Mechernich-Satzvey – Im Naturgarten gegenüber der Freien Veytalschule brennt ein kleines Lagerfeuer, in dem Topf darauf blubbert frische Erdbeermarmelade, die die um das Feuer stehenden Kinder heute einkochen wollen. So kann Unterricht an einer Waldorfschule aussehen, wo die Vermittlung eines lebendigen Naturverständnisses weit oben auf der Agenda steht.
Die ersten beiden Klassen der Freien Veytalschule starteten im Sommer 2016. In den beiden Jahren davor hatten die Initiatorinnen Svenja Spittmann und Maria Pesch ordentlich gewirbelt und reichlich Überzeugungsarbeit geleistet. Letztlich gelang es mit Unterstützung der Stadt Mechernich, die Vision einer einzügigen Waldorfschule in freier Trägerschaft in die Tat umzusetzen.
Mit jedem Schuljahr ist Freie Veytalschule gewachsen
Mit der damals auslaufenden Förderschule in Satzvey war ein geeignetes Gebäude gefunden – ein Glücksfall, wie Svenja Spittmann, heute Verwaltungsleiterin der Schule, weiß. Ein perfekter Standort, direkt am Waldrand und gut eingebettet in eine Nachbarschaft, die die Lebendigkeit des Schullebens bereits gut kennt und unterstützt.
Die Zeit seither sei wie im Flug vergangen, resümiert Spittmann. Mit jedem neuen Schuljahr sei die Freie Veytalschule gewachsen, die im Juni letzten Jahres in den Bund der Waldorfschulen aufgenommen wurde. „Wir sind wie ein lebendiger Organismus, der sich ständig weiterentwickelt“, so die 46-Jährige. Das nächste große Kapitel wird nach den Sommerferien aufgeschlagen: Dann nämlich startet die erste Oberstufe an der Freien Veytalschule, die nach der 12. Klasse den normalen Waldorf-Abschluss bietet und nach Klasse 13 die Fachhochschulreife.
Das erste Berufskolleg in Mechernich
Die Jahrgangsstufen 12 und 13 firmieren als Berufskolleg mit dem Schwerpunkt Gestaltung. „Das heißt: Wir integrieren viele praktische Anteile in unsere Kurse“, erklärt Lehrerin Selma Kirsch. Damit werde der rote Faden des praxisnahen Unterrichts an der Waldorfschule konsequent weitergesponnen, so Spittmann, die ergänzt: „Die Freie Veytalschule bietet damit das erste Berufskolleg in der Stadt Mechernich an.“ Die Waldorf-Pädagogik werde an der Satzveyer Bildungsinstitution „zeitgemäß und auf die Erfordernisse eines modernen Schulbetriebes angepasst“, heißt es auf der Schulhomepage. In dem mittlerweile rundum sanierten Schulgebäude sei ein Ort für ganzheitliches Lernen geschaffen worden.
Wenn die benachbarte Grundschule in absehbarer Zeit in ihren Neubau umzieht, könne man das alte Gebäude mitnutzen – denn mit der beginnenden Oberstufe wird weiterer Platz benötigt. Im Endausbau werden 325 Schülerinnen und Schüler an der Freien Veytalschule unterrichtet werden. Da dieser Wachstumsprozess aber nicht nur in der Schülerschaft, sondern auch im Kollegium vollzogen werden muss, werden etliche neue Lehrerinnen und Lehrer gesucht.
Ganzheitlicher Ansatz
Die Selbstdarstellung
In der Selbstdarstellung der Freien Veytalschule heißt es: „Die anthroposophische Menschenkunde stellt nicht das Kulturideal eines einzelnen Volkes oder einer einzelnen Religion in den Mittelpunkt, sondern den individuellen Menschen selbst. Sie fokussiert sich weniger auf das abrufbare Wissen des Schülers, sondern fördert den Willen des Schülers, den Stoff zu beherrschen. Wissen und Erkenntnis werden dabei nicht gleichgesetzt: Erkenntnis kann nur aus der Verbindung von Wissen und Erfahrung entstehen.“
Kein Wechsel nach der 4. Klasse
An der staatlich anerkannten Schule kann man ohne Wechsel nach der vierten Klasse bis zur Fachhochschulreife gelangen. „Der Geist der anthroposophischen Bewegung“ werde dabei aufgegriffen, an die heutige Zeit angepasst und weitergeführt.
Der Lehrplan
Der Lehrplan bietet durch seinen ganzheitlichen Ansatz von Lernen, Erleben und Begreifen eine Alternative zu den öffentlichen Schulen. Die künstlerisch-kreativen, aber auch handwerklich-praktischen Inhalte haben einen hohen Stellenwert an der Freien Veytalschule.
Die neue Oberstufe
Die neue Oberstufe startet mit 25 Schülerinnen und Schülern. Die Klassen 12 und 13 sind als Berufskolleg mit dem Schwerpunkt Gestaltung angelegt. Die Fachhochschulreife nach Klasse 13 ermöglicht das Studium an Fachhochschulen. Durch den hohen praktischen Anteil ist dies auch eine gute Grundlage für viele Ausbildungsberufe.
„Ein freier Träger bietet auch viele Gestaltungsmöglichkeiten“, wirbt Spittmann um engagierte Mitarbeitende, die sich in der Schulgemeinschaft einbringen wollen. Voraussetzung ist ein abgeschlossenes Lehramtsstudium, bestenfalls nach Sekundarstufe II, sowie eine walddorfpädagogische Fortbildung, die auch berufsbegleitend absolviert werden kann. „Zurzeit haben wir 45 Mitarbeitende, davon 25 Lehrerinnen und Lehrer. Wir haben also auch als Arbeitgeber eine beachtliche Größenordnung erreicht“, meint Svenja Spittmann.
Waldorfschule in Satzvey ist stark nachgefragt
Dass die Freie Veytalschule mittlerweile etabliert, „gewünscht und gewollt“ sei, zeigen auch die hohen Anmeldezahlen. Die Nachfrage nach Schulplätzen ist groß, nicht allen Kindern könne man einen Platz anbieten, zumal der Einzugsbereich der Schule weit über den Kreis Euskirchen hinausgehe. „Aber das soll niemanden entmutigen, sein Kind hier anzumelden“, betont Spittmann.
Die letzten beiden Jahre waren auch für die Freie Veytalschule eine große Herausforderung. „In den schwierigen Pandemie-Zeiten haben wir den täglichen Spagat zwischen Präsenzunterricht und Home-Schooling durch gemeinsam entwickelte, gut funktionierende Methoden ermöglicht“, sagt Svenja Spittmann. Als eine der ersten Schulen in der Region habe man ein funktionierendes Hygienekonzept vorlegen können, betont Lehrerin Kirsch. Klassen seien kurzerhand geteilt worden, die Kolleginnen und Kollegen stemmten dadurch in dieser Zeit erhebliche Mehrarbeit.
Turnhalle als Flut-Notunterkunft zur Verfügung gestellt
„Da wir die Kompetenz der Elternschaft immer mitnutzen können, haben wir sehr schnell über selbstgedrehte Videos zur Einhaltung der Hygienestandards verfügt“, sagt Spittmann. Die Notwendigkeit der Maßnahmen hätten dabei alle im Blick gehabt, sagt Kirsch. „Die Ernsthaftigkeit einer Pandemie war uns jederzeit bewusst“, betont auch Spittmann.
Die Flutkatastrophe im vergangenen Jahr hat die Freie Veytalschule aufgrund ihrer erhöhten Lage schadlos überstanden. Kurzerhand wurde die Turnhalle als provisorische Notunterkunft für jene geöffnet, die die Flut schwer getroffen hatte. Die Schulgemeinde der Freien Veytalschule versteht sich eben als eine Solidargemeinschaft – und das ganz offensichtlich nicht nur in den eigenen Reihen und Wänden.