: Ansaugen, Verdichten, Verbrennen und Auspuffen. Zons baute ihm danach eine Vierzylinder-Boxermaschine, die jedoch explodierte. Eine Patentierung des Motorprinzips wurde 1861 abgelehnt, aber Otto gab nicht auf.

Wie gelang der Durchbruch?

Mehr als 15 Jahre lang werkelte er – orientiert am 1860 patentierten Zweitakt-Gasmotor von Lenoir – an einem Flugkolbenmotor, auch atmosphärischer Motor genannt. Darin schleudert der Druck des verbrannten Gases den Kolben im Zylinder nach oben. Sobald der Gasdruck auf den Atmosphärendruck gesunken ist, setzen sich eine Zahnstange und eine Kupplung in Bewegung. In der Endstellung des Kolbens wird das Abgas ausgelassen und frisches Gas-Luft-Gemisch findet seinen Weg zurück.

Mit seinem Freund Eugen Langen, einem Ingenieur und Sohn des Zuckerfabrikanten Johann Jakob Langen, gründete er 1864 in Köln die Firma „N. A. Otto & Cie.“ als KG, weltweit das erste Unternehmen, das nur auf Verbrennungsmotoren ausgerichtet war. Dieser wichtige Schritt ging einher mit privatem Glück – 1858 hatte er bei einem Maskenfest in Köln seine spätere Frau Anna Gossi kennengelernt. Zur Heirat kam es erst zehn Jahre später – es fehlte schlicht das Geld.

Im Laufe der Jahre gelang es Otto und Langen, die Entwicklung eines zuverlässigen Motors voranzutreiben: 1866 ersetzte Otto die elektrische Zündung durch eine Flammenzündung. Langen hatte zudem Idee, statt einer Kurbel eine Zahnstange, die ein Zahnrad auf der Achse antrieb, einzubauen. So konnte die erste Verbrennungsmaschine mit Leistungen von ½, 1 und 2 PS angeboten werden, zudem erhielten sie 1866 ein Preußisches Patent. Bei der Pariser Weltausstellung 1867 wurde ihr Flugkolbenmotor zur besten Gasmaschine der Welt erklärt.

Gab es Widerstände?

Um der großen Nachfrage nachkommen zu können, brauchte es einen weiteren Teilhaber: Sie fanden ihn in dem Hamburger Geschäftsmann Ludwig August Roosen-Runge. 1869 wurde aus „N. A. Otto & Cie.“ die Firma „Langen, Otto & Roosen“. Das Kapital Roosen-Runges machte den Erwerb eines Grundstücks in Deutz möglich: Zwischen 1869 und 1872 entstand in der Rheinuferzone das Fabrikgelände für die Gasmotorenfabrik Deutz AG, das Vorgängerunternehmen der heute in Porz ansässigen Deutz AG.

Familie Otto lebte dort in einem Doppelwohnhaus. Anna und Otto hatten sieben Kinder, drei von ihnen starben früh. In der anderen Haushälfte wohnte die Familie Daimler: Gottlieb Daimler war oberster Leiter der Werkstätten sowie zuständig für Personal und Material. Auf eine Ansichtskarte markierte er das Haus mit einem Stern – Vorlage für den berühmten Mercedes-Stern als Wahrzeichen. Die Produktion in Deutz wuchs trotz des deutsch-französischen Krieges bis 1871 auf 200 Motoren jährlich.

Im Unternehmen geriet Otto immer wieder mit Daimler und seinem Kompagnon Wilhelm Maybach aneinander. „Er hatte das Bestreben, keine anderen Götter neben sich gelten zu lassen“, erklärt Helmut Müller, Leiter Unternehmensgeschichte der Deutz AG. Zudem hatten sich aufgrund der Auflösung von „N. A. Otto & Cie.“ die Machtverhältnisse zwischen Langen und Otto auf der einen und Roosen-Runge auf der anderen Seite verschoben, so dass es auch hier Auseinandersetzungen gab. Langen hatte sich alle Patentrechte gesichert. Somit musste die neue Gesellschaft hohe Lizenzgebühren an ihn auszahlen. Roosen kündigte daher 1871 den Gesellschaftsvertrag. An seine Stelle traten mit Langens Brüdern sowie mit Emil und Valentin Pfeiffer neue Investoren, die mit 300 000 Talern Grundkapital einstiegen. Otto übernahm als Direktor die kaufmännische Leitung. Da er zudem bis 1883 seinen Aktienanteil auf 21 Prozent steigern konnte, stand er gleichberechtigt neben Langen, der Aufsichtsratsvorsitzender wurde. Bis 1874 hatte man 80 Flugkolbenmotoren pro Monat gebaut, dann sank der Verkauf auf die Hälfte, da die Kunden höhere Leistungen verlangten.

Welche Charaktereigenschaft stach hervor?

Otto war kein Geschäftsmann und in seiner Außenwirkung sehr von Eugen Langen abhängig. Seine Stärke lag in der Forschung und dem technischen Verständnis. „Langen agierte als Ottos Manager, hatte Geltungsdrang und konnte gut verhandeln. Otto dagegen war Tüftler, mitunter labil und hätte sich allein vermutlich nicht durchgesetzt,“ erklärt Dr. Jutta Siorpaes in ihrem Werk „Als die Welt in Bewegung geriet“.

Otto war jedoch keiner, der seinen Wohlstand verbarg. Das Ehepaar erwarb auf dem Kölner Heumarkt zwei Häuser als Symbol des neuerlangten gesellschaftlichen Status. „Die alten Häuser wurden abgerissen und es entstand ein imposanter Eckneubau, der so gar nicht der Architektur der Umgebung entsprach“, erzählt Dr. Ulrich Soénius, Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs zu Köln, das das Deutz-Archiv und den Nachlass von Nicolaus August Otto aufbewahrt.

Was wurde aus seinen Ideen?

Bis 1876 wurden in Deutz insgesamt rund 5000 Flugkolbenmotoren gebaut und verkauft. 1875 kam Otto auf seine ursprüngliche Idee des Viertaktgasmotors zurück: So gelang es ein Jahr später, einen Motor mit verdichteter Ladung zu entwickeln. Am 9. Mai 1876 nahm Otto in Deutz versuchsweise seinen ersten Viertaktmotor in Betrieb, der bis heute die Grundlage für den Bau von Verbrennungsmotoren bildet.

Eugen Langen vermarktete den Viertakter 1876 als „Otto's Neuer Motor“. Erst seit 1877 war dieser geschützt durch das Deutsche Reichspatent. Auf der Pariser Weltausstellung 1878 erhielt er von allen 75 Motoren die besten Bewertungen – vor allem der ruhige, sparsame Lauf sowie die Raum- und Gewichtsersparnis wurden gelobt. 1884 erfand der Kölner die Niederspannungs-Magnetzündung, die erstmals den Einsatz flüssiger Kraftstoffe wie Benzin statt des vorher verwendeten Gases möglich machte. Ab 1885 waren Maschinen mit einer Leistung von 50 PS im Angebot.

1884 stellte sich allerdings heraus, dass der Motorenerfinder Christian Reithmann aus Tirol schon im Oktober 1860 ein Patent für einen Viertaktmotor aufgenommen hatte, noch bevor Otto 1862 erste Experimente mit Verbrennungsmotoren im Viertaktprinzip gemacht hatte. Otto kaufte Reithmann 1885 für 25 000 Goldmark und einer Rente auf Lebenszeit sein Patent ab. Reithmann hatte vorher im Patentstreit gegen Otto in erster Instanz gewonnen. Eugen Langen setzte ihn so intensiv unter Druck, bis Reithmann aufgab und absichtlich den Prozess verlor. Nur so konnte Otto bis heute als Entdecker des Viertaktmotors gelten, und nicht Reithmann. Einige Jahre später, 1886 und 1889, wurden die „Otto-Patente“ in Deutschland jedoch für nichtig erklärt.

Die Rücknahme dieser Patente und weitere Querelen hinterließen Spuren in Ottos Gesundheit. Am 26. Januar 1891 starb er an einem Herzleiden und wurde auf dem Melatenfriedhof beigesetzt.

Was bleibt von ihm?

Der Begriff Ottomotor wurde 1936 vom Verein Deutscher Ingenieure für alle Hubkolbenmotoren mit Fremdzündung vorgeschlagen und 1946 in einer DIN-Norm eingeführt.

Die Kölner Deutz AG baut und verkauft heute jährlich rund 190 000 Motoren und alternative Systeme weltweit. 2023 betrug der Umsatz mehr als 2,1 Milliarden Euro. Im Mai feierte das Unternehmen 160. Geburtstag. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst sagte beim Jubiläum: „Nicht in Stuttgart oder Detroit fing die Motoren-Geschichte an, sondern in einer Gasse in Köln.“