AboAbonnieren

Leben am Tagebau in GarzweilerDie Frau, die für ihr Dorf kämpfen will

Lesezeit 5 Minuten
Britta Kox

Britta Kox will ihr Dorf nicht aufgeben.

  1. Seitdem sie sechs Jahre alt ist, weiß Britta Kox, dass ihre Heimat Berverath im Tagebau verschwinden wird.
  2. Doch das will sie nicht so einfach hinnehmen. Seit Jahrhunderten ist ihr Grundstück im Besitz ihrer Familie.
  3. Wie sie nun gegen die Umsiedlung ankämpfen will und warum sie sich Hoffnung macht.

Erkelenz-Berverath – Wenn Britta Kox die Hoffnung sehen möchte, muss sie bloß vor die Tür treten und ein paar Hundert Meter nach rechts laufen. Ein Bauer hat dort eine Scheune errichtet, als längst klar schien, dass die Scheune und das Dorf Berverath im Tagebau verschwinden würden. Warum er das denn mache, wenn er doch wegziehen müsse, fragte Kox ihn, so erzählt sie es. Er antwortete, er werde nicht wegziehen.

Nachts hört Britta Kox schon die Bagger

Britta Kox ist eine Frau, die sich ihre Haare rot färbt, die Fingernägel in zwei verschiedenen Farben lackiert und seit dem sechsten ihrer 47 Lebensjahre weiß, dass die Bagger von RWE ihre Heimat zerstören könnten. Ihre Heimat ist Berverath, ein Dorf von knapp 100 Einwohnern, das zu Erkelenz gehört und noch so gerade eben Niederrhein ist. Bis 2028 sollen alle weggezogen sein. Auch die Nachbarorte Keyenberg, Kuckum, Ober- und Unterwestrich sollen verschwinden, zusammen knapp 1500 Einwohner. Britta Kox aber hält dagegen: „Ich möchte kein Dorf mehr sterben sehen.“ Nachts hört sie schon die Bagger.

Das Grundstück, auf dem sie mit ihrem Mann und drei ihrer vier Kinder lebt, ist seit Jahrhunderten im Besitz ihrer Familie. 2000 Quadratmeter, ein großer, wilder Garten. Die Urgroßmutter habe das Haus nach dem Zweiten Weltkrieg mit 14 Kindern wieder aufgebaut, sagt sie. Als Kind pflanzte Kox einen Baum, an dem sie nun ihre Hängematte befestigen kann. Die Werkbank des Großvaters steht noch im Schuppen. „Ich bin massiv heimatverbunden, auch wenn wir für alles fahren müssen“, sagt sie.

Mit 14 Jahren schon gegen die Umsiedlung protestiert

Kox ist in Berverath aufgewachsen. Sie haben Banden gegründet, Oberdorf gegen Unterdorf, die Trennlinie war die Kapelle. Lag Schnee, zog ein Trecker sie auf dem Schlitten über die Feldwege. In Keyenberg ging sie zur Grundschule, hinter der Kirche küsste sie mit 17 zum ersten Mal den Jungen, der ihr Mann werden sollte, in Immerath ging sie zur Hauptschule und sonntags in die Messe.

Immerath gibt es nicht mehr, Keyenberg und Bagger trennen noch ein paar Hundert Meter. Zwischenzeitlich zog sie immer mal wieder weg, kehrte wieder zurück und übernahm 2015 mit Kindern und Ehemann das Elternhaus. Vater und Mutter zogen aus, weil ihnen das Haus zu groß war und sie sich den Stress mit dem Tagebau nicht mehr zumuten wollten.

Im neuen Beverath droht der Charme eines Neubaugebiets

Britta Kox wusste bei ihrem Einzug, was drohte, und doch verließ sie die Zuversicht, als Berverath und die umliegenden Dörfer im Dezember 2016 den Umsiedlungsstatus erhielten. Seitdem entsteht nördlich von Erkelenz das neue Berverath neben dem neuen Keyenberg, Kuckum, Unter- und Oberwestrich. Die Dörfer werden nicht nachgebaut, es droht der Charme eines Neubaugebiets, die Bewohner können mit dem Geld, das sie für ihr altes Grundstück erhalten, Bauland im neuen Ort kaufen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Doch Kox sagt, sie würde nicht nur ihre Heimat verlieren, sondern auch einen großen Teil der Fläche. Einen Nutzgarten dürfte sie nicht mehr betreiben, Bäume pflanzen für die Hängematte auch nicht. Laut RWE hat sich das Unternehmen mit 71 Prozent der Haushalte in den fünf Dörfern über einen Verkaufspreis einigen können, 56 Prozent wollen in die neue Siedlung ziehen. Kox hat nicht mit RWE gesprochen. Falls sie umziehen müsse, dann in ein anderes Dorf, eines, das historisch gewachsen ist. „Ich bleibe so lange, wie es geht“, sagt sie.

Nach Rodungsstopp im Hambacher Forst gab es Hoffnung

Kox war schon früh im Widerstand, das hatte sie vom Vater. Mit 14 stand sie in der Fackelkette. Der Vater schimpfte mit den Kindern, wenn sie Plastiktüten aus dem Supermarkt mitbrachten. Doch der Umsiedlungsstatus gab ihr das Gefühl, keine Chance mehr zu haben. Dann aber kam das Jahr 2018, der Rodungsstopp im Hambacher Forst, die Kohlekommission, die ein Ende der Stromgewinnung aus Kohle bis 2038 empfahl. Für Kox das Signal: Eigentlich können die Dörfer bleiben. „Dieses Licht leuchtete ganz groß.“

Doch sie will nicht nur hoffen, sondern was dafür tun. Erst vor kurzem gab die Gruppe „Menschenrecht vor Bergrecht“ bekannt, dass sie sich notfalls mit juristischen Mitteln RWE in den Weg stelle. „Das eigene Wohnhaus und den Heimatort aufgeben zu müssen, ist ein gravierender Eingriff in die Grundrechte der Menschen“, sagte Rechtsanwalt Dirk Teßmer, der die Anwohner juristisch vertritt, auf einer Pressekonferenz in Düsseldorf. „Dass dies in Zeiten des Klimawandels und des Kohleausstiegs für den Abbau klimaschädlicher Braunkohle von diesen verlangt wird, ist absolut nicht mehr zeitgemäß und aus unserer Sicht sogar verfassungswidrig.“

Britta Kox will nicht an RWE verkaufen

Kox gehört zu dieser Gruppe, zu zehnt haben sie ein Grundstück am Ortsrand von Keyenberg gekauft. Da sie dieses nicht an RWE verkaufen wollen, müsste das Unternehmen die Enteignung beantragen, wenn es weiter baggern will. Dagegen können die Anwohner rechtlich vorgehen. Sie hoffen, so einen Präzedenzfall zu schaffen, der weitere Enteignungen verhindert und die Dörfer rettet.

Kox hofft, dass es nicht zum Rechtsstreit kommen wird, sondern RWE und Landesregierung nachgeben. Auf einer Skala von 1 bis 10 liegt ihre Hoffnung bei 7, dass sie ihre Heimat retten kann. Gerade denken sie darüber nach, sich eine Solaranlage aufs Dach zu setzen.

Das könnte Sie auch interessieren: