Kall und MechernichStudie weist erhöhte Bleiwerte bei Kindern und Jugendlichen nach
Kall/Mechernich – Die Bleibelastung im Blut von Kindern und Jugendlichen im Raum Mechernich und Kall ist erhöht. Das ist das zentrale Ergebnis einer in diesem Juli vom Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin des Universitätsklinikums Aachen durchgeführten Studie. Das Ergebnis der Studie hat der Kreis Euskirchen nun bekanntgegeben.
Bleikonzentration war bei rund 17 Prozent zu hoch
Demnach lag die Bleikonzentration bei 32 Teilnehmenden (17,6 Prozent) über den entsprechenden Referenzwerten, die abhängig von Alter und Geschlecht festgelegt sind. So wurde der Referenzwert in Mechernich bei Kindern zwischen drei und zehn Jahren um 15,8 Prozent, bei Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren um 21,6 Prozent überschritten.
In Kall liegt bei Kindern zwischen drei und zehn Jahren bei 16,7 Prozent der untersuchten Kindern ein erhöhter Wert vor. 8,6 Prozent der untersuchten Elf- bis 17-Jährigen in Kall haben ebenfalls einen erhöhten Bleiwert im Blut.
Nach Angaben des Kreises nahmen an der repräsentativen Stichprobe der Universitätsklinik 182 Kindern und Jugendlichen aus Mechernich und Kall teil. Sie stammen laut Kreis aus nahezu allen Ortsteilen von Mechernich und Kall, unabhängig von der jeweiligen Bleibelastung der Böden.
Rückmeldungen zur Studien-Teilnahme waren verhalten
Angeschrieben hatte der Kreis 1182 Kinder und Jugendliche. „Das allgemeine Interesse anscheinend ist anscheinend nicht so groß “, sagt Christian Ramolla, Leiter des Kreis-Gesundheitsamtes: „Wir waren überrascht, dass die Rückmeldung so überschaubar ist.“ Letztlich sei man aber zu einem „aussagekräftigen Ergebnis“ gekommen, so Ramolla.
Laut Ramolla sind in Bevölkerung Referenzwertüberschreitungen in Höhe von fünf Prozent normal. Die repräsentative Stichprobe zeigt aber: Es wurden mehr als dreimal häufiger als erwartet Überschreitungen des Referenzwertes festgestellt.
Mehrbelastung durch Blei eindeutig nachgewiesen
Damit sei eine Mehrbelastung von Kindern und Jugendlichen in der Region des ehemaligen Bergbaugebietes nachgewiesen, so der Chef des Gesundheitsamts: „Die repräsentative Untersuchung ist ein weiterer wichtiger Schritt, damit die Menschen in Mechernich und Kall sich des Risikos durch Bleirückstände im Boden bewusst sind.“
Blei-Abbau
Zwischen Kall und Mechernich befindet sich die größte Bleierzlagerstätte Europas. Dort wurde jahrhundertelang unterirdisch als auch im Tagebau Blei abgebaut und verhüttet.
Die Hinterlassenschaften des Bergbaus und das Vorhandensein der Erzlagerstätte sorgen in dem Gebiet für einen hohen Bleigehalt im Boden. Stellenweise werden Belastungen von mehr als 10.000 Milligramm pro Kilogramm Erde gemessen. Unbelastete Böden haben zum Vergleich einen Bleigehalt von weniger als 70 Milligramm pro Kilogramm.
Blei kann über die Nahrung, durch das Einatmen von Staub und von spielenden Kleinkindern auch über den Mund aufgenommen werden. Eine Anreicherung des Stoffes im Körper kann zu gesundheitlichen Schäden führen. (wki)
Mechernichs Bürgermeister, Dr. Hans Peter Schick, zeigt sich im Gespräch nicht sonderlich überrascht. Die Ergebnisse seien auch der Mechernicher Bergbau-Vergangenheit geschuldet. Verharmlosen will der Verwaltungschef die Ergebnisse aber auf keinen Fall. „Wir müssen Aufklärungsarbeit leisten. Zweifelsfrei müssen wir die Vorsorge intensivieren“, so Schick: „Wir müssen die Gefahren des Bleis früher und besser an die Menschen heranbringen.“
70 Prozent der Mechernicher leben auf bleibelastetem Boden
Die Gefahr minimieren lasse sich aber nur, wenn man den gesamten Boden in und um Mechernich austauschen würde. Schick geht davon aus, dass etwa 70 Prozent der Mechernicher Bevölkerung auf bleibelastetem Boden leben.
Welche Schlüsse kurzfristig aus der Untersuchung gezogen werden, ließ Ramolla im Gespräch mit dieser Zeitung offen. Man stehe im engen Austausch mit den betroffenen Kommunen sowie den Arbeitskreis Umweltmedizin der Ärztekammer Nordrhein und Professort Thomas Kraus, der der Untersuchung intensiv begleitet habe.
Mittelfristig beabsichtigt der Kreis auch interessierten Einwohnern von Mechernich und Kall, die nicht an der Untersuchung teilgenommen haben, eine umweltmedizinische Sprechstunde anzubieten.
Kinder und Familien sollen über Gegenmaßnahmen informiert werden
Darüber hinaus laufen Planungen, einen pädagogischen Präventionsansatz in Quartieren, Kindertagesstätten und Schulen zu etablieren. „Unser Ziel ist es, Kinder und Familien schon in jungen Jahren darüber zu informieren, wie eine Bleiaufnahme in den Körper vermieden werden kann“, so Ramolla.
Durch die Studie wisse man nun, dass „einem das Blei nicht zufliegt“. Man habe meist eine Ursache für die erhöhten Werte identifizieren können: der direkte Kontakt mit bleibelasteten Erde. Dieser könne, so Ramolla, beispielsweise entstehen, indem man die im Garten geernteten Erdbeeren ohne ein vorheriges Abwaschen esse – oder Kleinkinder, die den berühmten Sandkuchen in den Mund nehmen.
In einem Fall werde noch untersucht, ob der Kontakt zu möglicherweise bleihaltiger Munition als Grund für die erhöhten Werte infrage komme. Der Teilnehmer sei in einem Schützenverein, so Ramolla.
„Die Menschen sind durch Corona sensibilisiert, sich nicht ständig ins Gesicht zu fassen. Das müssen wir nutzen, um auf diese Art auch für Blei zu sensibilisieren“, sagt der Chef des Gesundheitsamts.
Betroffene Studienteilnehmer und Familien erhalten Beratung
Die jetzt veröffentlichten Befunde gehen dem Kreis zufolge den einzelnen Erziehungsberechtigten und den jugendlichen Teilnehmern derzeit per Post zu. Ihnen werde eine individuelle umweltmedizinische Beratung angeboten, die auch für Familienmitglieder gelte. Dazu gehöre auch eine erneute Untersuchung der Blutwerte. „Wir stellen allen Familienangehörigen eine Untersuchung frei. Das ist auch ein Ergebnis der Zusammenarbeit mit einer Ethikkommission“, erklärt Ramolla.
Nach teils heftigen Diskussionen in und Kritik aus der Bevölkerung sind Stadt, Kreis und Land in den vergangenen zweieinhalb Jahren tätig geworden: Böden wurden untersucht, Gutachten erstellt, Grundstückseigentümer aufgeklärt und Spielplätze saniert. Allein in Kall sind nach Angaben des Bürgermeisters, Hermann-Josef Esser, 16 der 36 untersuchten Flächen mit mehr als 1000 Milligramm Blei pro Kilogramm Boden belastest.
Bodensanierungen in Kindergärten sollen zum Jahresende starten
Damit gehören die unter die Lupe genommen Flächen an Spielplätzen sowie Kindergärten und Schulstandorten zur Prioritätsgruppe 3. Das bedeutet, dass dort innerhalb eines Jahres Maßnahmen ergriffen werden müssen. Nur bei neun Anlagen gibt es keinen Handlungsbedarf. Der Grenzwert für Spielflächen liegt bei 200 Milligramm.
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Die am stärksten belasteten der 63 Spielplätze im Mechernicher Stadtgebiet sind laut Schick schon saniert worden. Er rechnet damit, dass die Sanierungen der Kindergartenareale Ende des Jahres durch eine Fachfirma beginnen können.