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Krisen-Gipfel in KuchenheimEinige Kitas im Kreis Euskirchen kämpfen ums Überleben

Lesezeit 5 Minuten
Das Bild zeigt ein Kind, das mit einem Lineal und Stiften beschäftigt ist.

Wenn das Personal in den Kitas im Kreis Euskirchen knapp wird, müssen Kinder zu Hause betreut werden.

Viele Kitas im Kreis Euskirchen sind in der finanziellen Schieflage. Hinzukommt, dass auch Personal fehlt und die Mitarbeiter überlastet sind.

Die Tariferhöhung im Öffentlichen Dienst stellt die Kita-Träger im Kreis Euskirchen vor Herausforderungen. Kleinere Träger befürchten, dass sie die Kosten nicht gestemmt bekommen, andere müssen an ihre Rücklagen. „Dafür sind die aber eigentlich nicht gedacht. Rücklagen sind nicht dafür da, um Mehrkosten beim Personal aufzufangen“, sagte Manuela Bornkessel beim sogenannten Kita-Gipfel, den die Kreis-SPD und die FDP im LVR-Museum in Kuchenheim organisiert hatten. Bornkessel ist Geschäftsführerin der Kita Router gGmbH, die in Kommern, Zülpich und Kall jeweils eine Kindertagesstätte betreibt.

Doch warum müssen Kitas überhaupt auf ihre Rücklagen zurückgreifen? Inflationsausgleich, Sockelbetrag, Tariferhöhung – für Beschäftigte in Sozial- und Erziehungsberufen im öffentlichen Dienst gibt es mehr Geld. Insgesamt 3000 Euro Inflationsausgleich pro Vollzeitstelle und ab März 2024 ein Gehaltsplus von 5,5 Prozent sind vereinbart.

Kitas: Laut SPD reichen die 100 Millionen Euro aus dem Rettungspaket nicht ansatzweise

Gestemmt werden müssen die Kosten von den Trägern der Einrichtungen. Zumindest so lange, bis sie vom Land NRW über das Kinderbildungsgesetz (Kibiz) durch die Erhöhung der Kindpauschale einen Teil refinanziert bekommen. Das wird aber erst zum August 2024 der Fall sein.

Nach Angaben von Dennis Melzer, Landtagsabgeordneter der SPD, wird die Landesregierung aus CDU und Grünen ein Rettungspaket schnüren, bestehend aus 100 Millionen Euro. Das sei aber nur ein Fünftel der Summe, die tatsächlich benötigt werde, so Melzer: „Einem Verdurstenden ist mit einem Glas Wasser, das nur zu einem Fünftel gefüllt ist, auch nicht geholfen.“

Das Bild zeigt einen Teil des Publikums beim Kita-Gipfel.

In der Kuchenheimer Tuchfabrik fand der Kita-Gipfel der Kreis-SPD statt. Mehr als 50 Gäste waren gekommen, um über die Situation in den Kitas zu sprechen.

Dem stimmte Andreas Houska, Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt Rhein-Erft & Euskirchen, zu: „Wenn man die Summe auf die Zahl der Kitas in NRW umlegt, bedeutet das, dass jede Kita 8800 Euro erhält, oder pro Beschäftigtem 645 Euro.“

Mehr müsse er zu dem Rettungspaket nicht sagen. Sozialdemokrat Melzer imitierte daraufhin einen imaginären Pressesprecher der schwarz-grünen Koalition und entgegnete ironisch: „Die städtischen Kitas partizipieren aber beispielsweise nicht von dem Rettungsschirm, und somit bleibt ja mehr Geld für freie Träger übrig.“

Mehr als 100.000 Fachkräfte bei Kitas und in der OGS dürften fehlen

Doch das Geld ist nicht das einzige Problem, mit dem sich Träger, Kita-Leitungen, Erzieherinnen und auch Eltern seit vielen Jahren herumschlagen. So rechnete Jürgen Großer, Gründungsmitglied der „Familienbande“ in Zülpich vor, dass in NRW 65.000 Fachkräfte fehlen – wenn man die Versorgung des Nachwuchses in den Kitas nicht nur auf dem Mindeststandard halten würde, sondern ihn anhebe.

Houska sprang wieder dazwischen und sagte: „Der Rechtsanspruch auf einen OGS-Platz in den Grundschulen wird kommen. Ich glaube, wir sprechen eher von 145.000 Fachkräften, die in den kommenden Jahren fehlen werden.“

Das Bild zeigt die Diskussionsrunde in der Tuchfabrik. Gerade spricht Dennis Melzer.

Zur Podiumsrunde gehörten unter anderem Dennis Melzer (2.v.l.), Landtagsabgeordneter der SPD, und Landrat Markus Ramers.

Um dann eine Chance zu haben, die Erzieherinnen in den Kitas zu halten, müsse das Gehalt angehoben werden. „Solidarisches Klatschen hilft ein bisschen, aber 20 Prozent mehr Gehalt hilft ein bisschen mehr“, so Großer.

Er rechnete vor, dass das Land etwa vier Milliarden Euro in die Hand nehmen müsse, um Kitas zukunftsfähig auszustatten und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. „Die Politik findet immer wieder Sondervermögen oder rettet Banken mit Milliardenkrediten. Wenn man uns wirklich helfen will, dann kann man das“, sagte Großer und erntete dafür aus dem Publikum viel Applaus.

Kita-Öffnungszeiten im Kreis Euskirchen sollen verlässlicher werden

Großers Frau Babsi berichtet im LVR-Museum aus dem Alltag einer Kindertagesstätte. „Auf die Kitas werden immer mehr Bildungsaufträge aus den Schulen abgewälzt“, sagte sie: „Wir müssen aufpassen, dass wir den Kindern nicht den Spaß am Lernen nehmen.“ Ein Baum wachse auch nicht schneller, nur weil man daran ziehe, so die Expertin.

Ein Wunsch der aus der Runde, aber auch aus dem Publikum immer wieder geäußert wurde: Die Kita muss wieder verlässlich werden. Das sei für alle Beteiligten sehr wichtig. Landrat Markus Ramers berichtete, dass in den vergangenen vier Wochen im Kreis Euskirchen 24 Gruppen vereinzelnd abgemeldet worden seien – teils geschlossen, teils in Notbetreuung.

Es ist nicht damit getan, nur Kitas aus dem Boden zu stampfen, sondern wir müssen den Beruf attraktiver machen. Wir brauchen mehr Erzieherinnen oder Kita-Helfer.
Manuela Bornkessel

„Das liegt daran, dass wir insgesamt eine zu dünne Personaldecke haben“, so der Landrat. Er wisse von einer Kindertagesstätte in Aachen, die vor einem Jahr gebaut worden sei, seitdem aber noch keinen Tag geöffnet hatte. Der Grund: Fachkräftemangel.

Das könne in der Theorie auch im Kreis Euskirchen passieren, sagte Manuela Bornkessel. Es werde fast stoisch der Kindergartenbedarfsplan abgearbeitet, ohne überhaupt das entsprechende Personal zu haben. „Es ist nicht damit getan, nur Kitas aus dem Boden zu stampfen, sondern wir müssen den Beruf attraktiver machen. Wir brauchen mehr Erzieherinnen oder Kita-Helfer“, so die Expertin.

Kita-Leiterin aus Euskirchen: Gruppengrößen müssen sich ändern

Eine Mutter, die nach eigenen Angaben auch eine Kindertagesstätte im Kreis Euskirchen leitet, sagte, dass sich die Rahmenbedingungen ändern müssten. „Natürlich sind 20 Prozent mehr Geld nett, aber wenn ich zu kaputt bin, um mich darüber zu freuen und mich meine eigenen Kinder nur noch nerven, weil mein Arbeitsalltag so stressig war, dann bringt mir das nichts“, sagte   sie.

Aus ihrer Erfahrung heraus, müssten die Gruppen kleiner werden. Und es müsste mehr dafür getan werden, dass Eltern ihre Kinder nicht mit einem Jahr in die Kita geben. Im Idealfall sollten sie bis zum dritten Lebensjahr zu Hause bleiben.

Dem stimmte Babsi Großer zu. „Viele Eltern verwechseln den Rechtsanspruch des Kindes auf einen Kita-Platz mit einem Rechtsanspruch, wieder arbeiten gehen zu können“, sagte Großer:   „Aber natürlich gehört zur Wahrheit auch, dass je nachdem beide Eltern arbeiten müssen, um über die Runden zu kommen.“

Einig waren sich alle Beteiligten der Podiumsrunde, dass die Betreuungszeiten mit 25, 35 und 45 Stunden zu unflexibel seien. Da müsse das Kibiz angepasst werden. Die Stundenaufteilung passe nicht mehr in die Zeit.