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Mit Nähmaschine und KameraWie ein afghanisches Paar übers Mittelmeer nach Mechernich floh

Lesezeit 4 Minuten
Nahida Mohammadi sitzt an ihrer Nähmaschine und näht. Sie trägt eine weiße Bluse mit buntem Muster und ein dunkelrotes Kopftuch.

Näht Kleidung für Freunde und Verwandte: Nahida Mohammadi hat in der Wohnung ihrer Familie ein eigenes Nähzimmer.

Die Familie ist über den Iran, die Türkei, Griechenland und den Balkan nach Deutschland gekommen. Fast einen Monat dauerte die Flucht.

Die Wohnung der Mohammadis ist mit Teppich ausgelegt. Nur vor der Eingangstür befindet sich ein kleines Stück Laminatboden. Das ist der Bereich, den man mit Straßenschuhen betreten darf. Nahida Mohammadi und ihr Mann Qasemi Mohammadi kamen im Februar 2016 nach Deutschland. Der gemeinsame Sohn Arash war zu dem Zeitpunkt sechs Jahre alt, Tochter Neda gerade erst geboren. „Das war so schlimm“, erinnert sich Nahida Mohammadi. Während sie redet, schaut sie aus dem Wohnzimmerfenster.

Qasemi und Nahida Mohammadi stehen in ihrer Wohnung und halten eine gerahmte Auszeichnung.

Für einen Preis war Qasemi Mohammadi schon nominiert.

Ihr Mann sitzt neben ihr auf dem Sofa. Meistens spricht sie, nur wenn sie ihn auffordert, antwortet auch er. Die beiden stammen aus Afghanistan. Ihre Flucht führte sie wie zahlreiche andere Geflüchtete über das Mittelmeer. „Ich hatte Angst um das Leben meiner Tochter. Erst war es ruhig, doch dann schlug das Wetter um“, sagt Mohammadi: „Es war stürmisch und Wasser ist ins Boot gekommen. Viele Kinder haben geweint. Meine Tochter war gerade mal 25 Tage alt. Ich dachte: Das Boot geht unter und es ist alles vorbei.“

„Die erste Zeit in Deutschland hatte ich Depressionen. Wir kamen in einem Camp in Sachsen-Anhalt an. Man hat dort keine Privatsphäre und das mit zwei kleinen Kindern. Es war kein Zuhause.“
Qasemi Mohammad

Sie seien über den Iran, die Türkei, Griechenland und den Balkan nach Deutschland gekommen, erinnert sich Qasemi Mohammad. Wie lange sie unterwegs waren, weiß seine Frau ganz genau: „Insgesamt waren das 28 Tage.“ Die Flucht zieht nicht spurlos an der heute 29-Jährigen vorbei: „Die erste Zeit in Deutschland hatte ich Depressionen. Wir kamen in einem Camp in Sachsen-Anhalt an. Man hat dort keine Privatsphäre und das mit zwei kleinen Kindern. Es war kein Zuhause.“ Der einzige Hoffnungsschimmer sei gewesen, dass die Familie sowohl auf der Flucht als auch in Deutschland nie getrennt wurde.


Die Serie

In der Serie „Ankommen“ stellen wir Menschen vor, die sich aus unterschiedlichen Gründen mutig auf den Weg gemacht haben – in ein neues Land, und damit in eine neue Kultur und Gesellschaft. Was gefällt ihnen an Deutschland, was bleibt fremd? Welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen, um am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können? Sie kennen jemanden, der gut zu unserer Serie passen würde? Dann rufen Sie uns an (Tel. 0 22 51/70 04 54 10) oder schreiben eine Mail. (hn)


Nach sechs Monaten durfte sich das Paar Qasemi Mohammad zufolge eine Wohnung suchen. Zuerst sei es nach Dessau gegangen. Danach habe ein Jobangebot bei Auto Heinen für Nahida Mohammadi die Familie nach Mechernich geführt. Durch die Flut sei das Autohaus allerdings zerstört worden, weshalb sie dort aktuell nicht mehr arbeite. Mittlerweile geht es Mohammadi ihren eigenen Aussagen nach wieder besser.

„Wir wollen hier bleiben, auch wenn wir unsere Heimat vermissen. Aber zurück nach Afghanistan können wir nicht wegen der Taliban.“
Nahida Mohammadi

„Wir fühlen uns in Deutschland wohl. Den Kindern geht es gut. Mein Sohn spielt Fußball, wir haben unsere Wohnung hier, die Kinder gehen zur Schule“, zählt sie auf. Auch sie habe sich in Deutschland eingelebt. „Wir wollen hier bleiben, auch wenn wir unsere Heimat vermissen. Aber zurück nach Afghanistan können wir nicht wegen der Taliban.“ Deswegen will sich die Familie ihre Zukunft in Mechernich aufbauen. „Mein Mann möchte Filmemacher werden“, sagt Mohammadi.

Drei Kurzfilme habe er bereits gedreht, berichtet Qasemi Mohammad. Sogar für den Rundfunkpreis Mitteldeutschland war er mit seinem Film „20. November“ nominiert. „Mein Mann hat so viel darüber geredet, dass ich mittlerweile auch Lust hätte, Filme zu machen“, berichtet Nahida Mohammadi. Das erste Mal herzlich lachen muss sie bei der Frage nach ihrem Lieblingsfilm. „Ich mag Komödien“, sagt sie und ihr Mann lacht ebenfalls.

Mann Qasemi will Filmemacher werden

„Ja, ich weiß“, sagt er und ergänzt: „Ich mag realistische Filme, also etwas, was die Realität abbildet.“ Ihr Lieblingsfilm sei übrigens „PK – Andere Sterne, Andere Sitten“ – ein Science-Fiction Comedy Drama aus Indien. Filme schauen ist nicht Mohammadis einziges Hobby. „Ich nähe gerne Kleider“, berichtet sie. So habe sie ihrer Tochter bereits ein Elsa-Kostüm geschneidert. Tochter Neda sei ein großer Fan des Disney-Charakters aus dem Film „Frozen“. Sogar ein Nähzimmer gibt es in der Wohnung. Auch ihre Nähmaschine steht hier.

Dahinter stapeln sich Spindeln und Stoffe, in der Ecke steht eine Schneiderpuppe. Schon in Afghanistan habe sie als Schneiderin gearbeitet. „Ich würde das gerne weiter machen, aber aktuell mache ich das nur für Freunde und Familie“, sagt sie. Deshalb betätige sie sich im Moment vor allem ehrenamtlich als Dolmetscherin beim Kobiz. „Ich kümmere mich da hauptsächlich um Leute, die gerade in Deutschland angekommen sind und Hilfe bei Dokumenten, mit der Schule oder den Behörden brauchen“, erklärt die zweifache Mutter.

Für alles Weitere sei ihr Deutsch nicht gut genug, sagt sie. Drei bis viermal im Monat hilft sie anderen Geflüchteten. Jetzt wollen beide eigenen Angaben nach erstmal eine Ausbildung machen: Qasemi Mohammad als Kameramann und seine Frau als Schneiderin. (enp)


Kobiz sucht Übersetzungshelfer

Das kommunale Bildungs- und Integrationszentrum (Kobiz) sucht aktuell nach Ehrenamtlern, die neben Deutsch eine weitere Sprache sprechen. Als Übersetzungshelfer mit niedrigschwelligem Ansatz besteht ihre Aufgaben darin, Geflüchtete ohne Deutschkenntnisse zu unterstützen. Ihre Hilfe wird etwa bei Behördengängen, in Gesprächen mit sozialen Einrichtungen oder auch beim Arzt benötigt. Bei den Ehrenamtlern darf es sich explizit um Laien handeln. Sie werden in einen Übersetzerpool aufgenommen und bei Bedarf vermittelt. (enp)