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„Hinterfrage mein ganzes Leben“Tochter eines geständigen Sexualstraftäters erzählt

Lesezeit 5 Minuten

Stefanie M. (links) im Gespräch mit der Autorin, die den Prozess im Jahr 2020 begleitete. Die Tochter von Roland W. möchte anonym bleiben.

Leverkusen – Wenn Menschen in eine Lebenskrise geraten, erfahren sie dafür im Normalfall Empathie. Hilfe. Vielleicht auch Mitleid. Doch es gibt Personen, die das Gegenteil erwartet – weil ihre Leidens-Perspektive nicht ins Raster passt, nicht in die eigenen Moralvorstellungen. So wie die Geschichte von Stefanie M. (alle Namen geändert) aus Köln. Sie ist die erwachsene Tochter von Roland W., der gerade vor dem Landgericht Köln wegen mehrfachen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs angeklagt ist.

Nachdem sie die Gerichtsberichterstattung im „Leverkusener Anzeiger“ gelesen hatte, meldete Stefanie M. sich in der Redaktion. In einem Gespräch wollte sie ihre Sicht der Dinge schildern. Denn die Taten, für die Roland W. angeklagt ist, gelten für die meisten Menschen als das schlimmste Verbrechen, das man begehen kann.

Darum geht es im Prozess gegen Roland W. aus Leverkusen

Der Prozess gegen den Leverkusener Roland W. läuft vor dem Landgericht Köln seit dem 2. November 2020. Ihm wird schwerer sexueller Kindesmissbrauch an zwei Mädchen vorgeworfen. In rund 30 Fällen soll er die Kinder aus Steinbüchel dazu gebracht haben, an ihm Oralverkehr vorzunehmen. Der Angeklagte legte dazu bereits ein umfangreiches Geständnis ab.

Die Opfer waren Freundinnen der Tochter des Angeklagten und wohnten in der unmittelbaren Nachbarschaft. Ein Urteil gegen Roland W. wird noch vor den Weihnachtsfeiertagen erwartet.

Am Montag wurde der Prozess fortgesetzt. Gegenstand des Verhandlungstages waren die psychologischen Gutachten zu den Aussagen der zwei Opfer Lisa und Mala (alle Namen geändert). Die eingesetzte Sachverständige stufte die Aussagen beider Mädchen als überaus glaubhaft ein, sie hätten die Geschehnisse detailreich geschildert. Da sie den Angeklagten zudem nicht zusätzlich belasteten und angaben, er hätte keinen Zwang auf sie ausgeübt, sei nicht von Falschbeschuldigungen auszugehen.

Weiterhin äußerte sich der Angeklagte zu Übergriffen auf ein weiteres Opfer, das er angeblich zum Tatzeitpunkt auf älter als 14 Jahre schätzte. Die Übergriffe auf dieses Mädchen sowie auf zwei bis drei andere könnten Gegenstand einer Nachtragsanklage werden. Damit würden diese Fälle an das laufende Verfahren angehangen und mitverhandelt werden.

Die Staatsanwaltschaft deutete an, eine solche Nachtragsanklage noch in dieser Woche verlesen zu wollen. (awe)

Auch für Stefanie M. „Ich würde besser damit klarkommen, wenn er im Affekt jemanden umgebracht hätte“, sagt sie. „Doch das, was er getan hat, ist für mich nicht zu ertragen.“ Trotzdem hängt sie noch an ihrem Vater. Und hadert mit sich.

„Was ist wahr, was habe ich nicht mitbekommen?“

Stefanie M. ist Ende dreißig. Bis zur Trennung der Eltern wuchs sie mit Roland W. auf, er war Hausmann, zog sie groß. „Er war immer mein Held“, so M. Sie berichtet von glücklichen Kindheitserinnerungen. Von Ausflügen, von großer Fürsorge. Doch nun scheinen ihr diese Jahre nicht mehr viel Wert zu sein. „Ich hinterfrage mein ganzes Leben. Was ist wahr, was habe ich nicht mitbekommen? Und was ist mit meinen eigenen Freundinnen?“

Die betroffenen Mädchen aus Leverkusen waren Spielgefährtinnen ihrer jüngeren Halbschwester. M. kannte die Mädchen aus der Nachbarschaft flüchtig von Besuchen bei ihrem Vater und seiner neuen Familie. Etwas davon geahnt, was sich im Wohnblock in Steinbüchel zutrug, habe sie nicht. „Ich habe nie etwas mitbekommen, was auffällig war“, berichtet sie. Von den Vorwürfen gegen ihren Vater erfuhr sie mit dem Haftbefehl gegen ihn. Dass es vorher schon Gerüchte gab, die Polizei schon einmal da war: Für Stefanie M. war das im Februar dieses Jahres alles neu. Weder ihre Stiefmutter noch ihr Vater hatten ihr je davon erzählt.

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„Kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Kind sowas ausdenkt“

„Ich war geschockt“, sagt sie. Ein Teil von ihr habe natürlich gehofft, dass alles eine große Lüge sei. „Doch ich habe von Anfang an gesagt, wir müssen uns darauf einstellen, dass da etwas dran ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich ein Kind sowas ausdenkt.“ Das Vertrauensverhältnis der Eltern in der Nachbarschaft habe die Umstände der Taten sicher begünstigt. Viele von ihnen schauten zu Roland W. auf, wie sie selbst vor Gericht erzählten.

„Ich tue mich aber schwer zu sagen, er hatte die Fassade eines sozialen Menschen, um andere auszunutzen. Das war keine Fassade“, meint Stefanie M. Für sie ist unbegreiflich, wie die beiden Seiten ihres Vaters zueinanderpassen sollen. „Aktuell ist mein Stand, dass ich zu ihm Kontakt halten will. Ich muss das irgendwie abspalten. Ich will keinen Kontakt zu dem Täter, aber zu dem Mann, der mir fast 40 Jahre lang ein guter Vater war“, sagt sie. Und weiß, dass das für die meisten Menschen unverständlich ist.

Stefanie M. will eine gerechte Strafe für ihren Vater

Wie sie die gerade alles überlagernden Taten von sich wegschieben soll, scheint ihr auch noch nicht ganz klar zu sein. Ihr eigenes Kind würde sie ihrem Vater jedenfalls nicht mehr anvertrauen, so Stefanie M. „Er hat den Mädchen etwas genommen, was sie nie wieder bekommen können“, sagt sie. „Und ich hoffe, dass er dafür seine gerechte Strafe erhält.“ Ihre größte Befürchtung ist, dass die Taten ihres Vaters auf sie zurückfallen könnten. „Ich will nicht, dass Eltern Angst haben, ihre Kinder zu uns zu schicken“, so M. unter Tränen.

In der Zeit des Gerichtsprozesses fühlt sich die Tochter verloren. Stefanie M. will ihr Leid nicht über das der Opfer stellen. Gerne würde sie mit jemandem sprechen, der ihr Dilemma versteht. Aber als sie sich auf die Suche nach psychologischer Hilfe machte, schlug ihr Ablehnung entgegen.

Psychologische Hilfe ist für Stefanie M. kaum zu bekommen

Bei einer Telefonseelsorge habe man sie ausgelacht, als sie erzählte, sie sei eine Angehörige des Täters. „Ihnen können wir hier nicht helfen“, hieß es am anderen Ende der Leitung. „Im Endeffekt bekommt der Täter schneller psychologische Hilfe als die Angehörigen und die Opfer“, meint M. Nach den Schlagzeilen gerieten gerade diese zu schnell in Vergessenheit.

Entschuldigung an die Opfer-Familien

Wenn sie den betroffenen Familien etwas sagen könnte, dann wäre es dieses, sagt Stefanie M.: „Es tut mir leid, was Ihnen und Ihrem Kind durch meinen Vater passiert ist. Ich frage mich oft, ob ich etwas hätte merken müssen. Und ich hoffe, dass die Kinder nun in einem geschützten Umfeld sind.“

Sie selbst wünscht sich, dass sie doch noch einen Weg findet, mit der ganzen Sache umzugehen. „Klar, das Leben muss irgendwie weitergehen“, sagt Stefanie M. „Aber momentan weiß ich noch nicht wie.“