FlutkatastropheMetternicher Augenzeugen berichten in Buch über Hochwasser
Weilerswist-Metternich – Das erste mulmige Gefühl beschlich Dorthe Schönekäs am 14. Juli beim Blick aus dem Fenster in ihren Carport. Dort hatten sich Gartenvögel sämtlicher Couleur versammelt, saßen entgegen ihrer natürlichen Scheu voreinander dicht gedrängt auf einem Balken und suchten Schutz vor dem nicht enden wollenden Regen.
Was in den nächsten Stunden und Tagen über die gesamte Region hereinbrechen würde, ahnte da noch niemand. Ihr mulmiges Gefühl sollte Dorthe Schönekäs jedoch nicht täuschen. Am Ende führte die Metternicherin wie viele andere Menschen einen aussichtslosen Kampf gegen die Wasser- und Schlammmassen, die viel Liebgewonnenes mit sich rissen und die vertraute Umgebung zerstörten.
Das kollektive Gedächtnis Metternichs
„Uns wird das Geschehen dieses verheerenden Flutsommers immer in Erinnerung bleiben. Es gehört zum kollektiven Gedächtnis Metternichs“, schreibt Schönekäs in ihrem Beitrag, der jetzt zusammen mit 49 weiteren in dem Buch „Metternich in der Flut – Augenzeugen berichten“ erschienen ist.
Marietta Thien, die das Werk zusammen mit dem Kulturverein Velbrück in ihrem Verlag herausgegeben hat, nennt es ein Dorfprojekt. Das Buch, an dem 50 Metternicher Bürgerinnen und Bürger mitgewirkt haben, soll sowohl Mahnmal als auch Denkmal für das katastrophale Naturereignis sein. Genauso soll es aber die unglaubliche Hilfsbereitschaft vergegenwärtigen, die aus der Not erwachsen ist.
30 000 verschlammte Bücher entsorgt
„Um die 150 Menschen haben uns hier auf unserem Hof in den ersten zwei Wochen geholfen – Freunde, Bekannte, aber auch sehr viele Fremde“, erzählt Thien, die allein 30.000 verschlammte Bücher entsorgen musste. Diese rührende Hilfe habe ihr und ihrer Familie Kraft und Mut gegeben, nicht aufzugeben. Und genauso ging es vielen anderen Menschen in Metternich, die im letzten Sommer von der Flutwelle überrascht wurden.
In Marietta Thien entstand die Idee, dass kollektiv Erlebte und Erlittene zu sammeln und die Dramaturgie der Ereignisse von den Betroffenen schildern zu lassen. „Ich dachte an ein kleines Büchlein mit vielleicht 20 Beiträgen“, so die Verlegerin. Wo es noch Briefkästen gab, steckte sie einen Aufruf hinein, auch über eine Metternicher WhatsApp-Gruppe suchte sie nach Menschen, die ihre Erinnerungen aufschreiben wollten.
Sommerfest auf dem Kulturhof Velbrück
Flutbuch ab Sonntag erhältlich
Das vom Verein Kulturhof Velbrück und Marietta Thien herausgegebene Buch „Metternich in der Flut – Augenzeugen erzählen“ ist ab dem 19. Juni für 19,90 Euro erhältlich, ISBN 978-3-934648-71-5.
Verein „Metternich Hilft“
Ein Teil der Einnahmen geht an den Verein „Metternich Hilft“, der während der Hochwasserkatastrophe entstand. Besonders hart betroffene Mitbürger erhalten hier schnelle, unbürokratische Hilfe.
Augenzeugenberichte auf 291 Seiten
Das 291 Seiten starke broschierte Buch mit den 50 Augenzeugenberichten ist in Buchhandlungen erhältlich, kann aber auch direkt über den Barton-Verlag bestellt werden.
Zahlreiche Aussteller
Auch auf dem sommerlichen Hoffest des Kulturhofs Velbrück wird die Neuerscheinung verkauft. Dieses findet am Sonntag, 19. Juni, von 12 bis 18 Uhr statt. Zahlreiche Aussteller laden zum Flanieren ein, neben Büchern werden auch Blumen, Schmuck, Designprodukte und Wohnaccessoires angeboten.
Kaffee, Kuchen und Burritos
Die Gaumen werden mit provenzalischen Köstlichkeiten, Kaffee und selbst gemachten Kuchen, frischgebackenen Burritos und Gegrilltem verwöhnt.
Auftritt der Balkanistas
Um 14 Uhr stehen die Balkanistas aus Köln auf der Bühne des Velbrück-Hofes und bieten Folklore – auch zum Mitmachen.
„Dass es dann 50 Beiträge werden, hatte ich nicht erwartet“, sagt Thien und nennt das Buch ein Leuchtturmprojekt, dem vielleicht andere flutbetroffene Orte folgen werden. Auch die Kulturstiftung NRW überzeugte das Projekt und leistete einen finanziellen Beitrag zur Umsetzung der Idee.
Vergangene Woche gab es auf Hof Velbrück ein gemütliches Beisammensein aller an dem Buch Beteiligten, die im Laufe des Abends ihr Belegexemplar im Empfang nahmen. „Dass ich einmal Autor werde, hab’ ich mir nicht träumen lassen“, scherzte Heinz Engels, der mit seiner Frau Roswitha ein halbes Jahr auf acht Quadratmetern lebte, um das in großen Teilen zerstörte Haus sanieren lassen zu können.
Berührend, packend und nicht selten zu Tränen rührend
Die Schilderungen in dem Buch sind – die zeitlichen Abläufe betreffend – einerseits sehr ähnlich. Aber durch die persönliche Geschichte dahinter, durch die Offenheit, mit der die Menschen ihre Verzweiflung und Angst schildern, auch jedes Mal aufs Neue berührend und packend und nicht selten auch zu Tränen rührend.
Da schildern Metternicher das unerträgliche Geräusch der Wassermassen, das Bersten und Krachen der Fenster und Wände, das unheimliche Gluckern und Schmatzen und den beißenden Gestank nach Öl, der sich überall breitmachte.
Verlust wertvoller Erinnerungsstücke
Sie erzählen auch von mutigen Rettungsaktionen, die ahnen lassen, dass manche nur knapp mit dem Leben davonkamen. Und vom schmerzlichen Verlust zahlloser Erinnerungsstücke, deren Wert von keiner Versicherung der Welt gedeckt werden kann.
Nachdenklich stimmt, was die Autoren einhellig als das Belastendste beschreiben, das in den Tagen nach der Flut in Metternich passierte: Immer wieder kam es zu Fehlalarmen. Es ging dabei stets um das Bersten der Steinbachtalsperre und um bevorstehende, haushohe Flutwellen. Dazu kam es glücklicherweise nicht, die einsetzende Panik setzte der Bevölkerung aber in erheblichem Maße zu.
Auch viele positive Botschaften in den Texten
Aber wo viel Schatten ist, ist bekanntlich auch Licht – und so gibt es in dem eindrucksvollen Machwerk des Barton-Verlags in nahezu jedem Augenzeugenbericht auch positive Erinnerungen. „Metternich ist für mich Heimat, ich bin seit 45 Jahren hier, aber so eine Verbundenheit, wie ich sie jetzt fühle, hätte ich nie erwartet“, schreibt Magdalena Kehr.
Stefan Löhr nennt es ein „Flutwunder“, das einsetzte: überwältigende Hilfsbereitschaft, das Zusammenrücken eines ganzen Dorfes. „Der Flut-Schrecken wird vielleicht irgendwann verblassen und nur das Gefühl bleiben, dass selbst eine hundert Meter breite Swist unser Metternich eher zusammenbringt als trennt“, so Löhr.
Die „Perlen im Schlamm des Erlebten“ gesucht
Ihren Text für das Buch zu schreiben, habe sie noch einmal sehr aufgewühlt, sagte Dorthe Schönekäs beim Treffen auf Hof Velbrück. Aber es habe ihr auch ermöglicht, noch einmal mit Abstand in die Tiefe zu gehen, wegzukommen vom Leid und sich „den Perlen im Schlamm des Erlebten“ zu widmen.
„Vor 20 Jahren kam ich nach Metternich, habe als Zugezogene angenommen, eines Tages zurückzugehen in meine Heimatstadt“, schreibt sie in ihrem Beitrag. „Nun bin ich mir nicht mehr sicher. Das Unglück lässt mich Wurzeln schlagen in der versehrten Erde. Zuhause sein heißt auch, verstanden werden und Trost erfahren. Ich werde bleiben.“
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Die letzten Seiten des Buches werden mit einem Beitrag des Vereins „Metternich Hilft“ gefüllt, der aufgrund der Hochwasserkatastrophe gegründet wurde. Schnelle und unbürokratische Hilfe – gerade für jene, die mit der Situation überfordert waren oder sind und dringend Unterstützung benötigen – ist das Ziel. Als Verein sei man gekommen, um zu bleiben, auch wenn eines Tages die Folgen der Katastrophe bewältigt sein sollten.