Heimat-Check LeverkusenBergisch Neukirchener wollen sich Idylle bewahren
Leverkusen – Was Bergisch Neukirchen so lebenswert macht? „Wir haben Geschichte“, sagt Hans-Martin Kochanek, der Leiter des Naturguts Ophoven. Der 62-Jährige vergleicht den Stadtteil mit einem Baum: „Er hat Wurzeln, ist im Boden verankert, treibt Grün aus und trägt Obst. Jeder Stadtteil ohne Wurzeln hat es schwer, seine Identität zu finden“, ist Kochanek überzeugt.
Bergisch Neukirchen hat damit keine Probleme: Schon immer war der ländliche Teil Leverkusens, der in den 70er Jahren eingemeindet wurde, als „Bergische Obstkammer“ bekannt. Noch heute prägen Obstwiesen und auch Landwirtschaft den Ort.
Eins der ältesten Häuser stammt noch aus dem 18. Jahrhundert. „Wunderschön“, schwärmt Kochanek und zeigt auf, warum die Bauweise von Bergisch Neukirchener Häusern als „Blaupause“ für ganz Leverkusen genutzt werden könnte. 150 Fachwerkhäuser gibt es dort, so viele wie in keinem anderen Stadtteil. Diese Lehmbaumethode ist zukunftsträchtig, ist sich Kochanek sicher. Während die heutzutage gebauten Steinhäuser sich stark erhitzen, Wärme aufnehmen und abstrahlen, hätten die Lehmbauhäuser ein viel besseres Klima – abgesehen davon, dass nicht so viel Energie zum Bauen nötig sei. Und dann werde heutzutage so ein Steinhaus nach 30 Jahren abgerissen, schüttelt Kochanek den Kopf über diese Verschwendung. Doch nicht nur die Bauweise spricht ihn an, „die Häuser sind auch optisch ein Genuss“ mit ihren grünen Fensterläden.
Doch Bergisch Neukirchen hat nicht nur viel Grün an den Häusern, sondern auch Grün drumherum. Auch, wenn die alte Allee oder die großen erhabenen Kastanienbäume, die die Hauptstraße früher säumten, mittlerweile verschwunden sind, hat Bergisch Neukirchen von einem reichlich: Natur. Doch auch hier ist sie bedroht. Es gibt immer wieder Diskussionen, mehr Wohnfläche zu schaffen. Für den Leiter des Naturguts ein Graus: „Wenn wir noch mehr bauen, verschwindet die Lebensqualität. Es wäre schade, wenn die kaputt geht“, bedauert Kochanek.In die gleiche Kerbe schlägt auch Roland Hölzer. Der 65-Jährige ist Ur-Bergisch-Neukirchener – fast. In der Elsbachstraße geboren, ist er noch haarscharf Opladener geworden. Der Vater komme aber aus Imbach, insofern zählt das, ist man sich schmunzelnd einig.
Mit seiner Frau Anette, die ihren Stammbaum auf die alteingesessene Familie Wirtz mit der Apfelkrautfabrik zurückführen kann, zog er 1988 in ein Fachwerkhaus – selbstverständlich mit grünen Fensterläden.In dem großen Garten wachsen Äpfel mit Namen wie „Rheinischer Krummstiel“, Birnen der alten Sorte „Köstliche aus Charneux“ oder „Gräfin aus Paris“. Die Goldrute blüht, der Wein gedeiht: Ein Idyll haben sich die Hölzers in all den Jahren geschaffen. Und das wollen sie bewahren. „Was alle Ortsteile von Bergisch Neukirchen eint, ist die Furcht vor der Entwicklung, die sich derzeit abzeichnet. Nämlich den Folgen der Verdichtung“, erklärt Hölzer. Ihm sei die Problematik um den knappen Wohnraum bewusst und natürlich sollen junge Familie die Gelegenheit erhalten, in so einem Idyll zu wohnen, findet er.
Nicht nur nachverdichten
Doch „Verdichtung ist kein Allheilmittel“, ist der 65-Jährige überzeugt. Bergisch Neukirchen sei „harmonisch gewachsen“, die einzelnen Ortsteile sind zu erkennen und besitzen eine eigene Identität, ein eigenes Dorfleben mit Festen. Wird zu viel gebaut, zu viel nachverdichtet, werden zu viele Baulücken geschlossen, würde das verloren gehen. „Die Weitläufigkeit macht Bergisch Neukirchen aus, die Natur, die Streuobstwiesen“, fügt Anette Hölzer hinzu. An so vielen Stellen könne man bis nach Köln oder zum Siebengebirge schauen. Das wollen sich viele Bergisch Neukirchener erhalten.
Genau wie das Zusammengehörigkeitsgefühl: Tochter Lena ist mit ihrem Freund zusammengezogen. Dass sie in Bergisch Neukirchen bleibt, stand für sie außer Frage. Die 30-Jährige schätzt das Zusammengehörigkeitsgefühl: „Wenn ich beim Bäcker Brötchen holen gehe, gehe ich ein paar Minuten früher hin, weil ich weiß: Ich brauche noch etwas Zeit zum Quatschen. Man kennt sich hier.“ Bäckereien besitzt der Stadtteil zwei. Und das reiche vollkommen aus, findet Lena Hölzer. Genau wie die restliche Infrastruktur genügend sei. Ein Aldi, vier Hofläden, ein Tedi ist neu hinzugekommen, mehrere Gastronomien. „Wer sagt: »Wir haben hier nichts«, den kann ich nicht verstehen“, empört sich die 30-Jährige.So denkt auch Hans-Martin Kochanek vom Naturgut Ophoven. „Im Grunde haben die Bergisch Neukirchener alles, was sie brauchen.“ Eine Grundversorgung vor Ort, man kommt schnell mit dem Bus nach Opladen oder Leichlingen. „Es gibt keinen Grund für mehr Infrastruktur.“ Schon jetzt staue es sich abends, aber vor allem morgens auf der Hauptstraße und es verschlechtere sich die Luftqualität. „Die Zunahme der Autos ist ein riesiges Problem“, betont Kochanek.
Wer vom Auto lieber aufs Rad umsteigen möchte, hat mit der Balkantrasse, die am Ort entlang führt, eine Alternative. Zu der hat die überzeugte Bergisch Neukirchenerin Lena Hölzer eine ambivalente Meinung: „Generell finde ich das für die Radfahrer eine schöne Sache.“ Doch dass der komplette Streifen asphaltiert wurde, ist für sie beim Thema Naturschutz durchaus ein Dorn im Auge. Bei aller grundsätzlichen Begeisterung für ihren Ort – Eines fehlt: „Schön wäre es, wenn wir einen Markt hätten“, sagt Lena Hölzer und brainstormt bereits, wo er entstehen könnte. Bergisch Neukirchen lebt.