Kinderheim in UrftSo kümmern sich die Betreuer um schöne Weihnachtstage
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Kall-Urft – Es war ruhig während der Festtage in der Georgsgruppe des Hermann-Josef-Hauses Urft. Zehn Jungs im Alter ab 13 Jahren wohnen normalerweise dort. Doch an Weihnachten durften sie zu ihren Eltern fahren – manche nur über die Festtage, andere eine Woche lang oder einige sogar die kompletten Ferien.
„Es ist eine Frage des Prozesses“, sagt Susanne Beckschwarte. Denn für die Kinder, die die Leiterin der Einrichtung der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe betreut, sind glückliche Stunden keine Selbstverständlichkeit.
„Weihnachten ist hier fast wie überall, nur noch mehr besonders“, fasst Beckschwarte die Problematik zusammen. 80 Kinder sind es, die in Urft stationär untergebracht sind. 20 von ihnen können Weihnachten im Gegensatz zu den Kindern aus der Georgsgruppe nicht nach Hause. Sie verbringen die Feiertage im Kinderheim für Jungen.
„In diesem Jahr sind es besonders viele“, sagt Beckschwartes Stellvertreter Rainer Zimmermann. Es gebe immer mehr Kinder, deren Eltern nicht zusammen feiern könnten. In manchen Fällen würde das Jugendamt auch die Zustimmung verweigern. „Weihnachten ist das Fest der Sehnsucht, und die Kinder beschäftigen sich intensiv damit, ob sie nach Hause kommen oder nicht“, erzählt Beckschwarte.
Es ist Beckschwarte und Zimmermann anzusehen, dass sie das Schicksal ihrer Schützlinge nicht kalt lässt. Das Hermann-Josef-Haus in Urft arbeitet überwiegend im Intensivbereich. Oft ist es schon die zweite oder dritte Adresse, an der die Kinder betreut werden, oder sie kommen direkt aus der Psychiatrie. Die Kinder seien hochbelastet, berichten die beiden.
„Sie haben nie erlebt, dass Erwachsene einfach da sind“, so Beckschwarte. Sie hätten auch nie gewusst, ob es ein Mittagessen gibt, ob jemand abends nach Hause kommt oder ob Gewalt und Streit ausbrechen. „Es ist die ganze Bandbreite von Verunsicherung, eine Willkür im Erleben“, beschreibt Beckschwarte die Vorgeschichte der Kinder.
Die Belastung der Gesellschaft ist den Kindern anzumerken
Oft seien die Eltern selbst belastet. Deshalb habe die gemeinsame Arbeit mit ihnen einen hohen Stellenwert. Es gibt Wohnungen auf dem Gelände, in denen die Eltern mit den Gruppen leben können. Zehn Gruppen gibt es in Urft, in denen teilweise eine Eins-zu-eins-Betreuung stattfindet.
„Die Emotionen und Impulsivität sind schon eine Herausforderung“, räumt Beckschwarte ein. „Die Belastung in den Familien ist den Kindern anzumerken“, fügt Zimmermann hinzu. Umso intensiver wird Weihnachten in den einzelnen Gruppen gestaltet. „Wir haben das schon im Oktober in der Gruppe besprochen“, erzählt Corinna Es Sebti. Mit Simon Wawer und Melina Thiel gehört sie zum Betreuerteam der Georgsgruppe. „Wir versuchen, Weihnachten so schön wie möglich zu gestalten“, sagt sie. Ihre Schützlinge holten sich „die ganze emotionale Versorgung ab.“ Das gemeinsame Erleben steht im Mittelpunkt der Adventszeit. Jede Gruppe hat einen Adventskalender, und jeder Junge ist der Reihe nach dran, einen der kleinen Säcke zu öffnen. Mal ist dort ein Stück Schokolade, mal ein ideelles Geschenk zu finden – etwa Zeit mit einem Betreuer oder ein Gutschein für eine besondere Gruppenaktivität.
Bevor die Ferien beginnen, steht eine große gemeinsame Weihnachtsfeier mit dem Jugendseelsorger Hardy Hawinkels auf dem Programm. Dann treffen sich die Gruppen zu ihren eigenen Weihnachtsfeiern. Hier können die Kinder einladen, wen sie wollen. „Wir hatten rund 25 Leute hier. Es war eine richtig große Feier“, erinnert sich Wawer. Der große Gruppenraum sei umgeräumt worden, damit alle Platz finden konnten. Charly Frings, Koch aus Satzvey, habe, wie schon seit einigen Jahren, für das Essen gesorgt. Und es habe natürlich auch Geschenke gegeben.
Aufenthalt zu Hause soll gelingen
Doch der Höhepunkt, da sind sich Marcel und Daniel (Namen geändert) einig, sei das Geschenk für die Gruppe gewesen: eine neue Playstation. Den beiden 13 Jahre alten Jungen steht die Vorfreude auf Weihnachten ins Gesicht geschrieben.
Wie lange jeder von ihnen zu den Eltern darf, wird individuell vereinbart. Die Dosierung sei wichtig, erläutert Beckschwarte. Die Kinder sollten erfahren, dass es schöne Momente gebe und nicht immer alles schief laufe. Auch Daniel hat in seiner Zeit vor dem Aufenthalt in Urft schon schlechte Erfahrungen in seinem jungen Leben gemacht. Er lebt bereits seit mehreren Jahren in Urft. Doch wie ist es, Weihnachten im Hermann-Josef-Haus zu feiern? „Doof“, entfährt es ihm spontan, bevor er sich sofort korrigiert. Denn damit meine er natürlich nicht die Art, wie die Betreuer den Heiligabend gestalten und mit den Kindern gemeinsam feiern würden. Doch Zuhause sei es einfach besser.
Aber das sei keine Selbstverständlichkeit, erzählen die erfahrenen Betreuer. Sie standen auch während der Festtage als Ansprechpartner zur Verfügung, falls es Probleme gab. Vor allem erforderte es viel Vorarbeit, berichtet Wawer. „Wir besprechen mit den Eltern, wann die Kinder ins Bett sollen und welche Medien sie nutzen dürfen“, sagt er. Ziel sei gewesen, dass der Aufenthalt zu Hause gelinge.
Kinder helfen sich gegenseitig
Es sei auch kein Nachteil, im Heim zu bleiben. „Die Kinder unterstützen sich gegenseitig und können auch gönnen“, hat Wawer beobachtet. Heiligabend wurde mit dem Nachwuchs gefeiert. Dabei gab es ein Extra-Geschenk für jeden. Manche erlebten Heiligabend zum ersten Mal in Urft, andere kennen das System. „Eigentlich ist es nie ein großes Thema, tiefe Emotionen gibt es eher bei den Jüngeren“, erzählt er.
Für die Betreuer ist das ein Spagat, gibt Beckschwarte zu. „Wir haben ja auch Familie und Kinder“, sagt sie. Um Geschenke für die Kinder aus dem Hermann-Josef-Haus zu besorgen, seien sie halt „doppelt shoppen“ gegangen, schmunzelt sie. Klar, dass während der Weihnachtstage auch weitere Betreuer in Bereitschaft gestanden hätten.
Dienstschluss gebe es an diesen Tagen nicht, das ist Heimleiterin Susanne Beckschwarte und Rainer Zimmermann klar.
Bürgerschaftliches Engagement
Das Hermann-Josef-Haus Urft betreut rund 230 Kinder und Jugendliche in mehreren Gruppen an mehreren Standorten. 80 von ihnen sind in Urft untergebracht. Zudem gibt es externe Gruppen und Tagesgruppen.
Auch in der Familienbetreuung ist die Einrichtung aktiv und besucht Familien vor Ort, um sie zu unterstützen. Rund 25 Externe besuchen die Förderschule der Einrichtung.
200 Mitarbeiter arbeiten auf 160 Vollzeitstellen. Darunter sind auch Handwerker. Die Weihnachtsfeiern zu finanzieren, betont Heimleiterin Susanne Beckschwarte, ist nur mit finanzieller Unterstützung vieler Menschen von außen möglich.
„Das Jugendamt trägt die Betreuungskosten, aber keine besonderen Projekte und Förderangebote“, bedauert sie. So bekommen die Kinder aus dem Hermann-Josef-Haus in Urft seit neun Jahren von den Mitarbeitern von Procter und Gamble in Euskirchen je ein Weihnachtsgeschenk.
Der Besuch von Sportvereinen, individueller Musikunterricht oder andere Freizeit- und Bildungsangebote seien ohne bürgerschaftliches Engagement nicht möglich. „Es ist uns wichtig, dass wir Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen“, so Beckschwarte. (sev)