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Explosion an der SondermüllverbrennungGewaltige Rauchwolke über der Stadt

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Dicker schwarzer Qualm quoll aus dem brennenden Tanklager neben der Sondermüllverbrennungsanlage.

Leverkusen – Zwei Tote, vier Vermisste, 31 Verletzte, davon fünf Schwerverletzte, einer von ihnen mit lebensgefährlichen Verbrennungen. Das ist die vorläufige Aufzählung der Opfer des Großbrands an der Tankanlage der Sondermüllverbrennungsanlage in Bürrig. Dort hat sich am Dienstag um 9.38 Uhr aus bisher nicht näher bekannter Ursache eine Explosion ereignet, wie sie auch ältere Leverkusener vielleicht noch nie erlebt haben.

Eine gute halbe Stunde nach der Explosion um 10.15 Uhr brannte es am Tanklager noch. Im Bild steht ein Tanklastwagen mit offener Tür, Trümmer liegen umher.

Ein Mitarbeiter des Grünflächenamts, der gerade am Wasserturm auf dem Sitzrasenmäher mit dem Gesicht zur Müllverbrennungsanlage saß, berichtet von einem Feuerball, der „wie bei einer Atomexplosion“ in die Höhe zog. Im Gesicht habe er die glühende Hitze gespürt. Der Wasserturm steht in einem Kilometer Entfernung. Die Explosion war bis an die Hänge des Bergischen Lands spürbar. Kurz darauf stand ein regelrechter Rauchpilz über dem Tanklager der Sondermüllverbrennung, der weit über die Stadtgrenze sichtbar war. Dieser verwandelte sich in eine dicke schwarze Rauchsäule, die sich zuerst in Richtung Bürrig, Küppersteg und Opladen neigte. Später drehte der Wind etwas in Richtung Norden, dann war Rheindorf betroffen.

Drei große Tanks brannten

In einer Pressekonferenz am Nachmittag erläuterte Chempark-Leiter Lars Friedrich, dass drei Tanks, jeder 300 bis 400 Kubikmeter groß, gefüllt mit flüssigem Produktionsabfällen aus der chemischen Industrie gebrannt hätten. In den Tanks werden verschiedene Sorten Lösungsmittel zusammengekippt. Vorher werde geprüft, was zusammenpasse, sagte der Feuerwehrchef Stephan Hummel. In den Tanks brannten chlorierte und nicht chlorierte Lösungsmittel. Wie viel verbrannte, ist nicht klar.

Ein Schwerstverletzter wurde in die Spezialklinik für Verbrennungsopfer nach Köln-Merheim gebracht.

Chempark-Leiter Friedrich wirkte angesichts der Opfer bedrückt, die Sorge gelte den vier Vermissten. Er sagte, die Niederschläge der Rauchwolke würden jetzt gemeinsam mit dem Landesumweltministerium analysiert, das dauere möglicherweise ein paar Tage. Zur Zeit schließe man nicht aus, dass auch giftige Substanzen freigesetzt wurden.

Oberbürgermeister Uwe Richrath kündigte an, dass die städtischen Spielplätze sicherheitshalber gesperrt werden. Sollten Bürger seltsame Niederschläge finden, etwa Ruß, sollten sie diese nicht anfassen und unter dem Bürgertelefon 0214/ 406 33 33 melden. Die Behörden warnten bis in den Nachmittag vor extremer Gefahr. Nahrungsmittel aus betroffenen Gärten sollen vorsorglich nicht gegessen werden.

Frühere Störfälle in der Anlage

Die aktuelle Explosion im Entsorgungszentrum in Bürrig ist nicht der erste Störfall dort. Im Juli 1980 kam es zu einer Detonation von Flüssigabfällen im Anlieferungsbunker der Sondermüllverbrennung. Ein Baggerführer kam dabei ums Leben, acht Mitarbeiter wurden verletzt, einige von ihnen schwer. In den angrenzenden Stadtteilen gingen tausende Fensterscheiben zu Bruch. Die zerstörte Anlage fiel für längere Zeit aus.

Ein weiterer Störfall ereignete sich im Januar 2010. In einem Gebindelager mit Produktionsabfällen war ein Brand ausgebrochen, der erst nach mehreren Stunden gelöscht werden konnte. Aschepartikel regneten über Rheindorf nieder. Wie schon beim ersten Störfall bestand angeblich keine Gefahr für Gesundheit und Umwelt.

Ein Betriebsunfall anderer Art ereignete sich im März 2018 als im Rahmen einer Übung versehentlich eine Meldung über eine Explosion im Chempark mit mindestens fünf Verletzten von Currenta an mehrere hundert Empfänger bei Feuerwehr, Rettungsdiensten und Medien verschickt worden war. Eine technische Panne. (ger)

Alles Löschwasser und der Schaum an der Brandstelle seien aufgefangen worden, sagte der Feuerwehrchef. Der Einsatz wurde zuerst durch eine von der Explosion abgerissene Stromleitung behindert. Die Leitung musste stromlos geschaltet werden, erst dann konnten die Löscharbeiten richtig beginnen. Als Folge wurde der Chempark-Strom gedrosselt, deshalb schickte man einen Teil der Belegschaft nach Hause, sagte Chempark-Leiter Friedrich. Der Brand war kurz nach Mittag unter Kontrolle.

Straßen gesperrt

Über den ganzen Tag gab es zunehmend weiträumigere Sperrungen der Unglücksstelle. Die Autobahnen A 1 und A 59 wurden etwa eine Stunde nach der Explosion gesperrt, zeitweise auch die A 3. Dass die Polizei die Autobahn 59 früh sperrte, leuchtete allerdings nicht ein, denn sie war wegen der westlichen Windrichtung nicht verraucht. Stattdessen fuhren viele Autofahrer von Rheindorf aus über den Westring in Richtung Wiesdorf – einfach durch die Rauchfahne. Der Westring verläuft näher am Entsorgungszentrum als die Autobahn. Später wurde auch er gesperrt, ebenso einige Durchgangsstraßen in Bürrig und der Europaring. Manche Radfahrer hatten wenig Angst, sie hatten tatsächlich keine Scheu, durch die schwarz-grauen Schwaden zu radeln.

Sofort verbreiteten sich Videos, aber auch viele falsche Nachrichten über das Unglück in den sozialen Netzwerken. Zuerst hieß es, eine Kriegsbombe sei hochgegangen. Stunden nachdem sich die Explosion ereignet hatte, wurde auf Twitter verkündet, die Stadt Leverkusen solle evakuiert werden. Eine Sprecherin der Stadt: „Das ist völliger Unsinn.“ Wer die Nachricht in Umlauf gebracht hat, ist unklar.

Über WhatsApp verbreitete sich außerdem eine Sprachnachricht unbekannten Absenders, in der vor einer zweiten Explosion gewarnt wird. „Die kriegen das Feuer nicht gelöscht, ich hab das aus erster Hand“, behauptet eine Frauenstimme, und weiter: „Es kann sein, dass hier gleich alles explodiert“. Gegen solche Falschmeldungen hielten Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste mit seriösen Meldungen über die Warn-Apps, Radio Leverkusen und die örtlichen Medien.