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Kohleausstieg 2030SPD-Fraktion fordert mehr Tempo im Rheinischen Revier

Lesezeit 5 Minuten
Braunkohletagebau Garzweiler.

Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen will aus dem Braunkohletagebau - hier Garzweiler - bis 2030 aussteigen. Die SPD fordert mehr Tempo beim Strukturwandel im Revier.

Die NRW-Landesregierung hat auf SPD-Fragen zur Zukunft des Rheinischen Braunkohle-Reviers geantwortet. Kritisiert werden vor allem unklare Zuständigkeiten und fehlende Strategien.

Die SPD-Opposition im Düsseldorfer Landtag hat am Mittwoch die Landesregierung stark kritisiert. Zuvor hatte die Regierung auf rund 150 Seiten auf die 168 Fragen der Sozialdemokraten zum Strukturwandel im Gebiet des Braunkohle-Tagebaus im Rheinland geantwortet. Eingeladen hatte die Beauftragte der SPD-Fraktion für das Rheinische Revier, Lena Teschlade. „Wir haben gehofft, den großen Plan der NRW-Landesregierung zum Strukturwandel in der betroffenen Region präsentieren zu können. Aber die Antworten auf unsere Anfragen sind enttäuschend.“

Teschlade sprach am Mittwoch in Düsseldorf von einem „Strukturwandel-Chaos, das die Landesregierung veranstaltet“ und kritisierte vor allem fehlende klare Zuständigkeiten in der Landesregierung und ein zu geringes Tempo in den Bereichen Flächenentwicklung und Schaffung alternativer Arbeitsplätze. „Bis 2030 sind es nur noch sechs Jahre. Beim aktuellen Tempo der Landesregierung wird der notwendige Strukturwandel nicht klappen“, ist sich Teschlade sicher.

Die Landesregierung hatte in ihrem Antworten-Katalog erklärt, dass die 2019 eingesetzte Interministerielle Arbeitsgruppe (IMAG) die grundlegenden Beschlüsse zum Strukturwandel im rheinischen Revier treffe und dazu einmal im Monat tage. Zu deren Hauptaufgaben gehören die Koordination der verantwortlichen Landesressorts, die Rahmensetzung zur Realisierung von Fördermaßnahmen im Revier und die Gesamtsteuerung des Budgets.

Blick in die Lausitz soll helfen

„Von der Kohle zur KI“ sei zwar eine sinnvolle Ausrichtung, entpuppe sich nach der Antworten-Lektüre aber als „hohle Phrase“, kommentierte Teschlade eines der wichtigsten Regierungsziele. „Eine Stelle muss den Überblick behalten, eine Strategie entwickeln und die Koordination der einzelnen Ressorts bearbeiten.“ Seit Jahren fordere die SPD deshalb einen Beauftragten für den Strukturwandel im Rheinischen Revier, so wie es in Brandenburg für die Lausitz der Fall sei. Diese zentrale Person müsse direkt in der Staatskanzlei angesiedelt sein, um Entscheidungen schnell und effizient voranzutreiben, so die SPD-Politikerin weiter. NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) antwortete in dem Papier auf diese Forderung, dass die Benennung eines Revier-Beauftragten nicht geplant sei, weil ohnehin die ganze Landesregierung an dem Prozess arbeite.

Bis 2030 sind es nur noch sechs Jahre. Beim aktuellen Tempo der Landesregierung wird der notwendige Strukturwandel nicht klappen.
Lena Teschlade, Beauftragte der SPD-Fraktion für das Rheinische Revier

Die SPD weist darauf hin, dass von 14,8 Milliarden Euro an Strukturfördermitteln rund 11,5 Milliarden seit Jahren nur in unfertigen Projekten verplant seien, ohne dass etwas vorankomme. Tatsächlich ausgegeben seien erst 1,5 Milliarden Euro. „Hier herrscht an fast allen Stellen regelrechter Projektstillstand.“ Mit den Mitteln von Bund und Land geförderte Projekte sollten wie im ehemaligen Braunkohle-Tagebaugebiet der Lausitz klarer definiert werden, so die SPD weiter. Denn hier würden jedem Projekt die Fördermittel, Zuständigkeiten und die Ansprechpartner zugeordnet, was die Prozesse deutlich beschleunigen würde. „Bis 2030 sind es nur noch sechs Jahre. Beim aktuellen Tempo der Landesregierung wird der notwendige Strukturwandel nicht klappen“, ist sich Teschlade sicher.

Zur Erreichung des vorzeitigen Ausstiegs aus der Kohleverstromung im Jahr 2030 antwortete die NRW-Regierung, dass zur notwendigen Dynamisierung des Innovations- und Transfergeschehens im Rheinischen Revier die Steigerung der Attraktivität des Wirtschafts- und Lebensstandortes vorangetrieben werde insbesondere über städtebauliche Maßnahmen, den Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und der Mobilitätsangebote, den Ausbau und die Vernetzung der grün-blauen Infrastruktur für CO2-neutrale Gas- und Wasserstoff-Versorgung sowie durch Maßnahmen zur Klimaanpassung, Stärkung des Tourismus, der Kultur, des Sports, der Gesundheit und die umfassende Bereitstellung digitaler Infrastrukturen.

Hightech-Firmen siedeln im Revier an

Die seit 2014 für die Organisation des Strukturwandels im Revier zuständige „Zukunftsagentur Rheinisches Revier“ (ZRR) antwortete auf Nachfrage der Rundschau, dass in den vergangenen Monaten zahlreiche Förderprojekte seitens des Landes NRW und des Bundes im Revier bewilligt werden konnten. Traditionelle Branchen wie die Textilwirtschaft, Land- und Ernährungswirtschaft sowie die Papierherstellung transformieren sich in innovative Industriezweige. Gleichzeitig bringen jüngere Branchen, wie die Luft- und Raumfahrt, KI-Digitaltechnologien und Erneuerbare Energien den Standort mit hoher Dynamik voran, so die ZRR.

Die SPD hatte am Mittwoch Zahlen vorgelegt, dass von den insgesamt 420 eingereichten Projekten „bis heute nur 175 bewilligt, beziehungsweise entsprechende Förderbescheide ausgestellt wurden“. Zwar begrüße die Opposition die jüngsten positiven Meldungen über die Ansiedelung internationaler Firmen aus dem Hightech-Bereich im Revier, vermisse jedoch konkrete Angaben, welche Folge-Projekte sich zum Beispiel aus der Ansiedlung des US-amerikanischen Tech-Konzerns Microsoft im Rheinischen Revier ergeben.

Im Übrigen würde sich die Landesregierung diesen Erfolg aus Oppositionssicht zu Unrecht auf ihre Fahne schreiben, da belegbar Bundeskanzler Olaf Scholz und die betreffenden Kommunen die entscheidenden Gespräche geführt haben. Die Wirtschaftsministerin macht zu diesem Themenbereich keine konkreten Angaben und beruft sich dabei in ihrer Antwort auf den „vertraulichen Austausch mit Industrieunternehmen für die Ansiedlung von flächenintensiven Großvorhaben“.

Grafik zum möglichen "Tagebausee Hambach"

Visualisierung, wie es am Tagebau Hambach mal aussehen könnte.

Eine zentrale Forderung der Sozialdemokraten ist das Schaffen von tarifgebundenen Arbeitsplätzen. „Der Markt alleine wird das nicht regeln“, so Lena Teschlade am Mittwoch in Düsseldorf. „Im Zuge des Strukturwandels muss die Landesregierung hier mitgestalten.“ Das geltende Tariftreuegesetz zur Einhaltung von Tariftreue und Mindestlohn bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen gebe hier den Maßstab vor, so die SPD-Politikerin.

Die IHK Köln hat auf Nachfrage der Rundschau geäußert, dass viele der Fragen, die die SPD an die Landesregierung hat, auch ihre Fragen seien. Daher werde die IHK die umfangreichen Antworten sehr aufmerksam auswerten. „Uns geht es beim Strukturwandel im Rheinischen Revier vornehmlich um die Sicherheit der Energieversorgung und um Arbeitsplätze und zwar sowohl um die Weiterentwicklung bestehender wie auch um den Ersatz wegfallender Arbeitsplätze mit hoher Wertschöpfung“, sagte der Hauptgeschäftsführer der IHK Köln, Uwe Vetterlein, noch am Mittwoch. Das sei für die Kammer die einzige Währung, die im Strukturwandel zähle. Man sehe daher die Landesregierung in der Verantwortung, konkrete, nachvollziehbare Konzepte und Strategien für das Rheinische Revier zu liefern, forderte Vetterlein. (mit dpa)


Internationale Firmen siedeln im Revier an

Im vergangenen Monat hatte das Düsseldorfer Wirtschaftsministerium angekündigt, dass sich im Rheinischen Braunkohle-Revier mindestens schon mal ein weiteres Technologie-Unternehmen ansiedeln wird: Auf dem Gelände des Brainergy Parks in Jülich sollen demnach im kommenden Jahr zunächst 90 und bis 2028 insgesamt 360 Arbeitsplätze entstehen. Ein Unternehmen aus Taiwan wolle dort künftig hochpräzise elektronische Anlagen und Geräte für Fahrzeughersteller, vor allem im Bereich autonomes Fahren, produzieren. Mit dem Aus für die Braunkohleförderung werden im Rheinischen Revier in den nächsten Jahren Tausende Arbeitsplätze in dieser Branche verschwinden. (dpa)