50 Jahre Kommunale NeugliederungPartner mit großen Unterschieden
- Mit dem Aachen-Gesetz, das am 1. Januar 1972 in Kraft trat, wurde das Gebiet des Regierungsbezirks Aachen und des Kreises Euskirchen neu gegliedert.
- Im Zuge der kommunalen Neugliederung 1972 musste der überwiegende Teil der Verwaltung aus dem Altkreis Schleiden nach Euskirchen ziehen. Zeitzeugen erinnern sich an die Anfangszeiten.
- Mittlerweile sind 50 Jahre vergangen und die Redaktion beleuchtet in einer neuen Serie die Neugliederung – immer mit der Zukunft im Blick.
Kreis Euskirchen. – Stahl, Gummi, Textilien: Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts standen die Fließbänder im Altkreis Euskirchen fast nie still. Im Nachbarkreis Schleiden qualmten zwar auch die Schornsteine. Allerdings war die Industrie hier längst nicht auf dem gleichen Niveau wie in den Kommunen östlich der Kreisgrenze. Für das Land war das einer der Gründe für die Zusammenlegung der Kreise. Das wirtschaftsstarke Euskirchen sollte dem schwachen Schleiden auf die Beine helfen.
„Landwirtschaftlich-bäuerlich geprägt"
Eine „sehr funktionable“ Industrie. Die hatte laut Dr. Karl-Heinz Decker, dem ehemaligen Oberkreisdirektor (OKD), der Kreis Euskirchen vor der Zusammenlegung. Noch heute denkt Decker an die Arbeit zurück, die nach seiner Wahl im Jahr 1973 auf ihn und die Kreisverwaltung zukam. „Es wurden schließlich zwei völlig verschiedene Strukturen zusammengelegt“, sagt Decker. Der Raum Schleiden war landwirtschaftlich-kleinbäuerlich geprägt. „Die Landwirte mussten wegen der geringen Betriebsgröße damals schon Nebengewerbe betreiben.“
Dr. Norbert Ley, Leiter der nordrhein-westfälischen Landesplanungsbehörde, bescheinigte Schleiden gar einen „starken Rückstand gegenüber dem Landes- und Bundesdurchschnitt“. Ley bemängelte „ungünstige Grundlagen“ für die Landwirtschaft, nährstoffarme Böden etwa, die abgelegene Lage der Dörfer und die Nähe zur Staatsgrenze. Der Schluss des Volkswirts: Dies hemme nicht nur die Entwicklung auf gewerblicher Grundlage, sondern könne sie sogar zum Absterben bringen.
Tourismus in Schleiden war zunächst unterentwickelt
Zwar ging es der Landwirtschaft im Altkreis Schleiden besser als im benachbarten Monschau. Verglichen mit der Börde, war sie aber nicht konkurrenzfähig. Auch Industrie gab es nur wenig, etwa die eisenverarbeitende Industrie im Schleidener Tal und in Mechernich. Der Tourismus – noch heute für den Südkreis ein wichtiger Wirtschaftsfaktor – war zunächst unterentwickelt. Der ganze Raum Nordeifel schnitt verglichen mit anderen Teilsaison-Urlaubsregionen schlecht ab. Schon 1956 waren schlicht zu wenig Betten für zu viele Touristen vorhanden. Doch das eigentliche Sorgenkind blieb die Landwirtschaft.
„Es gab dann eine Untersuchung darüber, welche Erwerbsmöglichkeiten die landwirtschaftlichen Betriebe zukünftig haben. Das Ergebnis hat uns vom Hocker gehauen“, sagt Decker. 1500 Arbeitsplätze drohten bis in die 1980er-Jahre in der Landwirtschaft wegzufallen. „Unsere Angst war: Die Nordeifel wird sich entvölkern. Wir mussten also neue Arbeitsplätze schaffen.“
Einzige Lösung: Landwirtschaft in Industrie eingliedern
Für den jungen Kreis Euskirchen gab es nur eine Lösung: Die Landwirtschaft musste in die Industrie eingegliedert werden. „Einen anderen gewerblichen Beruf erlernen – anders ging es für die Landwirte nicht“, sagt Decker. Doch vielen Handwerks- und Industriebetrieben fehlte es an Maschinen für die Ausbildung. Der Kreis brauchte ein überbetriebliches Zentrum für die berufliche Umschulung und Ausbildung. Decker und seine Weggefährten gewannen schnell die Agentur für Arbeit, die Handwerkskammer sowie die Industrie- und Handelskammer als Partner für das Vorhaben. „Wir konnten uns so auf breite Füße stellen. Ohne diese Partner wäre unser Vorhaben zum Tode verurteilt gewesen“, erläutert Decker. 1970 entstand so das Berufsbildungszentrum Euskirchen. „Und das haben wir gegen jeden Ärger durchgesetzt.“
Deckers Plan sollte aufgehen. Einen deutlichen Wirtschaftsschub erhielt die Nordeifel nach der Kommunalen Neugliederung. Erst 1975 musste der junge Kreis einige Rückschläge verkraften. Eine ähnliche Mischung wie heute würgte damals den Aufschwung ab – Energiekrise, schlechtes Wetter, Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit. In einer Schrift der IHK Aachen von 1984 zeichnet Decker ein dramatisches Bild der Wirtschaftssituation: Von 35 Industriegruppen hätten 23 unter rückläufigen Geschäften gelitten. Zehn Gruppen hätten sogar zweistellige Einbußen verkraften müssen. Die Rezession traf vor allem die Branchen, die ihren Umsatz auf dem Binnenmarkt machten. Der Kostendruck durch die Globalisierung wirkte sich auf die Textilindustrie aus – damals noch eine der wichtigsten Industrien in Euskirchen. Mittelständische Unternehmen gaben reihenweise auf.
Unternehmergeist im neuen Kreis Euskirchen
Im Kreis zeigte sich aber auch Unternehmergeist: Die Papierindustrie in Euskirchen und Schleiden etwa reagierte, indem sie die Fertigungspalette um die Kunststoffverarbeitung erweitere. Anfang der 70er-Jahre modernisierten auch Tuch- und Chemiefaserindustrie ihre Betriebe. Das führte allerdings zu Arbeitsplatzverlusten. Im Südkreis schoss die Arbeitslosigkeit zeitweise auf 9,1 Prozent hoch.
„Später ging die Braunkohle weg, ebenso die Tuchfabriken. Von denen hatten wir früher 23“, sagt Decker. „Kurz danach folgten die Ton- und Röhrenindustrie, die Landwirtschaft war kein Wirtschaftsfaktor mehr. Das waren schwere Schläge, und sie haben die Struktur dieses Gebiets stark gebeutelt.“ Einem Trauma gleich kam der Verlust des wirtschaftsstarken Erftstadt im Jahr 1975. Erst nach Jahren erholte sich der Kreis von diesem Schlag.
Procter & Gamble schürten Hoffnung
Hoffnung nach den schweren Jahren schürte beim damaligen Oberkreisdirektor ein amerikanischer Geschäftsmann. Der war im Auftrag des Konzerns Procter & Gamble unterwegs und suchte nach einem Standort für ein neues Werk in Deutschland. „Platz hatten wir in Büllesheim auf einem Rübenacker“, sagt Decker. „Da war gar nichts. Kein Wasser, kein Strom, kein Bahnanschluss.“ Und dennoch hätten die Amerikaner zugesagt. „Wir, Landrat Rudi Blass und ich, hätten nicht gedacht, dass wir das schaffen. Es ist uns trotzdem gelungen“, sagt Decker.
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Noch heute blickt der ehemalige OKD zufrieden auf die Jahre nach der Kommunalen Neugliederung. Vieles würde er genauso machen, sagt er. „Uns ist leider nicht alles gelungen, was wir versucht haben. Aber der Kreis hat überlebt.“ Und dabei hat er mehr Krisen weggesteckt, als man ihm ursprünglich zugetraut hätte.