Hilfe für missbrauchte Frauen„Auf dem Sofa zu Hause gefährlicher als mit Rock nachts“
- Carolin Brener arbeitet für den Frauennotruf Leverkusen und erklärt, wie die Hilfe aussieht.
- Die Mitarbeiterinnen unterstützen die Frauen auch vor Gericht als Prozessbegleiterinnen.
- Wir haben uns mit Brener unterhalten: Wie sie den Job aushält und wo die meisten Gefahren für Frauen lauern.
Leverkusen – Missbraucht, verletzt, gedemütigt: Beim Frauennotruf in der Damaschkestraße können Frauen Hilfe bekommen. Carolin Brener ist eine der Beraterinnen in Leverkusen. Sie begleitet Frauen auch vor Gericht, um ihnen während eines Missbrauchs-Prozesses beizustehen.
Was können Frauen erwarten, wenn Sie sich bei Ihnen melden?
Ich berate Frauen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Von Prävention über Gespräche zu sexualisierten Übergriffen bis hin zu regelmäßiger häuslicher Gewalt, die nicht aufhört, oder Vergewaltigungen. Über einzelne Fälle darf ich nicht sprechen. Aber ich habe hier gelernt, dass es nichts gibt, was es nicht gibt.
Erstmal geht es darum, zuzuhören und die eigene Unterstützung anzubieten. Deutlich zu machen, dass die Beratung ein geschützter Raum ist, dass man so viel erzählen kann, wie man möchte. Das löst oft eine große Erleichterung aus.
Im zweiten Schritt besprechen wir, was das konkrete Anliegen ist: Geht es um die Frage, ob eine Anzeige erstattet werden soll? Geht es um psychosoziale Unterstützung? Geht es darum, mögliche Folgen zu verstehen – wie fehlende Erinnerungen, Schlafstörungen oder Flashbacks?
Die Gespräche sind dann sehr individuell, da gibt es kein Muster. Es geht aber meist um Stabilisierung und um äußere Sicherheit – auch weil die Gewalt oft nicht vorbei ist, wenn Frauen mit uns sprechen.
Wer ruft bei Ihrer Beratungsstelle an?
Vor allem Mädchen und Frauen, die direkt betroffen sind, aber auch Angehörige und Fachkräfte, da auch Männer. Unsere Perspektive ist explizit weiblich und damit parteilich, deshalb arbeiten auch nur Frauen bei uns. Die Täter sind in den allermeisten Fällen männlich. Ein vertrauliches Gespräch mit Männern kann für Betroffene schwierig sein.
Wie schaffen Sie es, zuhause abzuschalten, wenn Ihnen Frauen tagsüber von Vergewaltigungen erzählen und Sie um Hilfe bitten?
Um den Beruf auszuüben, muss man sich selber gut kennen. Burnout im sozialen Bereich ist nicht selten. Aber die Verarbeitung ist Teil der Ausbildung, außerdem gibt es zu dem Thema regelmäßig Gespräche mit Kolleginnen. Das ist wichtig. Es hilft mir auch sehr, dass ich nicht in Leverkusen wohne.
Neben den Beratungen bieten Sie auch psychosoziale Prozessbegleitungen an. Was ist das?
Die Möglichkeit für Betroffene einer Straftat, im gesamten Prozess begleitet zu werden. Wir bieten die psychosoziale Prozessbegleitung für Frauen an, die eine Anzeige wegen sexualisierter Gewalt erstattet haben. Das kann heißen, dass wir ihnen erklären, wer vor Gericht sitzt und wer dort was von ihnen erwartet. Oder dass wir sie darauf vorbereiten, in einem Raum mit dem Täter zu sein.
Dann begleiten wir sie im Prozess, stehen ihnen zur Seite. Über das Delikt sprechen wir mit ihnen nicht, als Begleiterinnen sind wir neutral und dürfen die Aussagen nicht beeinflussen. Wenn eine Frau von uns beraten wird und zusätzlich eine Prozessbegleitung möchte, dann übernimmt das jeweils eine andere Kollegin.
Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Begleitung den Betroffenen hilft?
Auf jeden Fall. Angehörige denken oft, dass es sinnvoll ist, sofort Anzeige zu erstatten. Welche Folgen das für die Betroffene hat, dass es da oft um einen jahrelangen Prozess geht, ist nicht wirklich bekannt. Bisher hat die Begleitung den Betroffenen immer sehr geholfen, damit richtig umzugehen.
Gibt es vor Gericht zu wenig Rücksicht darauf, dass Opfer von Sexualstraftätern oft traumatisiert und ihre Aussagen dadurch eingeschränkt sind?
In unserer Gesellschaft sind Stereotypen, Rollen und Mythen über sexualisierte Gewalt weit verbreitet – auch vor Gericht. Oft wird gefragt, warum das Opfer denn alkoholisiert war, warum es bestimmte Klamotten anhatte oder warum es sich nicht gewehrt hat. Und ob es dann nicht auch selbst Schuld sei. Das hat oft mit fehlendem Wissen zu tun. In vielen Fällen ist die Aussage einer betroffenen Frau das Hauptbeweismittel. Die Antwort auf Ihre Frage ist also: Ja. Wir würden uns wünschen, dass es in dem Bereich eine Fortbildungspflicht für Juristen gibt.
Wie hat Ihre Arbeit beim Frauen-Notruf ihren Blick auf das Thema sexualisierte Gewalt verändert?
Dass sich die Mythen über sexualisierte Gewalt in unserer Gesellschaft konsequent halten. Statistiken belegen, dass es für Frauen mit Jogginghose auf dem Sofa gefährlicher ist als mit Rock nachts auf der Straße. Das ist auch meine Beobachtung. Die allermeisten Übergriffe finden im direkten Bekanntenkreis statt. Auch dass Männer aus anderen kulturellen Hintergründen eher zu Sexualstraftätern werden, entspricht nicht meiner Erfahrung – und ist statistisch widerlegt. Für mich ist deutlich, dass Gewalt nach wie vor eines der größten Gesundheitsrisiken für Mädchen und Frauen ist – und dass sich unsere Gesellschaft hier längst nicht schnell genug bewegt.
SPENDEN SIND NÖTIG
Zu 80 Prozent wird der Leverkusener Frauennotruf in der Damaschkestraße vom Land Nordrhein-Westfalen finanziert, das gilt auch für die Beratungsstelle. Zudem gibt es Zuschüsse von der Stadt. Daneben ist der Frauennotruf auf 20 000 Euro Spenden im Jahr angewiesen.
Seit 2017 arbeitet Carolin Brener mit Kollegin Andrea Frewer bei der Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt, zuvor war lediglich eine halbe Stelle finanziell gedeckt. Die Möglichkeit einer kostenlosen Prozessbegleitung ist bislang nur wenigen Opfern bekannt, erst 2019 begleitete die Beratungsstelle erste Verfahren. (pg)
www.frauennotruf-lev.de