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Krankheitsbedingte KündigungenStimmung im dm-Verteilzentrum in Weilerswist am Tiefpunkt

Lesezeit 6 Minuten
Das Bild zeigt eine Luftaufnahme des dm-Verteilzentrums in Weilerswist.

Im dm-Verteilzentrum in Weilerswist hängt der Haussegen schief. Der Betriebsrat kritisiert unverhältnismäßige Kündigungen seitens des Unternehmens.

Der Betriebsratsvorsitzende kritisiert den Umgang mit Mitarbeitern im dm-Verteilzentrum in Weilerswist – der Leiter weist die Vorwürfe zurück.

Im dm-Verteilzentrum in Weilerswist scheint die Stimmung angespannt zu sein. Mitarbeitende und die Spitze des Betriebsrats kritisieren die Arbeitsbedingungen und den Umgang mit Mitarbeitern. Der Betriebsratsvorsitzende Michael Betke berichtet im Gespräch mit dieser Zeitung von mehr als 50 Kündigungen seitens des Arbeitgebers in den vergangenen eineinhalb Jahren. „Das ist fast eine Kündigung pro Woche“, so Betke. Zudem werde von Führungskräften Druck aufgebaut.

Teilweise gebe es Abmahnungen, deren Gründe aus seiner Sicht fadenscheinig sind, so Betke. Die Mitarbeitenden trauten sich teils nicht, sich krankzumelden, heißt es vom Betriebsratschef – aus Angst, abgemahnt oder gar gekündigt zu werden. Ein Vorgang, der auch Betke selbst bereits widerfahren ist.

Mitarbeiter beschreibt Stimmung im dm-Verteilzentrum als deprimierend

Ein Mitarbeiter berichtet, dass die Stimmung deprimierend sei und Druck ausgeübt werde. „Wenn ein Fehler gemacht wird, dann wird man sofort zu einem Gespräch bestellt“, so der dm-Mitarbeiter. Die Gruppenleitung dagegen dürfe Fehler machen – ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.

Christian Beutin, Leiter des dm-Verteilzentrums in Weilerswist, kann derartige Vorwürfe nicht nachvollziehen. „Es gibt keinen Druck. Allein schon deshalb nicht, weil die geleistete Arbeit des Einzelnen nicht messbar ist“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Im Gegenteil – man zeige immer wieder Verständnis im laufenden Tagesgeschäft. „Wir stoppen keine Zeiten, wenn einer mal zur Toilette muss“, so Beutin.

Privates Handy während der Arbeit bei dm in Weilerswist verboten

Dass es bei mehr als 2200 Mitarbeitenden zu Kündigungen komme, sei normal. Zu der vom Betriebsrat ins Spiel gebrachten Anzahl von mehr als 50 seit Mai 2022 will sich Beutin nicht konkret äußern. Er werde zu Zahlen nichts sagen.

Die intern aufgestellten Regeln zu Arbeitszeiten und Verhalten während der Arbeitszeit seien notwendig. Im Verteilzentrum greife schließlich ein Rädchen in das andere. Hake es an einer Stelle, könne es passieren, dass eine Tagesproduktion infrage gestellt werden müsse.

Als Beispiel führt Beutin die Nutzung des privaten Handys am Arbeitsplatz in der Logistik an. Durch die betrieblichen Begebenheiten sei es nicht akzeptabel, während der Arbeit das Handy zu nutzen – allein schon wegen der Verletzungsgefahr.

Dass ich als Leiter des Verteilzentrums darauf achte, dass alle gleichbehandelt werden, ist meine Aufgabe. Die Maßstäbe sind für alle gleich.
Christian Beutin, Leiter des dm-Verteilzentrums

Der Betriebsratsvorsitzende kritisiert indes das Vorgehen des Unternehmens, einem Mitarbeiter gekündigt zu haben, als dieser sein Handy am Arbeitsplatz benutzt habe, um sich bei seiner Frau über den Gesundheitszustand seines Kindes zu erkundigen.

„Wenn es eine besondere Situation gibt, die es erfordert, dass der Mitarbeiter während der Schicht ein privates Telefonat führen muss, wird wohl keine Führungskraft sagen: ‚Nein, das gibt es nicht.‘ Es werden immer Lösungen geschaffen“, entgegnet Beutin.

Mitarbeiterin drohte nach 24 Jahren die Kündigung

Dass einem stark eingeschränkten Mitarbeitenden gekündigt worden sei, bestätigt der Chef des Weilerswisters Verteilzentrums. Zu den Gründen will er sich aber nicht äußern. Die Fachstelle für Menschen mit Behinderung im Arbeitsleben im Kreis Euskirchen habe diese Entscheidung, „die man schweren Herzens treffen musste“, abgesegnet, so Beutin.

Wie Betriebsratschef Betke berichtet, sei mehreren langjährigen Beschäftigten krankheitsbedingt gekündigt worden. Die Anzahl der Kündigungen soll gegenüber der Vorjahre deutlich gestiegen sein. Laut Betke sei etwa die Hälfte der etwa 50 Kündigungen seitens dm krankheitsbedingt gewesen.

Das Bild zeigt Michael Betke (r.) mit seinem Anwalt vor dem Euskirchener Amtsgericht.

Vor dem Euskirchener Amtsgericht bekundeten etwa 100 dm-Mitarbeiter ihre Solidarität für den Betriebsratsvorsitzenden Michael Betke (r.), dem wegen Arbeitszeitbetrug gekündigt werden soll.

Eine Mitarbeiterin, die seit 24 Jahren beim Unternehmen beschäftigt gewesen sei, sei vor die Tür gesetzt worden. Vor der Anhörung sei sie langzeiterkrankt gewesen, berichtet Betke. Das dürfe aber normalerweise gar nicht angeführt werden. Im darauffolgenden Jahr sei sie an 37 Kalendertagen nicht arbeitsfähig gewesen. „Das ist völliger Durchschnitt“, so der Betriebsratsvorsitzende.

Betriebsratsvorsitzender: Keiner darf Fehler machen

Nach einer weiteren Operation sei dann das betriebliche Eingliederungsmanagement nicht richtig durchgeführt worden. Dennoch habe das Unternehmen an der Kündigung festgehalten. Schließlich sei man vor dem Arbeitsgericht gelandet. Das Verfahren habe sich über ein Jahr hingezogen. Mittlerweile sei die Mitarbeiterin wieder bei dm. „Das Arbeitsgericht hat in zwei von 23 Fällen die Kündigung abgewiesen“, so Betke.

Krankheitsbedingt gekündigt werden kann ein Mitarbeiter laut Verdi dann, wenn es eine negative Gesundheitsprognose gibt. Also anzunehmen sei, dass der Arbeitnehmende auch künftig häufig krank sein werde. Das sei in der Regel der Fall, wenn Mitarbeitende in den vergangenen drei Jahren jeweils mindestens 30 Tage krank waren. Eine weitere Voraussetzung sei, dass wegen der Fehlzeiten der Betriebsablauf gestört werde.

Glaubt man Betke, dürfen Mitarbeitende keine Fehler mehr machen. „Es wird nicht miteinander geredet, sondern sofort sanktioniert. Hier wird eine Kultur der Angst aufgebaut“, sagt er. Viele Kollegen würden lieber schweigen, weil sie Angst hätten, ihre Arbeit zu verlieren.

Dem widerspricht Beutin energisch. „Meine Tür steht immer offen. Jeder Mitarbeiter kann zu mir kommen“, sagt er. Jeder, der ein Problem habe, könne sich an ihn wenden. Das gelte für jeden der etwa 2200 Mitarbeiter, die sich auf mehr als 60 Nationen aufteilen. „Dass ich als Leiter des Verteilzentrums darauf achte, dass alle gleichbehandelt werden, ist meine Aufgabe. Die Maßstäbe sind für alle gleich“, sagt der Leiter des Verteilzentrums.

Er selbst hatte sein Vorstellungsgespräch in Weilerswist am 14. Juli 2021. Das Gespräch habe letztlich unterbrochen werden müssen, weil am Tag der Jahrtausendflut im Kreis Euskirchen Wasser in das Logistikzentrum lief. Die Tage und Wochen danach seien sehr herausfordernd gewesen, weil viele Mitarbeitende von der Flut betroffen gewesen seien. Zu dieser Zeit habe man mit dem Betriebsrat zusammen viele Lösungen gefunden, berichtet Beutin.

Trotz der schwierigen Zeit und der nicht immer gleichen Meinung mit dem Betriebsratsvorsitzenden, sagt er aber auch: „Ich habe es noch keinen Tag bereut, zu dm gekommen zu sein.“ Er sei ein Freund von flachen Hierarchien und bezieht sich da selbst mit ein: „Wir haben alle hier einen Job. Hier ist keiner besser oder wichtiger als der andere.“ Dies gelte auch für den Betriebsratsvorsitzenden. Für ihn stehe seine Tür ebenfalls immer offen, so Beutin.

Und Michael Betke? Der will trotz der Knüppel, die ihm, so berichtet er, seitens des Unternehmens immer wieder zwischen die Beine geworfen würden, weitermachen. Gewählt ist der 19-köpfige Betriebsrat bis 2026. „Ich habe 960 Stimmen erhalten. Ich bin den Mitarbeitern für dieses Vertrauen viel schuldig. Deshalb werde ich meine Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen erledigen“, sagt er.


dm will Betriebsratsvorsitzenden aus dem Amt entheben

Das Unternehmen dm hatte dem Betriebsratsvorsitzenden des dm-Verteilzentrums in Weilerswist, Michael Betke, mit der außerordentlichen Kündigung gedroht. Nach Angaben des Anwalts von Betke, Dustin Koehler, hatte das Unternehmen seinem Mandanten vorgeworfen, seit April 2022 Arbeitszeitbetrug begangen zu haben. So soll er sich selbst beurlaubt und unentschuldigt gefehlt haben, weil er zum Gesamtbetriebsrat fahren wollte, so Betke.

Das Arbeitsgericht Bonn hat laut Alexander Reinhardt, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, die seitens dm vorgebrachten Punkte alle abgewiesen. Ausgestanden ist der Streit zwischen Betke und dem Unternehmen aber noch nicht.

Am 17. Januar kommt es laut Reinhardt zum nächsten Termin vor dem Arbeitsgericht Bonn. Dann gehe es um ein Amtsenthebungsverfahren gegen Michael Betke. „Der Vorwurf des Unternehmens lautet, dass Michael Betke sich grobe Verstöße gegen gesetzliche Pflichten erlaubt haben soll“, erklärt sein Stellvertreter Reinhardt. (tom)