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Überbleibsel vom KriegIm Kreis schlummern noch viele Blindgänger in der Erde

Lesezeit 5 Minuten

Die Bombenkrater sind auf dem Luftbild von Euskirchen aus dem Jahr 1945 deutlich zu erkennen. Der Bahnhof ist zerstört.

Kreis Euskirchen – Sechs Blindgänger aus dem Zweiten Weltkrieg wurden im November in Euskirchen gefunden und entschärft – einer musste gesprengt werden. Doch nach der Entschärfung ist vor der Entschärfung – der nächste Bombenfund komme bestimmt, sagt Euskirchens Bürgermeister, Sacha Reichelt.

Wie viele Bomben schlummern noch in der Erde?

Das ist nach Angaben von Silke Winter, Pressesprecherin der Stadt Euskirchen, und der Bezirksregierung Düsseldorf nicht seriös zu beantworten. 330 000 Luftbilder der Alliierten aus dem Zweiten Weltkrieg werden beim Kampfmittelbeseitigungsdienst in Düsseldorf gelagert. Die Behörde ist für die Kampfmittelräumung in den Regierungsbezirken Köln und Düsseldorf zuständig. Seit den 1970er-Jahren werden die Luftbilder ausgewertet.

Wer trägt die Kosten für eine Entschärfung?

„Die Gefahrenabwehr ist grundsätzlich Sache der örtlichen Ordnungsbehörde“, erklärt Winter. Das Land NRW unterhält zur Unterstützung der Ordnungsämter einen eigenen Kampfmittelbeseitigungsdienst (KBD). Die Kosten der Kampfmittelbeseitigung übernimmt in der Regel das Land – außer bei Bundesliegenschaften. Die Kosten, die durch eine Evakuierung oder Straßensperrungen entstehen, trägt die zuständige Ordnungsbehörde.

Perfide und heimtückisch: Bomben mit Säurezünder

Im Gegensatz zu den technisch einfacheren Aufschlagzündern sollten perfide Bomben mit einem chemisch-mechanischen Langzeitzünder, umgangssprachlich auch Säurezünder genannt, die Detonation hinauszögern. Die Verzögerung konnte wenige Minuten, aber auch mehrere Tage betragen.

Die Sprengladung sollte erst dann gezündet werden, wenn die Zivilbevölkerung wieder aus Kellern und Luftschutzbunkern herausgekommen war. Außerdem sollten diese Bomben Lösch- und Bergungsarbeiten behindern oder ganz unmöglich machen. Heutzutage stellen diese heimtückischen Kriegswaffen die Entschärfer vor zusätzliche Herausforderungen.

„Bei solchen Bomben kommt es je nachdem auf jede Minute an“, sagt Alexander Berger, Leiter der Euskirchener Feuerwehr. Er ist seit 2007 in der Kreisstadt im Dienst und habe bisher noch nicht mit einem solchen Blindgänger zu tun gehabt. Die Feuerwehr spricht bei solchen Bomben auch gerne von „bewegten Bomben“, weil sie beispielsweise von einer Baggerschaufel bewegt worden sein können. Und daraufhin der chemische Vorgang in Kraft treten kann.

Am häufigsten setzten die Alliierten Zeitzünder mit einer mit Aceton gefüllten Glasampulle und Zelluloidplättchen ein. Wenn das Glas beim Aufprall der Bombe zerbrach, begann ein chemischer Zersetzungsprozess. Konnten die Zelluloidscheiben, deren Anzahl und Dicke je nach der gewünschten Verzögerungszeit variierten, die Feder nicht mehr halten, schnellte diese mit einem Metallbolzen Richtung Sprengstoff. Um zu vermeiden, dass solche Fliegerbomben vor Ablauf der Verzögerungszeit durch Herausschrauben des Zünders entschärft werden, waren in manchen Modellen Ausbausperren eingebaut. „Wir sind auch auf solche Einsätze vorbereitet, hoffen aber, dass wir nie einen haben werden“, berichtet Experte Berger. (tom)

Im Euskirchener Haushalt seien etwa 50 000 Euro pro Jahr für Evakuierungen eingeplant, so Bürgermeister Sacha Reichelt. Davon werden beispielsweise auch die Rechnungen des Deutschen Roten Kreuzes bezahlt, das die evakuierten Menschen mit Getränken und Essen versorgt. Wird auch das Technische Hilfswerk alarmiert, beispielsweise zum Ausleuchten der Fundstelle des Blindgängers, zahlt der Bund diesen Einsatz.

Wie werden die Sammelstellen für die evakuierten Menschen ausgewählt?

„Bei Evakuierungsmaßnahmen werden grundsätzlich öffentliche Einrichtungen gewählt, die groß genug sind und nach Möglichkeit in der Nähe des Evakuierungsbereiches liegen“, erklärt Winter. Das ist in jeder Kommune im Kreis so. Dies sei jedes Mal eine Einzelfallentscheidung. Laut Reichelt kommen etwa 15 Prozent der zu evakuierenden Menschen zur Sammelstelle. Aufgrund der Corona-Pandemie sei es wichtig, dass es bei Sammelstellen die Möglichkeit gebe, Menschen, die sich Quarantäne befinden, gesondert unterzubringen. „Die Menschen werden gesondert informiert, wie sie sich zu verhalten haben“, so Reichelt.

Müssen alle Menschen evakuiert werden?

Bei Evakuierungsmaßnahmen arbeiten die verschiedenen Sachgebiete der Stadt, beispielsweise Feuerwehr, Polizei und Ordnungsamt, Hand in Hand. Es erfolgt in der Regel ein „Rausklingeln“ der betroffenen Bewohner durch die Außendienstmitarbeiter des Ordnungsamtes oder die Feuerwehr, in der Regel ergänzt durch Lautsprecherdurchsagen mit entsprechenden Fahrzeugen.

Bei der Bombenentschärfung im November kamen die evakuierten Euskirchener im City-Forum unter.

So soll sichergestellt werden, dass alle betreffenden Bürger ihre Räumlichkeiten rechtzeitig verlassen. Zusätzlich erfolgt der Hinweis übers Radio sowie die Social-Media-Kanäle von Feuerwehr und Polizei Euskirchen. „Natürlich müssen alle Personen im betreffenden Evakuierungsbereich ihre Häuser verlassen“, stellt Winter klar.

Wie wird der Evakuierungsradius festgelegt?

„Ganz grob die Faustregel: pro Kilo Sprengstoff ein Meter“, sagt Euskirchens Bürgermeister. Wird also eine 500-Kilo-Bombe gefunden, gibt es einen Evakuierungsradius von 500 Metern. Dieser Radius ist aber nicht immer kreisrund, sondern wird den Straßenzügen entsprechend angepasst. Vom Einwohnermeldeamt erhält der sogenannten Krisenstab, der offiziell eine Stabsstelle ist, umgehend die Anzahl der Menschen, die betroffen sind. Man versuche, so Reichelt, Rücksicht auf äußere Umstände zu nehmen. So sei beispielsweise grundsätzlich eine Entschärfung erst nach Schulende geplant. Der Sperrbereich gilt auch für den Luftraum. „Es muss also auch immer die Flugsicherung informiert werden“, so Reichelt.

Was geschieht nach der Entschärfung mit dem Blindgänger?

Der Blindgänger wird zunächst in ein Zwischenlager, später von dort in einen landeseigenen Entsorgungsbetrieb gebracht. Dort wird er zerlegt und der darin enthaltene Sprengstoff verbrannt. Die Verbrennung erfolgt in einer geschlossenen Verbrennungsanlage mit nachgeschalteter Rauchgasreinigung, sodass keine Schadstoffe in die Umwelt gelangen.

Faustformel: Bei einem 500-Kilo-Blindgänger beträgt der Evakuierungsradius etwa 500 Meter.

Auf welchen Gebieten liegt bei der Suche nach Blindgängern das Augenmerk?

Vorrangig werden laut der Düsseldorfer Behörde die Bereiche untersucht, in denen ein Kampfmittelverdacht besteht und in dem Baumaßnahmen beabsichtigt sind. Ob Blindgänger unter der Erde liegen, kann nach Auskunft der Bezirksregierung nur durch eine geophysikalische Auswertung mit anschließender Aufgrabung geklärt werden. Auch diese Kosten übernimmt das Land.

Wer übernimmt die Federführung?

Der einberufene „Stab Außergewöhnliche Ereignisse“, der normalerweise in der Feuerwache tagt, wird in der Regel vom 1. Beigeordneten als Ordnungsdezernenten geleitet, da die Federführung beim städtischen Ordnungsamt liegt.

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Wie viel Vorlaufzeit haben die Rettungsdienste?

„Wir werden tagesscharf alarmiert“, sagt Daniel Pöthmann, Leiter Rettungsdienst beim Deutschen Roten Kreuz (DRK). Auch bei der Feuerwehr ist das nach Angaben von Alexander Berger, Leiter der Euskirchener Feuerwehr, der Fall. Allerdings könne es sein, dass die Spitze der Feuerwehr schon einige Zeit im Vorfeld erfahre, dass es eine Verdachtsuntersuchung geben könne.

Wie übt das DRK den Evakuierungsfall?

„Bei den Katastrophenschutzübungen, die regelmäßig stattfinden“, erklärt Pöthmann. Bisher habe es im Ernstfall kaum Probleme gegeben. „Die Menschen sind dankbar. Gerade bei Älteren ist aber Fingerspitzengefühl gefragt, weil die sich an den Krieg erinnern“, sagt er: „Wir machen bei unserer Arbeit nicht an Kommunengrenzen Halt.“