AboAbonnieren

Neue MedienSatzveyer Wissenschaftler erklärt seine Arbeit auf eigenem YouTube-Kanal

Lesezeit 6 Minuten
Das Foto zeigt Dr. Yaman Kouli in seinem Büros in Satzvey.

Der Geschichtswissenschaftler Dr. Yaman Kouli im Büro seines Hauses in Satzvey.

Geisteswissenschaften sind kein Partyhit. Doch Dr. Yaman Kouli aus Mechernich ist in der Lage, seine Arbeit sehr anschaulich zu erklären.

In seinem Büro in Satzvey sieht es aus wie in vielen Büros. Von seinen Kindern bemalte Bilder lockern die Reihen eher farbarmer Buchrücken wohltuend auf. Auf dem Schreibtisch liegen weitere Wälzer, die offenbar gerade in Gebrauch sind. Doch etwas überrascht den Besucher, dem der aktuelle Wissenschaftsbetrieb nicht mehr allzu geläufig ist: Ein modernes Mikrofon und ein Ringlicht schweben fast über dem Schreibtisch.

„Es hilft mir ein wenig aus dem Elfenbeinturm heraus“, sagt Dr. Yaman Kouli und lächelt. Das Elfenbeinturm-Klischee habe in Wirklichkeit bereits lange vor dem Triumphzug der Neuen Medien keine Berechtigung mehr gehabt. Sie seien aber ein weiterer Schritt.

Wenn der Professor mal weg ist, merkt das niemand. Aber wehe, die Sekretärin ist in Urlaub.
Dr. Yaman Kouli

So nutzt Kouli Youtube, um seine Arbeit einem größeren Publikum näherzubringen. „Forschung, die nicht publiziert wird, existiert im Grunde nicht“, sagt der 41-jährige Doktor der Geschichtswissenschaften. Und Veröffentlichungen müssen bekannt gemacht werden – zumindest im Kreis der Fachkolleginnen und -kollegen. Wenn er es dann noch schaffe, das Interesse des ein oder die anderen Laien zu wecken, wäre das schön, sagt er.

So berichtet der 41-Jährige in einem seiner YouTube-Videos über seine Doktorarbeit, die er 2010 begann und 2014 veröffentlichte. „Wissen und nach-industrielle Produktion: Das Beispiel der gescheiterten Rekonstruktion Niederschlesiens 1936–1956“ lautet ihr Titel.

Der Fachkräftemangel war schon zu früheren Zeiten ein Problem

Dass man damit nicht gerade einer flauen Party Leben einhaucht, ist Kouli sehr wohl klar. Wenn er aber in seinem Video beschreibt, dass die Vertreibung der Deutschen nach der Westverschiebung Polens um mehrere 100 Kilometer nach einiger Zeit kurzzeitig zurückgefahren wurde, weil das Wissen der langjährig Beschäftigten für den Wiederaufbau benötigt wurde, geht es für den Zuhörer gedanklich rasch zurück in die Gegenwart: Fachkräftemangel, wissensbasierte Gesellschaft.

Wobei, so Kouli, schon damals produktives Wissen nicht allein in den Labors, in den Managerbüros oder in den höheren Gehaltsklassen zu Hause war, sondern auch in der Fabrikhalle, beim Handwerk und im Verwaltungstrakt. „Das kennt man doch aus dem eigenen Berufsalltag“, erläutert der Satzveyer anschaulich: „Wenn der Professor mal weg ist, merkt das niemand. Aber wehe, die Sekretärin ist in Urlaub, dann geht die Suche nach den Formularen oder Adressen los.“

Dass er nach dem Abitur, das er 2001 absolvierte, mal Geschichte studieren würde, sei ihm schon recht früh klar gewesen. Spätestens während einer Tagesfahrt mit dem Schwimmverein nach Paris sei ihm auch der Europa-Gedanke nahegekommen sowie die Bedeutung von Sprachen.

Studiert hat der Satzveyer in Bielefeld, Frankreich und Polen

„Ich komme nur schwer damit klar, nicht die Sprache des Landes zu sprechen, indem ich mich befinde“, erzählt er. Denn Sprache diene nicht nur der Verständigung, sondern auch dem Verständnis. Sie erkläre so viel über die Historie und die Kultur des Landes. Darum war es Kouli wichtig, bilingual zu studieren, was ihn während des Studiums in Bielefeld auch an eine französische Uni führte.

„Der Themenschwerpunkt Osteuropa war dann eine Herzensangelegenheit“, berichtet er – und das ist durchaus wörtlich zu nehmen. Seine Frau, die er während des Zivildienstes in der Stiftung Evangelisches Alten- und Pflegeheim in Gemünd kennenlernte, stammt aus Polen: „Beim ersten Besuch bei ihrer Familie wurde mir klar, dass ich die Sprache lernen musste“, erinnert er sich. Später studierte er dann auch in Posen, was die Verbundenheit zu dem Nachbarland weiter verstärkte – sowie das Verständnis für die Landsleute seiner Frau.

Die EU ist wie eine Gewerkschaft. Es gibt immer einfache Lacher. Aber wo wären wir heute mit den Arbeiterrechten ohne die Gewerkschaften?
Dr. Yaman Kouli

„Dass Polen etwa heute mit Blick auf die EU auf seine Eigenständigkeit achtet, liegt sicherlich auch darin begründet, dass das Land über 200 Jahre lang fast durchgängig ein Spielball anderer Mächte war“, gibt Kouli zu bedenken. Geschichte ist zuweilen sehr aktuell.

Und dass der Kohleabbau in Polen historisch und kulturell eine sehr große Bedeutung hat und sich die Polen mit der Dekarbonisierung schwerer tun als andere, sei dann auch zu verstehen. Wobei Verstehen nicht zwangsläufig bedeuten müsse, dass man mit allem einverstanden sei.

Darum aber sei das Subsidiaritätssystem in der EU von so großer Bedeutung. Auch das erklärt er leicht verständlich. „Martin Schultz hat mal gesagt“, bezieht er sich dabei auf den ehemaligen Präsidenten des EU-Parlaments: „Wie der Kreisverkehr in Würselen am besten funktioniert, wissen die Würselener am besten. Aber Klimaschutz muss mindestens europäisch betrieben werden.“

Christian Drosten und Carlo Masala waren früher auch kaum bekannt

Zu berücksichtigen seien aber immer die kulturellen und historischen Befindlichkeiten der Länder. Auch wenn er es nicht so hochtrabend sagen würde, darin scheint Kouli seine berufliche Lebensaufgabe zu sehen. Denn Europa ist ihm wichtig, auch wenn Regelungen wie die über den einheitlichen Krümmungsgrad der Gurke eher für Belustigung sorge.

„Die EU ist wie eine Gewerkschaft“, erläutert er auch das anschaulich: „Es gibt immer einfache Lacher. Aber wo wären wir heute mit den Arbeiterrechten ohne die Gewerkschaften?“

Daher nehme er es auch in Kauf, dass die Ergebnisse seiner Forschung außerhalb des Fachkollegiums (noch) nicht als „wirklich sexy“ angesehen würden und dass sein Youtube-Kanal nicht eine solch hohe Abonnentenzahl habe wie beispielsweise maiLab der Chemikerin und Star-Moderatorin Mai Thi Nguyen-Kim.

Wenn es um die EU geht, zitiert Yaman Kouli gerne Martin Schulz

Wissenschaft ist Kouli zufolge auch eine Art Notfallbetrieb. Lange agiere sie im Hintergrund, bis sie dann doch mal ganz dringend gebraucht würde. „Als 2004 die Orangene Revolution in der Ukraine ausbrach, fragte die damalige Bundesregierung verzweifelt: ‚Wo haben wir denn Ukraine-Experten im Land‘?“

Auch Christian Drosten sei fast nur in der Virologen-Community bekannt gewesen. Dann kam Corona. Und wer außerhalb der Politikfachschaften kannte schon Carlo Masala, bevor der russische Angriffskrieg auf die Ukraine begann?

Zweifellos ist das Forschungsgebiet, das Kouli aktuell mit Kollegen beackert, hochaktuell. „Es geht um die Falle der mittleren Einkommensklasse“, erläutert der Satzveyer. Wie schaffen es nationale Wirtschaften zum Beispiel in Osteuropa, ihre Einwohner besserzustellen, ohne dass höhere Löhne international agierende Firmen aus dem Land vertreiben?

„Sie müssen dafür besser werden“, sagt Kouli. „Aber was passiert, wenn sie teurer werden, obwohl sie noch nicht ausreichend besser geworden sind?“, nennt der Wissenschaftler die Gretchenfrage dieses Forschungsobjekts. Geht dieses Ausbalancieren von Lohn- und Qualitätssteigerungen nämlich schief, könnte das schwere gesellschaftliche Verwerfungen zur Folge haben, nicht zuletzt für die Demokratie.

Dass sich die Gelehrten über solche Fragen den Kopf zerbrechen, scheint dringend angebracht. Und wenn sie das dann noch verständlich per Youtube denen erklären, um die es geht, umso besser. Man darf also durchaus gespannt sein auf die kommenden Videos von Dr. Yaman Kouli aus Satzvey.


Von Viersen über Bad Hennef, Chemnitz und Swisttal nach Satzvey

Yaman Kouli studierte Geschichtswissenschaften, Wirtschaftsgeschichte und Rechtswissenschaften an der Universität Bielefeld, außerdem Geschichtswissenschaften an der Université Paris VII/Denis Diderot. Auslandssemester führten ihn auch an die Universität Posen in Polen.

Nach seiner Promotion arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte von Prof. Rudolf Boch an der Technischen Universität Chemnitz. 2018/2019 war er am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) in Paris als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung.

Seit 2020 lehrt und forscht er an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Kouli wurde 1982 in Viersen geboren, verbrachte seine Kindheit und Jugend in Ruppichteroth und Bad Hennef.

Seit zehn Jahren wohnt er mit seiner Familien in der Region, zunächst in Swisttal und seit 2017 in Satzvey. Zuvor war Chemnitz sein Wohnort.