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Paritätischer WohlfahrtsverbandMichael Kehren aus Kall will Organisation sichtbar machen

Lesezeit 6 Minuten
Michael Kehren sitzt an seinem Büroschreibtisch. Vor ihm steht ein schwarzer Kaffeebecher.

Hadert zuweilen mit den Beschlüssen seiner Parteiführung: CDU-Mitglied Michael Kehren führt seit kurzem die Geschäfte des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in den Kreisen Euskirchen und Düren.

Der Kaller Michael Kehren ist neuer Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes in den Kreisen Euskirchen und Düren.

Michael Kehren hat sich einiges vorgenommen. „Es ist in den letzten Jahren still um uns geworden“, sagt der Keldenicher über den Paritätischen Wohlfahrtsverband in den Kreisen Euskirchen und Düren, dessen Geschäftsführer er seit dem 1. April ist: „Das soll sich ändern.“

Die Dachorganisation, die bundesweit mehr als 10.000 und im Kreis Euskirchen 18 Mitgliedsorganisationen aus den Bereichen der Sozialen Arbeit und der Gesundheitspflege berät und vertritt, konnte in den vergangenen Jahren nur mehr oder minder gut geführt werden, weil die Bereiche der jeweiligen Geschäftsführungen einfach zu groß waren. Sie reichten bis nach Frechen oder Bonn.

Geschäftsführer pendelt zwischen Euskirchen, Düren und Kall

Das soll mit Kehren anders werden. Er pendelt „nur“ noch zwischen Euskirchen, Düren und dem Homeoffice. Immer mit den Zielen, die sich der Paritätische vor 100 Jahren auf die Fahne geschrieben hat: die Idee der Parität, also der „Gleichheit aller“ zu stärken sowie Toleranz und Vielfalt, als Anwalt für sozial Benachteiligte oder von der Gesellschaft ausgegrenzte Menschen. Und das überkonfessionell und politisch neutral.

Was aber nicht heißt: unpolitisch. Wenn es um Vielfalt, Toleranz, Menschenrechte und Demokratie gehe, sei der Paritätische deutlich – etwa mit seiner Kampagne: „Vielfalt ohne Alternative“.

Es ist ein Irrglaube, dass Bürgergeld-Empfänger nicht arbeiten.
Michael Kehren, Kreis-Geschäftsführer Paritätischer Wohlfahrtsverband

Während der Bundesvorsitzende des Paritätischen, Ulrich Schneider, die Partei „Die Linke“ zwar verlassen hat – aber nicht wegen deren Sozialpolitik, sondern wegen der Ansichten zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine seiner damaligen Genossin Sahra Wagenknecht, ist sein Euskirchen-Dürener Pendant Kehren Gemeindeverbandschef der Kaller CDU. Wie passt das zusammen? Für ihn, so Kehren, sei die CDU vom Ursprung her keine konservative, sondern eine christdemokratische Partei. In der fühle er sich politisch Karl-Josef Laumann und der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft verbunden.

CDU-Mitglied Michael Kehren hadert mit einigen Beschlüssen seiner Partei

„Zum neuen Grundsatzprogramm-Entwurf habe ich auch die ein oder andere Frage“, sagt Kehren. Auch mit der Haltung der CDU-Führung zum Bürgergeld, das der Paritätische im Bund als zu niedrig scharf kritisiert, hadert Kehren: „Es ist ein Irrglaube, dass Bürgergeld-Empfänger nicht arbeiten.“ Ein Großteil der Bezieher verdienten allerdings mit ihrer Arbeit so wenig Geld, dass sie ohne staatliche Hilfe angesichts hoher Mieten und Lebenshaltungskosten nicht über die Runde kämen, sagt Kehren.

Ja, es möge einzelne Fälle des Missbrauchs geben, aber das seien Ausnahmen. Arbeit werde verhindert, weil etwa nicht ausreichend Kinderbetreuung in den Randzeiten angeboten werde und Alleinerziehende aus diesem Grunde gar nicht arbeiten gehen könnten.

Ganz schrecklich finde ich dann die Neiddebatten, wenn ausgerechnet wird, dass der, der Mindestlohn bekommt, kaum mehr habe als ein Bürgergeldempfänger.
Michael Kehren

„Deutschland hat einen der größten Niedriglohnsektoren in Europa“, argumentiert der Kaller: „Ganz schrecklich finde ich dann die Neiddebatten, wenn ausgerechnet wird, dass der, der Mindestlohn bekommt, kaum mehr habe als ein Bürgergeldempfänger“, sagt Kehren: „Tatsächlich ist der Abstand immer noch gewahrt. Der Skandal ist doch, dass Menschen, die 40 Stunden in der Woche arbeiten, nicht davon leben können.“

Das klingt in der Tat eher nach Schneider oder Laumann als nach Merz oder Linnemann. Er finde es aber gut, dass solche Themen im Euskirchener CDU-Kreisverband offen diskutiert werden könnten, fügt Kehren hinzu: „Dort haben wir eine gute Diskussionskultur.“

Michael Kehren: „Armut hat auch im Kreis Euskirchen viele Gesichter“

Was Armut bedeutet, hat Kehren, wenn auch nicht selbst erlebt, so doch aus der Nähe beobachten können. Der heute 35-Jährige studierte Theologe war nach eigenem Bekunden nach verschiedenen Stationen im kirchlichen Dienst 2020 mitverantwortlich für den Aufbau der Servicestelle Antidiskriminierungsarbeit beim Euskirchener DRK.

Vor der Übernahme der Geschäftsführung beim Paritätischen arbeitete er mehr als drei Jahre als Führungskraft bei der Kölner Arbeitsagentur.

Auch der Kreis Euskirchen sei keine Insel der Glückseligen, stellt er klar: „Armut hat viele Gesichter.“ Manchmal grinse sie einen regelrecht an. Das habe er erlebt, als er sich bei einer Hilfsorganisation im Ruhrpott um Menschen gekümmert habe, die mit den inzwischen verbotenen Werksverträgen in einer Fleischfabrik arbeiteten. „Da kommt man in das Treppenhaus eines Mehrfamilienhauses und kann vom Erdgeschoss in die erste Etage gucken, weil da ein Loch im Boden ist – und da ist ein Kinderzimmer“, erinnert sich Kehren.

Wohnungsmarkt im Kreis Euskirchen ist ein großes Problem

So etwas finde man im Kreis Euskirchen weniger, hier aber gebe es viel verschämte Armut: „Alte Menschen, die ein Leben lang gearbeitet, aber eine Rente bekommen, von der sie nicht leben können“, beschreibt er die Situation – und schiebt noch pointensicher hinterher: „So viel zum Thema: Arbeit muss sich wieder lohnen.“

Ihre Scham oder die Furcht vor dem Gerede anderer gestatte es diesen Menschen nicht, zum Amt zu gehen: „Dann drehen sie lieber die Heizung nicht so hoch auf im Winter.“ Im Kreis Euskirchen sei das Wohnproblem das vorrangigste Thema, so Kehren: „Es fallen mehr Wohnungen aus der Sozialbindung heraus als neue dazu kommen.“ Und das mitten in der Baukrise, die auch den Kreis erfasst habe. „Suche mal als Familie eine Wohnung“, wird Kehren konkret: „Wenn du zum Jobcenter musst, finde mal eine Wohnung, die das Jobcenter bezahlt.“

Er kenne Fälle aus seinem Arbeitsbereich, da lebten Frau, Mann und Kind auf 24 Quadratmetern: „Wenn das Kind laufen lernt, wird es ganz schwierig.“

Es gibt also viel zu tun für den neuen Geschäftsführer, dessen Büro noch kahl an den Wänden ist und in dem die einzelne Zimmerpflanze sich sicher über weitere Artgenossen freuen würde. Er wolle jetzt verstärkt die Mitgliedsorganisationen aufsuchen, sagt Kehren: „Als Wohlfahrtsverband sind wir nur durch unsere Mitglieder vor Ort stark.“ Sein Job sei es jetzt, den Mitgliedsorganisationen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und die Stimme für soziale Gerechtigkeit im Kreis zu erheben.

„Traumatischer Termin“ für das Vorstellungsgespräch

Wobei die Mitglieder auch in der öffentlichen Aufmerksamkeit im Mittelpunkt stehen sollten: „Sie und die Öffentlichkeit sollen aber wissen, dass es uns gibt und man uns ansprechen kann“, sagt Kehren, der sich nach eigenem Bekunden freut, „wieder im Kreis Euskirchen zu arbeiten, um für die Menschen vor Ort etwas zu bewegen“.

Hier kann ihm zumindest eines nicht mehr passieren, was vielen Zeitgenossen in der Region geradezu als traumatisch erscheinen mag: „Mein Vorstellungsgespräch für diesen Posten fand in Wuppertal statt – am Weiberdonnerstag.“


Der Paritätische Wohlfahrtsverband

Neben großen Organisationen wie der DLRG, der Lebenshilfe oder den SOS Kinderdörfern, gehören auch viele örtliche Organisationen zu den Mitgliedern im Paritätischen. Im Kreis Euskirchen reicht das Spektrum der 18 Mitgliedsorganisationen von der Euskirchener Elterninitiative, die die Kita Bunte Vielfalt in der Kreisstadt betreibt, bis zu den Nordeifelwerkstätten. Auch der Kinderschutzbund, Frauen helfen Frauen, die Waldkobolde Weilerswist oder der „Club 96 – Freizeit mit Behinderten“ gehören dazu.

„Wir sind der Spitzenverband für alle, die sonst keinen haben“, so Kreis-Geschäftsführer Michael Kehren – also für die, die nicht so groß sind wie etwa das Rote Kreuz, die Caritas oder die Arbeiterwohlfahrt, die sich selbst Gehör verschaffen können.

Kontaktstelle für Pflegeselbsthilfegruppen

Dabei behalten die Mitgliedsverbände ihre Eigenständigkeit; der Paritätische unterstützt sie, geht mit ihnen, wenn gewünscht, in die politischen Gremien und stellt Kontakte zu den Fachleuten im Landesverband her.„Ich habe da eine Scharnierfunktion“, erläutert  Michael Kehren.

Als eigenes Angebot hält der Paritätische etwa die Kontaktstelle für Pflegeselbsthilfegruppen und die Teilhabeberatung vor. Hier werden Hilfesuchende etwa bei einem Antrag auf einen Schwerbehindertenausweis oder auf Frührente in Sprechstunden beim Weg durch den Behördendschungel beraten. Mit Michael Kehren arbeiten insgesamt sieben Personen in der Euskirchener Geschäftsstelle des Verbands.