Konzentrierte AktionWeitere Durchsuchungen im Missbrauchskomplex Münster
Düsseldorf – Im Missbrauchskomplex Münster sind am Dienstag 180 Beamte zu weiteren Durchsuchungen in vier Bundesländern ausgerückt. Es seien drei weitere Verdächtige dem Haftrichter vorgeführt und drei weitere identifiziert worden, sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) am Dienstag in einer Sondersitzung mehrerer Landtagsausschüsse in Düsseldorf zu dem Komplex. Die konzertierte Aktion habe in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein stattgefunden.
Es gehe um den Verdacht des schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, teilten die Ermittler in Münster mit. Bei den Beschuldigten handelt es sich um einen 26-jährigen Mann aus Aachen und zwei 29 und 49 Jahre alte Männer aus Hannover. Gegen einen 29-jährigen Tatverdächtigen aus Heiligenhaus bei Essen, einen 36-Jährigen aus Langenhagen (Niedersachsen) und einen 52-Jährigen aus Norderstedt (Schleswig-Holstein) werden weitere Ermittlungen geführt.
Das könnte Sie auch interessieren:
Der Aachener sei durch das bislang ausgewertete Videomaterial und der Aussagen des zehnjährigen Opfers in den Fokus der Ermittler gerückt. Er soll sich Anfang Mai in der Laube der Kleingartenanlage des 27-jährigen Haupttäters in Münster aufgehalten und den Zehnjährigen in Winterberg, Münster und Dresden schwer sexuell missbraucht haben.
Der zweite mit Haftbefehl Festgenommene, ein 29-jähriger Mann aus Hannover, soll mit dem Hauptverdächtigen und dem Zehnjährigen in Urlaub gewesen sein. Dabei soll das Kind ebenfalls missbraucht worden sein. Festgenommen worden sei er bei seinen Eltern im Großraum Frankfurt.
Beim 29-jährigen Verdächtigen aus Heiligenhaus setzten die Beamten Datenspeicherspürhunde ein. Sie fanden ein aufblasbares Bett, Kinderspielzeug und einen Laptop in seinen Räumen.
21 Verdächtige
Insgesamt gebe es in dem Komplex nun 21 Verdächtige, von denen 10 in Haft seien. Der Fall des schweren sexuellen Missbrauchs mehrerer Kinder in Münster war Anfang Juni bekannt geworden. Der 27 Jahre alte Hauptverdächtige war wegen Besitzes von Kinderpornografie zweifach vorbestraft und stand unter Bewährung. Er soll sich am zehnjährigen Sohn seiner Lebensgefährtin vergangen haben.SPD-Abgeordnete kritisierten in Düsseldorf, es gebe nun mehrere Fälle in NRW, bei denen Behörden Hinweise nicht weitergegeben hätten. Außerdem sei im Fall des Hauptverdächtigen von Münster ein Kind in großer Gefahr gewesen. Obwohl die Polizei bereits gegen den einschlägig vorbestraften Pädophilen ermittelt habe, sei es in dieser Zeit zu brutalen Gruppenvergewaltigungen des Kindes gekommen.
Bei dem Hauptverdächtigen handele es sich um einen IT-Administrator, der seine Datenträger hochprofessionell verschlüsselt habe, sagte Reul. Aus wenigen unverschlüsselten Dateien sei zunächst nur der Verdacht des Kinderpornografie-Besitzes, nicht des Missbrauchs erkennbar gewesen.
Reul berichtete, dass der erste Hinweis in der Sache - noch ohne konkreten Verdächtigen - bereits im Oktober 2018 aufgetaucht sei - entdeckt bei anlassunabhängiger Suche im Internet durch Mitarbeiter des Landeskriminalamtes.Es sei aber nur um Kinderpornografie gegangen und es seien noch 50 ähnliche Verfahren anhängig gewesen. Zudem habe es gedauert, die hochprofessionelle Verschlüsselung weiterer Datenträger zu knacken. Ein knappes Jahr später sei der spätere Hauptverdächtige in den Blick geraten. Im Mai 2019 sei bei ihm durchsucht worden.
Dabei seien Hinweise entdeckt worden, dass seine Lebensgefährtin einen zehnjährigen Sohn hat. Es habe aber noch kein Missbrauchsverdacht vorgelegen. „Da hätten bereits die Alarmglocken angehen können“, räumte Reul ein.Am 15. Mai dieses Jahres sei es schließlich durch eine findige Beamtin gelungen, die aufwendige Verschlüsselung seines Laptops zu knacken. „Das hätte auch noch Jahre dauern können“, sagte Reul. Als auf dem Laptop dann Hinweise für sexuellen Missbrauch des Kindes gefunden wurden, sei binnen 48 Stunden gehandelt worden.
Ein Vertreter des Justizministeriums ergänzte, der bloße Kinderpornografie-Verdacht sei nicht ausreichend gewesen, die Bewährung des Mannes zu widerrufen und ihn zu inhaftieren.
Vertreter des NRW-Familienministeriums sagten, die Mutter des Kindes und Lebensgefährtin des Verdächtigen habe die Zusammenarbeit teilweise verweigert. So habe sie Gespräche mit dem Kind nicht zugelassen. Zwar hätte dies durch einen Gerichtsbeschluss ersetzt werden können, darauf habe man aber verzichtet, um die Kooperation nicht gänzlich zu zerstören.
„NRW ist nicht das Land des Bösen“, entgegnete NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) auf die Vorwürfe. „Das hier so viele Fälle bekanntwerden, liegt vor allem an dem Ermittlungsaufwand, den wir inzwischen betreiben. Diese Netzwerke gibt es schon lange, diese Subkultur ist lange gewachsen.“
Hinweise aus Ermittlungsverfahren, bei denen die Unschuldsvermutung der Verdächtigen weiter gilt, seien nur in besonderen Ausnahmefällen möglich, ergänzte ein Ministeriumsvertreter.
„Wir müssen aufpassen, nicht die Falschen mit Vorwürfen zu belegen“, sagte Reul. So könne ein Foto, das von den Ermittlern zunächst als Kinderpornografie gewertet wurde, plötzlich einen Missbrauchsverdacht ergeben, wenn neue Erkenntnisse hinzu kämen. Die drei Ausschüsse für Inneres, Justiz und Familie tagten auf Antrag von SPD und Grünen trotz Sommerpause. (dpa)