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Lektorin im Interview„Ein Roboter lernt kein Sprachgefühl“

Lesezeit 4 Minuten
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Lektorin Inga Beißwänger

Leverkusen – Die Zeiten förmlicher Briefe sind vorbei. Stattdessen sind Kurznachrichten an der Tagesordnung, Kommentare in sozialen Netzwerken oder E-Mails. Für Rechtschreibung oder gar Kommasetzung scheint kein Platz mehr zu sein – zum Graus aller, die weit vor der Generation Internet geboren wurden. Wie steht es um den Sprachwandel? Wird er verharmlost oder überbewertet? Die Lektorin Inga Beißwänger aus Leverkusen, seit 2013 Pressesprecherin und Social-Media-Expertin des bundesweiten Verbandes der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL), schildert ihre Erfahrungen.

Zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit

Wie gefragt sind Lektoren in Zeiten des Internets und des steten Sprachwandels?

Man muss ganz klar drei Bereiche unterscheiden: die öffentliche, die halb-öffentliche und die private Kommunikation. Unter öffentliche Kommunikation fallen beispielsweise Unternehmen und Firmen. Wenn sie nicht sogar eine eigene Lektorenabteilung haben, sollten sie sich definitiv einen Lektor leisten. Ich sehe aber immer wieder, dass – je kleiner das Unternehmen ist – das Bewusstsein und natürlich auch die Finanzierungsmöglichkeiten für das Lektorat kleiner werden. Was wir auf Facebook tun und schreiben, ist so eine Art Grauzone, denn es findet ja im Privaten statt, ist aber irgendwie doch öffentlich. Da gehen wir natürlich nicht mit dem Rotstift ran, genauso wenig wie im Privaten. So schnell wie man hier Nachrichten hin und her schreibt, passieren eben auch schnell Fehler.

Was sind die genauen Tätigkeiten eines Lektors?

Der Kern ist natürlich die Arbeit am Text. Wir korrigieren erstmal inhaltlich und formal, dann natürlich auch die Orthografie und Zeichensetzung. Es gibt aber viele Lektoren, die auch weitere Dienstleistungen übernehmen. Das können Aufgaben im Layout oder bei Übersetzungen sein, zum Beispiel bei Buchverlagen. Ich selbst arbeite neben dem freien Lektorat als Texterin und betreue die Öffentlichkeitsarbeit des Verbands der freien Lektorinnen und Lektoren von Leverkusen aus.

Sprachwandel überbewertet?

Achtet man als Lektor im Privaten auch bei Whatsapp & Co. auf Rechtschreibung?

Mir haben vergangene Woche erst zwei Freundinnen gestanden, dass sie bei mir nochmal extra drüberlesen, bevor sie mir Nachrichten schicken. Das ist natürlich Quatsch! Auch ich kann mich nicht davon freimachen, mal einen Fehler zu machen. Auch wenn man vielleicht manchmal, beim Bücherlesen zum Beispiel, nicht so ganz vom Job abschalten kann. Das ist dann wohl ein Stück Berufskrankheit.

Wie beobachten Sie aus beruflicher Sicht den Sprachwandel? Ist er eher Chance oder Bedrohung?

Weder noch. Bedrohung ist da ein hartes Wort. Natürlich ist es schade, wenn beispielsweise der Wortschatz abnimmt. Aber es war doch schon immer so, dass solche Entwicklungen, die vor allem die jüngere Generation betreffen, sehr kritisch betrachtet werden. Ich würde eher hinterfragen, ob der Sprachwandel überbewertet wird oder es sich um eine natürliche Entwicklung handelt.

Glauben Sie, eine Abkehr von Rechtschreibung wird durch das Grundschulsystem „Schreiben, wie man spricht“ gefördert? Wie bewerten Sie das generell?

Ich finde es schwierig, mich zu pädagogischen Themen zu äußern, vor allem weil die, die es ja noch anders gelernt haben, jetzt kritisiert werden, sie würden in sozialen Medien die Rechtschreibung nicht mehr wahren. Ich glaube, dass man immer mehrere Faktoren zu einer Entwicklung einbeziehen muss.

Lektoren für Social Media

Glauben Sie, das Lektorat wird in seiner heutigen Form auch in Zukunft fortbestehen?

Solange es Menschen und Unternehmen gibt, die Wert auf gute Texte legen, auf jeden Fall. Ich glaube, wir sind unersetzbar, solange es irgendwo auf Kreativität ankommt – das gilt auch für andere Berufe. Einem Roboter kann man Sprachgefühl nicht beibringen. Auch wenn es natürlich sein kann, dass es irgendwann eine Erfindung gibt, die uns unsere Arbeit noch leichter macht.

Glauben Sie, es braucht den Einsatz von Lektoren auch in den sozialen Medien?

Es gibt ja durchaus schon Agenturen, die für Social Media Lektoren einstellen. Der Bedarf ist auf jeden Fall da, aber wenn es beispielsweise um Influencer oder Youtuber geht, muss ihr Sprachgebrauch natürlich trotzdem authentisch bleiben.

Gibt es Situationen, die Sie immer in Erinnerung behalten werden?

Ein Positivbeispiel ist sicherlich ein Fall, als ich ein Interview mit einem Europaabgeordneten korrigiert habe. Der Abgeordnete selbst und der Autor hatten es mehrmals gelesen, aber nur mir ist aufgefallen, dass die Partei des Abgeordneten falsch war. Das war schon ein echtes Erfolgserlebnis. Negativbeispiel: Der Chef einer Firma hatte darauf bestanden, das Vorwort zu einem Katalog zu schreiben, war aber nicht ganz so gut darin. Da ist dann schon einiges an Fingerspitzengefühl gefragt, um solchen Menschen das schonend beizubringen und auf einen Nenner zu kommen.