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„Stolperstein“-VerlegungTraumatisierter Vater kehrte nie zurück

Lesezeit 4 Minuten

Zum Elternhaus von Bernhard Straus gingen Helmut Nagelschmitz (v.l.) und seine Tochter Dr. Monika Bott-Nagelschmitz gemeinsam mit den Straus-Kindern Prof. Dr. Pamela Schaffer, Manuel Amir und Mira Ronen sowie mit Hans-Gerd Dick und Ulf Hürtgen.

Zülpich – Als der Musiklehrer des Progymnasiums in Zülpich und spätere Direktor der Schule mit seiner Klasse ein Lied anstimmte, in dem Gewalt gegen Juden verherrlicht wird, war es um die Fassung von Bernhard Straus geschehen. Weinend und verstört lief er bei den schrecklichen Liedzeilen aus dem Klassenraum.

Straus war einer von drei jüdischen Schülern des Zülpicher Gymnasiums und seit 1933 als solcher Nachstellungen in seiner Heimatstadt ausgesetzt, nicht zuletzt in der Schule. Niemand habe ihn, so erfuhren Bernhard Straus’ Kinder aus dessen Aufzeichnungen, vor den Anfeindungen und Schikanen geschützt. Zwar hätten sich einige Klassenkameraden solidarisch gezeigt, doch habe das in der damaligen Zeit nichts genutzt.

Bernhard Straus kehrte nach seiner Flucht aus Zülpich nie wieder in seine Heimatstadt zurück. Dies taten jetzt jedoch seine drei Kinder Manuel Amir, Mira Ronen und Professor Dr. Pamela Schaffer. Sie waren anlässlich der „Stolperstein“-Verlegung für Familienmitglieder nach Köln gereist und nutzen die Gelegenheit, auf den Spuren ihres Vaters sowohl in der Domstadt als auch in Zülpich zu wandeln. Da Bernhard Straus nach einschlägigen antisemitischen Verordnungen eine akademische Laufbahn verwehrt blieb, flüchtete er aus Zülpich in eine Ausbildung nach Köln. Hintergrund war auch, dass ihm ein Beruf auch nützlich sein könnte, wenn eine Emigration notwendig würde, was Straus damals durchaus in Betracht zog. Durch die jüdische Arbeitsvermittlung erhielt er eine Volontärsstelle bei dem Kölner Kunstschmied Joseph Paffrath. Straus schilderte den Schmied in seinen Aufzeichnungen als frommen und gütigen Christen. Er bemühte sich sehr, das verlorene Vertrauen des jungen Bernhard Straus in seine Mitmenschen wiederherzustellen. Doch die Flucht in die vermeintliche Anonymität der Großstadt war für Straus erfolglos. Die Behörden registrierten damals alle Wohnortswechsel. Straus wurde von der Gestapo verhört und misshandelt.

Nach den Pogromen vom November 1938 flüchtete Bernhard Straus schließlich in die Niederlande. Als Illegaler im Widerstand entging er dort bis Kriegsende mit viel Glück den immer wieder drohenden Deportationen.

Von den Niederlanden wanderte er illegal nach Palästina ein und änderte seinen Namen in Amir. Namensänderungen in gebräuchliche Namen des Staates Palästina waren in jener Zeit durchaus üblich bei einem Neuanfangs in einer zunächst fremden Heimat. Doch der Neuanfang in Palästina gelang Straus nicht so richtig. Er kehrte nach Deutschland zurück und lernte in Mannheim seine Ehefrau kennen. Die drei Kinder kamen ebenfalls noch in Deutschland zur Welt. In seine Heimatstadt Zülpich aber kehrte der schwer traumatisierte Bernhard Straus nie mehr zurück.

Auch in Deutschland fasste er nicht richtig Fuß und kehrte schließlich mit seiner Familie zurück nach Israel. Bernhard Amir starb dort am 23. November 2005. Zum Gedenken an ihn und an seine Schwester Edith, die im KZ Stutthof ermordet wurde, sowie an Großmutter Frieda Straus, geborene Fröhlich, die das KZ Auschwitz überlebte, wurden in Köln „Stolpersteine" verlegt. Alle drei hatten ihre Wurzeln in Zülpich.

Schön wäre es für die Kinder von Bernhard Straus aber auch, wenn Stolpersteine für die aus Zülpich stammenden Familienmitglieder eines Tages auch in der Römerstadt zu finden seien.

„Den Gedanken haben wir bereits aufgenommen“, versicherte Dick der Rundschau. Die Kinder von Bernhard Straus nahmen gerne die Anregung von Ulf Hürtgen auf, den Kontakt zwischen den Geschwistern und den Zülpicher Ansprechpartnern aufrecht zu erhalten. (sch)

Die drei Kinder von Bernhard Straus nutzten jetzt ihre Anreise aus Israel und München nach Köln für einen Abstecher nach Zülpich. Über den Kontakt zu Helmut Nagelschmitz, der sich seit vielen Jahren mit der Geschichte der jüdischen Einwohner Zülpichs befasst, und dessen Tochter Dr. Monika Bott-Nagelschmitz wurde ein Treffen im Rathaus verabredet. Bürgermeister Albert Bergmann und Beigeordneter Ulf Hürtgen empfingen das Geschwistertrio. Zusammen mit Kulturreferent Hans-Gerd Dick sowie Helmut Nagelschmitz und seiner Tochter gingen die Geschwister in die Kölnstraße an den Ort, wo vor der Zerstörung durch die Weltkriegsbomben das Elternhaus des Vaters gestanden haben musste.

Weil in ihrem Elternhaus auch deutsch gesprochen wurde, verstehen die Geschwister gut Deutsch und sprechen die Sprache teilweise flüssig. Nur um sicher zu gehen, sich eindeutig auszudrücken, finden alle Korrespondenzen auf Englisch statt.

Sie berichteten, dass ihr Vater ihnen immer vermittelt habe, ein Rheinländer, ein Zölleche Jung zu sein. Um so enttäuschter sei er gewesen, dass er plötzlich nicht mehr als Zölleche Jung angesehen wurde, dass er plötzlich nicht mehr dazu gehörte.

Hans-Gerd Dick präsentierte einige ergänzende Daten, Fakten und Bilder zur NS-Zeit in Zülpich sowie zu Personen und Wohnstätten aus dem Umfeld der Familie Straus. Die umfangreichen biografischen Recherchen dafür hatte Rita Reibold vom Stadtarchiv angestellt. Bürgermeister Bergmann gab der Hoffnung Ausdruck, dass die Gäste einen besseren Eindruck von der Römerstadt mitnehmen würden als dies ihr Vater seinerzeit tun konnte.

Manuel Amir antwortete, auch im Namen seiner Schwestern, dass es ihnen eine Freude gewesen sei, die Zülpicher Gesprächspartner kennengelernt zu haben. „Es ist ein Trost, in dem Gefühl wieder abzureisen, dass sich die Geschichte hier so nicht wiederholen kann.“