Nach der KatastropheGedenkfeier der Stadt Schleiden auf dem Gemünder Marienplatz
Schleiden-Gemünd – Die besondere Stimmung der Wochen nach der Flutkatastrophe im Schleidener Tal einfangen, ihr an einem Abend auf dem Gemünder Marienplatz einen würdigen Rahmen geben. Es ist eine schwierige Aufgabe, die sich Bürgermeister Ingo Pfennings und die Schleidener gegeben haben. Und die sie in Form einer Gedenkfeier, die beiden Bestandteilen des Wortes gerecht geworden ist, mit Bravour gelöst haben.
Trauern und Erinnern, der Dank für die Hilfsbereitschaft, das Beschwören des Zusammenhalts – all das dominiert den „offiziellen“ Teil der Feier. Danach gehen die Menschen aber nicht mit schwerem Herzen nach Hause, sondern nutzen bei Musik, Kaltgetränken und Verpflegung die Gelegenheit zum Austausch, zu einem Schwätzchen mit Freunden und Bekannten.
Über 700 Menschen
Mit 500 Besuchern, so Pfennings, habe man im Vorfeld gerechnet. Tatsächlich, so seine Schätzung, seien mehr als 700 Menschen auf dem Platz. Sie hören Pfennings zu, wie er die Ereignisse der Katastrophennacht und der folgenden Tage Revue passieren lässt. Ganz leise ist es, als er die Namen der neun Menschen verliest, die in dieser schrecklichen Nacht in der Stadt ihr Leben verloren haben. Für jeden von ihnen entzünden die Pfarrer Philipp Cuck und Erik Schumacher eine Kerze.
Zu ihrem Gedenken steht ein Kranz mit unzähligen weißen Blüten auf der anderen Seite vor der in einem Lkw-Anhänger improvisierten Bühne. Bei dieser Passage seiner Rede, das gibt Pfennings unumwunden zu, habe er gehörigen Bammel gehabt, dass ihm die Stimme versage. Im Vorfeld habe er mit allen Familien gesprochen, ob es in Ordnung sei, die Namen ihrer Lieben in diesem Rahmen zu nennen. Noch am Nachmittag habe er mit ihnen zusammengesessen. Pfennings Stimme hält. Bei vielen Besuchern fließen jedoch die Tränen – spätestens, als Trompeter Frank Wiesen das Stääne-Lied anstimmt.
Helferfest
Das Gedenken und der Austausch standen am Freitag im Mittelpunkt. Richtig gefeiert werden soll im kommenden Jahr. Ein zweitägiges Helferfest mit Programm und Livemusik möchte die Stadt organisieren, um den großen internen Zusammenhalt und die immense Hilfe, die den Betroffenen von außerhalb zuteil geworden ist, zu würdigen. Zu diesem Fest sollen auch Helfer, die eine lange Anreise haben, kommen.
20000 Euro sollen dafür in den Haushalt 2022 eingestellt werden. Diese Summe soll vorgehalten werden, um „eine besondere Wertschätzung seitens der Stadt auszudrücken und einen Grundstock an Kapital zu haben“. Der Stadtrat entscheidet darüber in seiner Sitzung am 23. September ab 18 Uhr. Auch sollen Spender und Sponsoren gewonnen werden. (rha)
Pfennings erinnert an die ungeheure Hilfsbereitschaft, die den Betroffenen im Tal zuteil geworden ist: „In jeder Katastrophe kommt glücklicherweise auch das Gute im Menschen heraus.“ Um ihn ist es ausgerechnet an der Stelle seiner Rede geschehen, die er im Nachhinein als „Bürgermeister-Standard“ bezeichnet, die eigentlich gar kein Problem hätte sein sollen. Als er den Zusammenhalt beschwört, als er davon spricht, dass das ewige „Jemönk gegen Schleede, Höhe gegen Tal und alle gegen Drommer“ in der Not nicht gilt, bricht die Stimme, er muss abdrehen, sich sammeln.
Endgültig vorbei ist’s, als er ansetzt: „Ich bin stolz...“ Als ihr Bürgermeister von seinen Gefühlen übermannt wird, übernehmen die Menschen auf dem Marienplatz einfach: Sie applaudieren, tragen ihn durch diese Phase. Als Schwäche legt das niemand aus – im Gegenteil. Wie der Satz zu Ende gehen soll, ahnen sie sowieso, dafür braucht es eigentlich keine Worte mehr: „...dass ich das Ganze mit euch bestreiten darf. Ich hätte es uns allen anders gewünscht. Aber wir schaffen das.“
In Ordnung, Gott mal anzubrüllen
Nepomuk wacht wieder über Gemünd
Seit den 1730er-Jahren steht die Statue des Brückenheiligen Nepomuk am Zusammenfluss von Urft und Olef. Die von der Dreiborner Gräfin von Harff gestiftete Statue markierte einst auch die Grenze zwischen den katholischen und evangelischen Herrschaftsgebieten in Gemünd dies- und jenseits der Urft.
Das Original der Statue hat heute im Gemünder Kurhaus seinen Platz, auf dem Nepomuk-Platz steht eine Replik. Doch in der Nacht der Hochwasserkatastrophe war der Heilige im Schleidener Bauhof untergebracht. Bereits vor Monaten war er in Gemünd abgebaut worden, als die Umgestaltung des Platzes begonnen wurde.
Überstanden haben das Hochwasser sowohl das Original als auch die Replik – und das, obwohl das Kurhaus geflutet und der Bauhof zerstört wurden. Das, da sind sich die alteingesessenen Gemünder einig, gehöre sich für einen anständigen Brückenheiligen schließlich auch so.
Die Bauarbeiten am Nepomuk-Platz werden nun fortgesetzt, der neuen Konstruktion haben die Wassermassen nicht geschadet. Ingo Pfennings sieht dies und das Wiederaufstellen des Nepomuk als eines der kleinen positiven Zeichen des beginnenden Wiederaufbaus in der Stadt an. (rha)
Dass es nicht einfach ist, bei solch einem Anlass zu sprechen, fasst der katholische Pfarrer Philipp Cuck in Worte. „Na klar!“, habe er gesagt, als er darum gebeten worden sei. Doch danach sei gar nichts mehr klar gewesen: Was soll er wie sagen? Er entscheidet sich für die freie Rede, berichtet von den Kommunionkindern, die in diesen Wochen zum ersten Mal zur Beichte gewesen sind – und wie viel er von ihnen gelernt habe. Sagt, dass es vollkommen in Ordnung ist, Gott mal anzubrüllen, allen Frust rauszulassen – und man sich auch der schönen Dinge, der Hilfsbereitschaft, die einem widerfahren ist, bewusst werden soll. Sein evangelischer Kollege Erik Schumacher berichtet vom Unsicherheitsgefühl und der Angst, die diese Katastrophe, die urplötzlich das eigene Zuhause heimgesucht hat, hinterlassen habe. Und vom Zusammenhalt, der solch ein großes Geschenk sei. Beide Pfarrer betonen, dass es ein langer, ein steiniger Weg sei, der noch vor den Menschen im Tal liegt – und dass man ihn gemeinsam bewältigen kann. Schumacher: „Wir brauchen einen langen Atem, bis wir sagen können: Es ist wieder gut. Aber es wird schon wieder besser.“
Nicht nur einen langen Atem brauchen all die Betroffenen in den Katastrophengebieten. Eine Hymne wie das Veedels-Lied, zu dem man sich in den Arm nimmt und ein wenig schunkelt, kann auch nicht schaden. Auch nicht eine Prise Humor. Neben dem gemeinsamen Weinen prägen auch das gemeinsame Lachen und das Erfreuen an kleinen Dingen diese Wochen. Genau darum geht es dann auch im zweiten Teil der Gedenkfeier.
Da ist zum Beispiel Franz Schockert. Der Uhrmachermeister hat an der Dreiborner Straße sein Geschäft und seine Wohnung verloren – aber nicht sein Lebensmotto: „Ein Tag ohne Lachen ist kein Tag.“ Zuerst sieht er das Wichtigste in der Katastrophe: „Wir leben! Das ist wie sechs Richtige im Lotto mit Zusatzzahl und allem, was dazugehört.“ Dann erzählt er kurz von der Flutnacht, viel lieber aber von der Zeit danach. Wie Helfer tagelang den stinkenden Schlamm durchsiebt haben, um den Schmuck aus dem Geschäft zu retten. Und wie er die Kette mit dem Medaillon der sixtinischen Madonna wiedergefunden hat. Bei all dem Schmuck ist ihm dieses wohl das wichtigste Stück. Sein Vater Paul habe sie im Krieg mit einem russischen Soldaten gegen seinen Rosenkranz getauscht, sie habe ihn immer – etwa später in amerikanischer Kriegsgefangenschaft – beschützt. Kurz vor seinem Tod, so Schockert, habe sein Vater sie ihm geschenkt, auf dass sie fortan ihn beschützen solle. In einer Schublade im Flur habe er die Kette aufbewahrt – und Tage nach der Flut in all dem Schlamm tatsächlich wiedergefunden.
Sein Geschäft wieder aufbauen möchte Schockert nicht mehr – er sei ja immerhin 70. Doch seine Uhrmacherwerkstatt, die betreibe er schon wieder in kleinem Rahmen mit Werkzeugen, die ihm Kollegen überlassen haben. Herrichten wolle er die Geschäftsräume auf jeden Fall – um sie gegen eine sehr günstige Miete an einen neuen Inhaber abzugeben, damit wieder Leben in die Dreiborner Straße komme.
Für Leben, Lachen und Karneval steht in Gemünd Frank „Präsi“ Michalski wie kaum ein Zweiter. Er richtet den Blick während der Feier nach vorne, in Richtung Session, in Richtung Karneval. Michalski verweist auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Menschen trotz großer Not und in Trümmern Karneval gefeiert haben. Die Gemünder Jecken, die in der Flut ihr Vereinsheim und Kostüme im Wert von Tausenden von Euro verloren haben, werden sich demnächst zusammensetzen und überlegen, wie man das Thema sensibel angehen kann. Auf keinen Fall dürfe es verletzend werden, so Michalski. Doch er sei zuversichtlich, dass die Jemöngder auch das mit Charme und Humor hinbekommen werden.