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Medikamenten-MangelFür Apotheker im Kreis Euskirchen ist das Schlimmste die Ohnmacht

Lesezeit 6 Minuten
In der Schwanenapotheke in Bad Münstereifel sortiert Famulant Simon Pielen, hier im Januar 2023, die Medikamente gegen Erkältung, die vorhanden sind, in die Regale. Derzeit kämpfen Apotheken im Kreis Euskirchen mit Medikamentenmangel.

Apotheken im Kreis Euskirchen haben während der Krankheitswelle derzeit mit Medikamentenmangel zu kämpfen.

Erwachsene und Kinder sind von dem Medikamenten-Mangel betroffen. Dass Apothekerinnen und Apotheker die Medikamente selber herstellen, ist theoretisch möglich, praktisch nicht.

„Die Medikamente sind nicht knapp. Die Medikamente sind einfach nicht vorhanden“, sagt Simon Pielen, Famulant in der Schwanen-Apotheke in Bad Münstereifel. Er meint vor allem Fiebersäfte und Zäpfchen für Kinder.

In der Citrus-Apotheke in Euskirchen sieht es ähnlich aus. Dort fehlten aktuell 261 Präparate. Bei 172 Medikamenten hat die Inhaberin Ute Haghverdi wenigstens noch eine Hoffnung auf Lieferung. „Bei den übrigen 89 Präparaten habe ich nicht einmal mehr Hoffnung.“

Medikamenten-Mangel im Kreis Euskirchen: Das sind die Ursachen

Das Schlimmste, so findet Simon Pielen, sei die Unvorhersehbarkeit. Laufend versuchten die Apothekenmitarbeiter zurzeit Medikamente zu bestellen. Aber ob die auch ankämen, das stehe in den Sternen. Manchmal kämen drei Päckchen Zäpfchen, mit denen er schon fast nicht mehr gerechnet habe. Oft komme aber auch einfach gar nichts.

Die Gründe für den Medikamenten-Mangel sieht Dr. Werner Klinkhammer, Inhaber der Adler-Apotheke in Mechernich und Sprecher der Apotheker im Kreis, in der „Geiz-ist-Geil-Mentalität“ der vergangenen Jahre. Man habe sparen wollen. So billig wie möglich produzieren. Deswegen sei die Produktion ins Ausland verlagert worden.

Und jetzt habe man kaum noch eine Handhabe. Wenn es zu Lieferengpässen komme oder die Lieferketten unterbrochen würden, könne man als Empfänger einfach nicht viel tun. Es seien zudem nicht nur die Medikamente selbst, an denen es mangele, sondern auch die Verpackungsmaterialien wie Glasfläschchen oder Kunststoffteile.

Apotheken im Kreis Euskirchen: Knappheit auch bei Kindermedikamenten

Die aktuelle Krankheitswelle rauscht durch Schulen und Kindergärten. Die jungen Patienten kämen zurzeit besonders häufig mit Atemwegserkrankungen in die Praxen und Apotheken, teilt Klinkhammer mit. Häufig auch verbunden mit Fieber.

„Eigentlich ist Fieber heutzutage nicht mehr gefährlich“, sagt Ute Haghverdi, aber nur so lange, wie man das Fieber behandeln könne. Würde man Fieber bei kleinen Kindern unbehandelt lassen, sei es immer noch gefährlich.

Bei Fiebersäften und Zäpfchen für kleine Kinder könne man auch nicht bei der Darreichungsform variieren, erklärt Simon Pielen: „In einem gewissen Alter gibt es für Kinder keine anderen Möglichkeiten.“ Kleine Kinder könnten keine Tabletten schlucken. Kleine Kinder seien auf die Darreichungsform angewiesen.

Nicht nur Fiebersäfte sind knapp, auch Antibiotika, etwa das bei Kindern oft verabreichte Amoxicillin, sei nur schwer verfügbar, berichtet Werner Klinkhammer. Besonders an den Dosierungen für jüngere Kinder fehle es auch da gerade. Generell sei die Faustregel dieser Tage: „Je jünger das Kind, desto schwerer ist es, geeignete Medikamente zu finden.“

Dosierungen für ältere Kinder gebe es aktuell noch. In solchen Fällen, sagt der Apotheker, müsse man kreativ werden. Von den höher dosierten Medikamenten könne man – in enger Absprache mit dem Apotheker oder dem Arzt – zum Beispiel die Hälfte des Medikaments geben. Tabletten könne man grundsätzlich auch zerkleinern, um die Darreichungsform dem Kindesalter anzupassen, sagt er. Es gebe Lösungen. Man müsse nur gewillt sein, sie auch zu finden.

Lösungsversuch wegen Medikamentenknappheit: Apotheker stellen Medizin her

Auch Simon Pielen ist gewillt, Lösungen zu finden. Wenn die Mütter mit ihren fieberkranken Kindern in der Apotheke stehen, und man nicht helfen könne, dann mache man sich eben Gedanken, sagt der Pharmaziestudent. Deswegen hat Pielen auch schon Paracetamolsaft selbst hergestellt. Doch das sei kein einfaches Unterfangen, erklärt er.

Simon Pielen, hier im Januar 2023, stellt in der Schwanen-Apotheke Medikamente für den Notfall her.

Für absolute Notfälle und bei speziellen Rezepturen können Apotheken einige Medikamente wie beispielsweise Salben und Säfte auch selbst herstellen.

In Notfällen und bei besonderen Rezepturen könnten Apotheker das zwar tun, aber der Zeitaufwand sei immens. Und kompliziert sei es auch. Man müsse die einzelnen Stoffe zum Beispiel akribisch genau einwiegen – auf die vierte Nachkommastelle, erklärt er. Und immer wieder aufschütteln. Es fehlten einfach die Maschinen. Ohne die Maschinen gehe es nicht. Jedenfalls nicht schnell genug.

Auch Ute Haghverdi sagt: „Natürlich können wir als Apotheker Medikamente selbst herstellen.“ Und damit meint sie, dass es in der Theorie möglich wäre – auf keinen Fall aber in der Praxis. Man müsse Rohstoffe bestellen und eine Menge Zeit investieren. „Ich habe eine einzige Zäpfchenform“, sagt die Apothekerin. Die sei eigentlich für individuelle Rezepturen und nicht für einen Massenbetrieb. „Ich brauche große Mengen, ich brauche Maschinen, ich brauche Zeit.“

Zeit, die keine Apotheke aktuell übrig habe. „Einen hohen Krankheitsstand“ moniert Haghverdi. „Außerdem haben wir gerade ohnehin schon zu wenig Personal“, ergänzt Pielen. Eine Produktion auf eigene Faust sei zudem unsicher, sagt Haghverdi. Sie erinnert sich an den flächendeckenden Mangel an Desinfektionsmitteln während der Coronapandemie. Nirgends sei mehr eine Flasche zu bekommen gewesen.

Und plötzlich habe es geheißen, dass die Apotheken selbst Desinfektionsmittel herstellen sollten. Das habe man dann auch im großen Stil getan. Doch plötzlich sei das industriell hergestellte Desinfektionsmittel wieder lieferbar gewesen und die Apotheken seien auf ihren selbst hergestellten Desinfektionsmitteln sitzen geblieben.

Das größte Problem jedoch, sagt Werner Klinkhammer, sei, dass man mittlerweile auch keine Rohstoffe mehr für die Medikamentenherstellung nachbekomme. Selbst wenn man in der eigenen Apotheke produzieren wolle: „Wenn kein Wirkstoff mehr da ist, können wir auch kein Medikament herstellen.“

Medikamentenmangel in Apotheken im Kreis Euskirchen: Patienten kaufen im Ausland

„Ein Kunde hat mir kürzlich erzählt, dass er seine Medikamente gerade in Belgien kauft“, sagt Haghverdi. Schließlich sei das in einem Gebiet so nahe der Grenze möglich. Auch Klinkhammer sagt, dass es von Euskirchen oder der Eifel aus natürlich denkbar sei, seinen Medikamenteneinkauf in Belgien oder den Niederlanden zu tätigen, doch da beiße sich die Katze in den Schwanz, sagt er.

Denn genauso wie Deutsche in die Niederlande fuhren, um Medikamente zu kaufen, die es hier nicht mehr gebe, fahren auch die Niederländer nach Deutschland, um Medikamente zu kaufen, die es dort nicht mehr gebe.

So komme es in der gesamten Grenzregion zu medizinischen Hamsterkäufen, die dafür sorgten, dass gewisse Medikamente mal hier, mal dort nicht mehr vorhanden seien. Den „Klopapiereffekt“ nennt Klinkhammer das – nur eben mit Medikamenten.

Eine Besserung der Lage erwartet Klinkhammer frühestens im Frühjahr. Erst, wenn die großen Krankheitswellen abgeebbt und wenn generell weniger Medikamente gebraucht werden. Erst dann komme es zu einer Normalisierung. Allerdings: Wenn die Krankheitswelle um den Jahreswechsel herum überstanden sei, stehe direkt schon die nächste vor der Tür: die Karnevalswelle.

Es mangelt nicht nur an Medikamenten für Kinder

Besonders Medikamente, die man aus der Werbung kenne, wie etwa ACC akut, seien zurzeit knapp, sagt Werner Klinkhammer. Das seien Medikamente, von denen jeder wisse und die gezielt und bevorzugt gekauft würden. Auch so komme es zu Knappheiten.

Außerdem litten viele junge Patienten in Schulen und Kindergärten gerade an Bindehauterkankungen, deswegen seien auch Augentropfen wie etwa Kanamycin knapp. Doch von den Lieferengpässen sind längst nicht nur Medikamente für Kinder betroffen: „Wir warten außerdem sehnsüchtig auf Ozempic Insulin“, sagt Ute Haghverdi. Der Mangel an Diabetesmitteln sei gefährlich. Die Umstellung der Patienten sei ein komplizierter und langwieriger Prozess, der in enger Absprache mit dem Arzt erfolgen müsse. Besonders gefährlich seien die Lieferengpässe bei Wirkstoffen, die nicht ersetzbar seien, sagt Simon Pielen. Etwa bei Digitoxinen – Wirkstoffe gegen Herzprobleme. Ein Wirkstoff, der eigentlich nicht ausgetauscht werden dürfe. Das sei aber schwierig, wenn der gebrauchte Wirkstoff nicht vorhanden sei.

Weitere fehlende Medikamente sind laut Klinkhammer Penicillin V, die Magenmedikamente Pantoprazol und Buscopan, sowie Codein-Tropfen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat eine vollständige Liste der Medikamente zusammengestellt, die von den aktuellen Lieferengpässen betroffen sind. Die Liste ist auf der Website des Instituts einzusehen und wird regelmäßig aktualisiert. (kkr)