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Trockene Alkoholiker in EuskirchenSelbst Weinsauerkraut ist tabu

Lesezeit 4 Minuten

Euskirchen – Alkoholismus ist eine Krankheit, die nicht heilbar ist, sondern nur unterbrochen werden kann. „Als trockener Alkoholiker lebt man mit der Angst, wieder in die Sucht hineinzurutschen.

Die Gefahr schwebt wie ein Damoklesschwert über den Betroffenen“, erklärt Helmut Schmuck (71) aus Kuchenheim. Seit vielen Jahren besucht er die dort ansässige Kreuzbundgruppe, um sich mit anderen Menschen über die Freuden und Ängste des Alltags auszutauschen. Seit 13 Jahren ist er „trocken“ – und stolz darauf. „Ohne die Gruppe und einen Partner, der zu dir hält, ist es verdammt schwer, trocken zu bleiben. Mir fällt es auch heute noch nicht leicht“, gibt er zu.

Versteckter Alkohol in Lebensmitteln

Kein Wunder, denn Alkohol ist als Konservierungsmittel und als Lösungsmittel für Aromen in zahlreichen Lebensmitteln versteckt, in denen man es gar nicht vermutet. Der Rinderbraten in Rotweinsoße ist genauso tabu wie Rumkugeln oder Weinsauerkraut, aber auch bestimmte Backwaren, Fertigprodukte oder Konfitüren.

Kirschwasser in der Marmelade, Wein in der Fertigsuppe, Rum im Faschingskrapfen oder Likör im Schokoladeneis – für trockene Alkoholiker können auch minimale Mengen Alkohol einen Rückfall auslösen. „Das Alkoholgedächtnis ist sofort wieder da.“ Selbst der Geruch von Alkohol kann den gleichen Effekt haben, mit einem Schuss Rumaroma im Kuchen tut man den Betroffenen also keinen Gefallen. Tatsächlich ist es sogar strafbar, alkoholisierte Lebensmittel wissentlich an einen trockenen Alkoholiker abzugeben.

Gesellschaftsdroge Alkohol

Alkohol ist eine Gesellschaftsdroge – das merkt man vor allem dann, wenn man darauf verzichten möchte. Beim Sektempfang kann man noch auf ein Glas Orangensaft umsteigen, aber spätestens bei der Karnevalsveranstaltung kommt man leicht in Versuchung, doch mal zumindest ein alkoholfreies Bierchen mitzutrinken – und das enthält in der Regel eben doch geringe Mengen Alkohol. Trudi Fleischhauer (56) ist der Kreuzbundgruppe vor fast 25 Jahren beigetreten. Seit 15 Jahren leitet sie die Treffen. Bevor sie eine Therapie machte, hatte sie allzu oft Cognac getrunken – als Belohnung nach einem guten Tag, als Ausgleich nach einem schlechten Tag, wenn sie sich geärgert hatte oder traurig war...

Nach einem halben Jahr Therapie wollte sie endlich wieder etwas mit Freunden unternehmen. Auf dem Programm stand ausgerechnet eine Karnevalssitzung, man riet ihr vielleicht doch lieber auf eine andere Gelegenheit zu warten. „Wenn ich da nicht hingehe, habe ich ein halbes Jahr umsonst hier gesessen“, konstatierte sie stattdessen. Den ganzen Abend trank sie Wasser und machte damit ganz deutlich: „Ich will das nicht mehr.“

Auch Helmut Schmuck kam in der Kreuzbundgruppe zu seinem ersten alkoholfreien Karneval. „Ich habe mich zwar kostümiert aber konnte nicht feiern, während die anderen fröhliche Weinlieder sangen.“ Erst ein Jahr später hatte er sich so weit in der Gewalt, dass er selbst mitfeiern konnte. Heute fährt er mit Freunden sogar an den Ballermann und amüsiert sich mit einem Glas Wasser, während die anderen tief in die Sangria-Gläser schauen. „Der Spaß hört nicht auf“, weiß er heute. Doch bis dahin war es ein langer Weg.

Den Kontakt zu seinen ehemaligen „Saufkumpanen“ hat er abgebrochen, denn „auf solche Freunde kann man verzichten“. Auch aus seinem Kegelclub war er ausgetreten, um später unter „Auflagen“ für seine Kegelbrüder wieder zurückzukommen. Bei einem vegetarischen Männerkochkurs macht er inzwischen mit, in dem natürlich ohne Alkohol gekocht wird.

„Man lernt gut zu schauspielern“

Für einen Alkoholiker ist der erste Schritt der schwierigste. Obwohl viele tief drinnen wissen, dass sie abhängig sind, trauen sie sich nicht, ihre Sucht zuzugeben, aus Angst, danach auf den Alkohol verzichten zu müssen. Wenn sich die Gedanken nur noch um den Alkohol drehen, um das Anlegen von Vorräten, um das Verstecken vor dem Partner und um die unauffällige Entsorgung der leeren Flaschen ist das ein Zeichen für die Abhängigkeit.

Dabei trinken viele Alkoholiker gar nicht in Gesellschaft, um eben nicht aufzufallen. „Man lernt gut zu schauspielern“, erinnert sich Helmut Schmuck.

Für Trudi Fleischhauer und Helmut Schmuck ist die Kreuzbundgruppe ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens geworden. „Es ist wichtig, dass wir uns einmal pro Woche treffen, sonst geht das im Alltag unter“, erklärt die Gruppenleiterin.

Die „Kreuzbundgruppe Euskirchen 4“ trifft sich jeden Mittwoch um 19 Uhr im Pfarrheim St. Nikolaus in Kuchenheim. Ansprechpartnerin ist Trudi Fleischhauer unter ☎ 0 22 51/5 32 28.