Umdenken gefordertHochwasserschutz muss schneller und besser werden
Euskirchen – Der Hochwasserschutz muss einen viel höheren Stellenwert erhalten. Die Flutkatastrophe vom 14. Juli hat schonungslos offengelegt, dass die bisherigen Konzepte nicht ausreichen. Darin waren sich die Teilnehmer einig in der Bürgerversammlung, die die Stadt am Donnerstag im Casino veranstaltete, um das Hochwasser und seine Folgen zu beleuchten.
„Die ganze Gesellschaft muss beim Hochwasserschutz umdenken“, forderte Dr. Christian Gattke, beim Erftverband Abteilungsleiter für Flussgebietsbewirtschaftung. Dies gelte etwa für die Ausweisung neuer Wohngebiete, aber auch für die Akzeptanz von Bauvorhaben des Verbandes. Beispielhaft nannte er die Maßnahmen am Veybach, die den Hochwasserschutz in Wißkirchen, Euenheim und Euskirchen verbessern sollen.
Bedenken wegen Solarpark Veynau
Der Euskirchener Dieter Büttner fordert die Stadt auf, das Planungsverfahren für den Bau des Solarparks Veynau zwischen Wißkirchen und der Autobahn 1 mit Blick auf den Hochwasserschutz zu überprüfen. Die Solarmodule sollen an beiden Seiten des Bahndamms installiert werden, in der Nähe fließt der Veybach. Als er über die Ufer trat, habe er einen Teil der für den Bau vorgesehenen Fläche überflutet. Hätte die Anlage dort schon gestanden, wäre sie beschädigt worden, schlussfolgert der frühere SPD-Stadtverordnete.
Er pocht darauf, die Überflutungsflächen am Veybach frei zu lassen und größere Rückhaltebecken zu bauen. „Nicht nur die heute Betroffenen werden es Ihnen danken“, schreibt er in einem Brief an die Stadt. (ejb)
Der Erftverband habe dafür Anfang der 1990er-Jahre den ersten Planungsauftrag vergeben. „Wir gingen damals von fünf Jahren Verfahrensdauer aus“, so Gattke. Tatsächlich haben die Arbeiten erst jetzt begonnen. Im Laufe der Zeit „waren einige dagegen“, erklärte Gattke: die Stadt wegen eines geplanten Baugebiets, der Denkmalschutz wegen der Verlegung des Bachbetts in Höhe der alten Tuchfabrik, der Naturschutz, da er meine, durch die geplanten Erdwälle werde das Landschaftsbild beeinträchtigt. „Auch Anlieger haben sich gewehrt, weil sie eine Entwertung ihrer Grundstücke befürchten“, so Gattke. 2013 habe ein Anwohner Klage eingereicht. „Drei Jahre später nahm er sie zurück.“ Die Genehmigung sei schließlich mit 65 Auflagen versehen worden. „Die Umbaumaßnahme, wenn sie denn schon abgeschlossen gewesen wäre, hätte die Orte nicht vor dem Flutereignis geschützt“, betonte Gattke. Unumstritten sei aber dies: „Das muss künftig schneller gehen.“
Über statistische Größen muss hinausgedacht werden
Zu Beginn der Versammlung, zu der etwa 80 Interessierte gekommen waren, hatte Gattke erläutert, von welch riesigen Regenmengen der Kreis Euskirchen am 13. und 14. Juli heimgesucht wurde. An fast allen Pegeln der Erft und ihrer Nebengewässer wurden die alten Höchststände weit übertroffen, ebenso das Szenario eines Extrem-Ereignisses, das für die Erstellung der Hochwassergefahrenkarten angenommen wird.
In Euskirchen sei der Veybach, dem in Deutschland geltenden Standard entsprechend, so ausgebaut, dass die Ortslagen vor den Folgen eines 100-jährlichen Hochwassers geschützt seien, sagte Gattke. Dabei handelt es sich um eine statistische Größe, „über die wir jetzt hinausdenken müssen“. Ein Ereignis wie im Juli werde sich künftig nicht verhindern lassen, umso wichtiger sei es, Wege zu finden, „um das Schadensrisiko zu minimieren“. Der Erftverband werde seine Konzepte auf den Prüfstand stellen, sagte Gattke, der davon ausgeht, dass weitere Regenrückhaltebecken gebaut werden.
Menschenrettung hatte Vorrang
Thomas Smarsly, Vizechef der Euskirchener Feuerwehr und Einsatzleiter in der Flutnacht, wurde im Casino von einer Frau im Publikum gefragt, warum die Bevölkerung nicht konkret gewarnt worden sei, „um retten zu können, was noch zu retten war“. Er sagte, die Feuerwehr sei für die direkte Gefahrenabwehr zuständig, für den Katastrophenfall dagegen Kreis, Bezirksregierung und Land. Warum sie nicht das Auslösen der Sirenen angeordnet haben, wisse er nicht. Ob Sirenenalarm geholfen hätte, sei offen.
Die Wehr habe sich zunächst ausschließlich um die Rettung von Menschenleben kümmern müssen. „Wenn ich die Zahl der Toten in Euskirchen sehe im Vergleich zu anderen Gebieten, haben wir nicht alles falsch gemacht“, so Smarsly. (ejb)
Apropos: Die Becken am Euskirchener Stadtrand – an der Billiger Straße und am Stadtwald – hätten ihre Funktion nicht erfüllt, mutmaßte ein Versammlungsteilnehmer. Sie seien nicht voll gelaufen, „so dass der Mitbach, der eigentlich winzig ist, große Teile der Südstadt überflutete“. Man müsse das Wasser vor den Ortschaften sammeln: „Beim Mitbach hat das nicht geklappt.“
Das Bild vom Prüfstand wählte auch Bürgermeister Sacha Reichelt (parteilos). Der Stadtrat werde sich mit allen größeren Bauentwicklungsplänen erneut befassen, kündigte er an. Ein Bürger hatte vorher den Blick auf die Flächenversiegelung gelenkt, die neue Wohngebiete mit sich bringen: „Damit muss Schluss sein, sonst werden die Katastrophen noch größer.“
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In der Versammlung ging es auch um Hilfszahlungen für Flutopfer. Reichelt rät ihnen, die Beratungsangebote der Stadt zu nutzen. Vielleicht erhalte Euskirchen Gelder aus bundesweiten Spendenaktionen. Falls ja, werde die Stadt sie „eins zu eins weiterleiten“. Zwei Vertreter des Energieversorgers e-regio berichteten von den Fortschritten bei der Wiederherstellung der Gasversorgung. Das Hauptnetz sei fast überall wiederhergestellt. Nun gehe es um die Reaktivierung der Heizungen. „Wir müssen alle Gebäude mit Gasanschluss begehen.“ Waren Anlagen überflutet, müssten sie ausgebaut werden. „Wenn nicht, tauschen wir die Regelgeräte aus, dann ist der Betrieb schnell wieder möglich“, so einer der Experten. Wer infolge der Flut kein Gas bezogen habe, könne sich die Grundgebühr reduzieren lassen, so sein Kollege. „Dafür muss er sich aber bei uns melden.“