Nach der FluchtCamp Schelde auf Vogelsang bietet Menschen ein sicheres Zuhause
Schleiden-Vogelsang – Die Eifel ist an diesem Frühlingsmorgen wie in Watte gepackt. Der Nebel verschleiert die Sicht bis auf wenige Meter, die ohnehin unauffällige Einfahrt zum Camp Schelde wird beinahe verschluckt.
Wer an diesem Morgen den bewachten Eingang passiert hat, findet ein nahezu verlassenes Camp vor. Die Gäste, wie die Bewohner der NRW-Landesunterkunft für Flüchtlinge genannt werden, sind in ihren Häusern, ehemaligen Mannschaftsunterkünften der belgischen Streitkräfte. In den Büros der Einrichtung herrscht hingegen emsiges Treiben, Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes und der Bezirksregierung arbeiten hier Hand in Hand.
Überwiegend Geflüchtete aus Syrien sind hier im Camp untergebracht, an zweiter Stelle stehen Menschen aus dem Irak, gefolgt von türkischen Staatsbürgern, deren Zahl zurzeit stetig steigt. Wenn wieder ein Bus mit neuen Bewohnern ankommt, stehe zunächst eine Begrüßung auf dem Ablaufplan: „Wir erklären den Menschen, dass sie hier willkommen und in Sicherheit sind“, so DRK-Einrichtungsleiter Ralf Hergarten. „Außerdem erläutern wir ihnen neben der Infrastruktur in der Unterkunft auch ein paar Grundregeln – zum Beispiel die Gleichheit von Mann und Frau und das Verbot von Drogen oder Waffen.“
Aus Sicherheitsgründen gebe es nach der Ankunft eine Gepäckkontrolle. Dabei würden aber keineswegs Waffen regelmäßig aus dem Verkehr gezogen: „Wir finden eher einen nicht korrekt isolierten Föhn, elektrische Kochplatten oder einmal bei einem Friseur ein Barbiermesser“, so Hergarten. Nach der Registrierung, werden die Bewohner auf die Unterkünfte verteilt. „Es gibt Häuser für Familien, für alleinreisende Frauen und solche mit Kindern, für alleinreisende Männer sowie für vulnerarble Personen“, so Hergarten bei einem Rundgang. Letzteres heißt, dass Menschen, die einen erhöhten Schutz benötigen, separat untergebracht werden – beispielsweise Menschen mit Behinderung, Schwule, Lesben oder Transgender. „Medizinisch geschultes Personal sichtet zudem die Unterlagen, und falls beispielsweise Tuberkulose bei einem Gast nicht ausgeschlossen werden kann, kommt er zunächst in ein Quarantänehaus.“
Geflüchtete mit einer guten Bleibeperspektive bleiben im Durchschnitt drei Monate in der Landeseinrichtung, ehe sie einer Kommune zugewiesen werden. Menschen mit schlechter Bleibeperspektive verweilen länger, etwa sechs Monate, ehe klar ist, was mit ihnen geschieht. Die Beschleunigung der Asylverfahren bringt übrigens einen Nachteil mit sich: „Oft bekommen wir erst nach Abschluss des Verfahrens mit, was die wahren Fluchtgründe sind“, erklärt Jasper Wasmuth, Leiter der sozialen Betreuung. Viele Gäste bräuchten Zeit, um das nötige Vertrauen aufzubauen, ehe sie von womöglich traumatischen Erlebnissen berichten können. „Dann eine Revision auf den Weg zu bringen, ist ein riesiger bürokratischer Akt und auch ein beachtlicher Kostenfaktor.“
Gemeinnützig im Camp arbeiten
Maßnahmen zur Integration stehen vom ersten Tag des Aufenthaltes auf der Tagesordnung im Camp Schelde. „Für viele ist dieser Ort hier der erste, an dem sie nach ihrer Flucht zur Ruhe kommen können“, weiß Hergarten. Wieder Alltagsstruktur in das Leben der Geflüchteten zu bringen und sie gleichzeitig alltagstauglich zu machen für ein längeres oder vorübergehendes Leben in Deutschland, werde groß geschrieben. Wer möchte, kann gemeinnützig im Camp arbeiten, für 80 Cent die Stunde. „Viele verzichten auf das Geld, sie wollen einfach nur sinnvoll beschäftigt sein“, so Anne Wart, stellvertretende Einrichtungsleiterin der Bezirksregierung. In bebilderten Vorträgen werde über Sitten und Gebräuche in Deutschland aufgeklärt, auch Deutschkurse werden fortlaufend angeboten. „Die Teilnahmequote ist sehr hoch“, sagt Hergarten.
In Kooperation mit Sportvereinen der umliegenden Ortschaften könnten die Gäste auch Fußball spielen. „Außerdem läuft hier ein Pilotprojekt des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, sogenannte Erstorientierungskurse“, erklärt Kerstin Brandhoff von der DRK-Flüchtlingshilfe. Diese richten sich vor allem an jene, die eine schlechte Bleibeperspektive haben und keinen Zugang zu offiziellen Integrationskursen. „Die 300 Stunden sind auf Alltagstauglichkeit ausgelegt, es geht nicht darum, den Teilnehmern geschliffenes Deutsch beizubringen.“
Nach der Zuweisung in eine Kommune verändert sich das Leben vieler Geflüchteter drastisch, da sie dort meist nicht so engmaschig betreut werden wie in der Landesunterkunft. „Es ist ein Spagat, den wir hier machen müssen, zwischen Gäste pampern und entpampern, damit sie nicht in ein Loch fallen, wenn sie ausziehen“, beschreibt es Ralf Hergarten.
Erwachsene und Kinder aus 26 Nationen
Der Nebel hat sich mittlerweile gelichtet, auf den Plätzen zwischen und vor den Häusern tummeln sich nun Erwachsene und Kinder aus 26 Nationen. Aus der Kantine weht der Geruch von Bolognese herüber. Rabar aus dem Irak hat gerade mit seiner Familie zu Mittag gegessen. „Seit vier Monaten und zwei Tagen sind wir hier“, sagt er. Warum er die Tage zählt? „Ich sehne mich nach einem normalen Leben“, sagt der Agrar-Ingenieur. Er wisse, dass die Stimmung im Camp Schelde vergleichsweise sehr gut sei, trotzdem fehle ihm aufgrund der Abgelegenheit der Kontakt zum echten Leben in Deutschland.
Aneela aus Pakistan hingegen schätzt genau das: „Meine Familie und ich lieben die Natur hier, wir machen viele Spaziergänge.“ Sie fühle sich sehr sicher in der Unterkunft, lerne fleißig Deutsch und sei positiv überrascht, wie sehr man in Deutschland andere Religionen respektiere. „Wenn jetzt der Ramadan beginnt, bekommen wir Moslems sogar erst nachts unser Essen ausgeteilt.“
Landesunterkunft wird erweitert
Das fünf Hektar große Gelände des „Camp Schelde“ wurde bis 2005 von den belgischen Streitkräften genutzt. Seit Anfang 2017 sind Geflüchtete in den ehemaligen militärischen Mannschaftshäusern untergebracht.
Der NRW-Landesunterkunft werden in erster Linie Familien zugewiesen. Zurzeit leben 184 Menschen dort in Zwei- oder Vierbettzimmern, davon mehr als 50 Kinder und Jugendliche.
Die Einrichtung des Landes, die in der Trägerschaft des DRK ist, wird derzeit vergrößert: Es entstehen weitere Funktionshäuser sowie sieben zusätzliche Bewohnerhäuser, die in Reserve gehalten werden, falls wieder größere Zahlen an Flüchtlingen untergebracht werden müssen.
Die Bedenken, die es anfangs angesichts der abgelegenen Lage gab, hätten sich allesamt in Luft aufgelöst, sagt DRK-Einrichtungsleiter Ralf Hergarten. Die großzügig angelegte Fläche des Camps würde vielmehr zu einer Entzerrung der wohnlichen Situation und damit zu einem friedlichen Miteinander in der Einrichtung beitragen. (hn)