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Ergebnis der „Heinsberg-Studie“Dunkelziffer der Infizierten könnte zehnmal höher sein

Lesezeit 3 Minuten
Laschet und Streeck

Der Bonner Virologe und Leiter der „Heinsberg-Studie“ Hendrik Streeck (l.) mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU, r.)

Bonn – Als die Forscher von der Universität Bonn vor knapp einem Monat mit ziemlicher Begleitmusik ein Zwischenergebnis ihrer Corona-Studie aus dem Kreis Heinsberg veröffentlichten, waren Pauken und Trompeten womöglich etwas laut. Während die Politik in den Zahlen eine Möglichkeit sah, die strengen Corona-Maßnahmen zu lockern, reagierten die Kollegen in der Wissenschaft etwas gereizt – es sei nicht üblich, sich mit vorläufigen Resultaten Aufmerksamkeit zu sichern. Jetzt hat das Bonner Forschungsteam um Prof. Dr. Hendrik Streeck und Prof. Dr. Gunther Hartmann nachgelegt – am Montag wurden die kompletten Daten und Methoden veröffentlicht. Eines der Ergebnisse: Die Forscher rechnen vor, dass die Dunkelziffer der Infektionen „um den Faktor 10 größer ist als die Gesamtzahl der gemeldeten Fälle“ – bei knapp 162.000 gemeldeten Fällen gehen die Bonner von 1,8 Millionen Infizierten in Deutschland aus.

Die Politik hielt sich mit einer Bewertung der Studie zunächst zurück; Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bat bei einer Veranstaltung in Bayern um „etwas Geduld“, NRW-Ministerpräsident Armin Laschet sagte am Rande seines Besuchs bei den Ford-Werken in Köln: „Die Studie ist sehr komplex und lässt sich nicht so schnell in Gänze erschließen. Unsere Grundvermutung scheint sich aber zu bestätigen: Wir haben immer gedacht, dass es eine höhere Dunkelziffer gibt.“

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In Gangelt waren nach einer Karnevalssitzung im Februar sehr viele Personen infiziert. Der 12.000-Einwohner-Ort galt seither als ein Zentrum der Corona-Epidemie. Die Bonner Wissenschaftler hatten nun 600 zufällig ausgewählte Haushalte um eine Teilnahme an der Studie gebeten; am Ende wurden 919 Teilnehmer aus 405 Haushalten sechs Wochen nach dem Ausbruch der Infektion in Gangelt befragt und getestet. Im Fokus der wissenschaftlichen Auswertung stand dabei vor allem die Sterblichkeitsrate der Infektion mit dem Coronavirus, die zuvor noch nicht wissenschaftlich betrachtet worden war.

Die Studie kommt zum Ergebnis, dass 15 Prozent aller Einwohnerinnen und Einwohner in Gangelt nach diesem einen Ausbruchsereignis infiziert sind. Die Sterblichkeitsrate, die die Wissenschaftler mit den Zahlen der insgesamt Erkrankten und tatsächlich Verstorbenen errechneten, klingt vergleichsweise gering: 0,37 Prozent gibt die Studie an. Das liegt am unteren Ende der Erwartungen, bildet für die Bonner aber vor allem eine Grundlage für weitere Berechnungen.

Rückschlüsse auf die Dunkelziffer für ganz Deutschland

Signifikant ist dieses Ergebnis nicht in erster Linie für die Bestimmung, wie viele Menschen an Covid-19 gestorben sind oder sterben werden. Vor allem lassen sich dadurch Rückschlüsse auf die Dunkelziffer der in ganz Deutschland Infizierten ziehen; ausgehend von der Zahl der bestätigten Tode durch Covid-19 in Deutschland – etwa 6700 zum Zeitpunkt der Studie – ergibt sich im Rückschluss eine geschätzte Zahl von 1,8 Millionen Infizierten.

Die Heinsberg-Studie untersuchte auch die Symptome, die Infizierte nach einer Ansteckung zeigen. Oder eben nicht: Die Wissenschaftler fanden, dass bis zu 20 Prozent der Infektionen asymptomatisch verlaufen und somit nicht erkannt werden. Die bisherige Praxis, Tests nur dann anzuwenden, wenn ein Kontakt zu einer infizierten Person bestand und Symptome auftraten, würde diese Erkrankten entsprechend nicht berücksichtigen. Die Wissenschaftler betonen die Wichtigkeit der allgemeinen Abstands- und Hygieneregeln.

Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn häufigstes Symptom

Zu den häufigsten Symptomen, wenn denn welche auftreten, gehört der Verlust von Geruchs- und Geschmackssinn, so die Studie. Wer sich wie stark mit dem Virus ansteckt, hat offenbar wenig mit Alter oder Geschlecht zu tun. In den Familien-Haushalten, die in Gangelt untersucht wurden, stellten die Wissenschaftler keine signifikanten Unterschiede zwischen den Altersgruppen oder Geschlechtern fest.

Welche konkreten Schlüsse jetzt aus der Studie gezogen werden müssten, hänge von einer Vielzahl an Faktoren ab, so Streeck: „Die Bewertung der Erkenntnisse und die Schlussfolgerungen für konkrete Entscheidungen obliegen der Gesellschaft und der Politik.“