Nach der Trennung von Geschäftsführer Frank Poschen hält Schoeller an den Standort-Plänen und Millionen-Investitionen in Hellenthal fest.
WirtschaftHellenthaler Rohrhersteller Schoeller investiert dieses Jahr 40 Millionen Euro
Es war ein echter Paukenschlag im November. Der langjährige Schoeller-Geschäftsführer Frank Poschen schied mit sofortiger Wirkung aus der Unternehmensleitung aus. „Unterschiedliche Auffassungen in der Ausrichtung der Unternehmenspolitik und der Führung des Unternehmens“, nannte der Beirat als Gründe. Darüber hinaus möchte sich auch Alexander Mertens nicht äußern. Er war seit 2022 mit Poschen Geschäftsführer. Nun verantwortet er die Geschicke des Unternehmens.
Gerüchte haben die Runde gemacht, was denn nun alles in Gefahr sein könnte. Dem tritt Mertens entschieden entgegen: Das Schiff Schoeller bleibt auf dem eingeschlagenen Kurs bei der Standortentwicklung: „Das habe ich mit erarbeitet. Davon bin ich überzeugt. Das werden wir in kompletter Konsequenz fortführen.“
Der Standort Thüringen wird das „Schnellboot“ von Schoeller
Bei den maritimen Vokabeln bleibt Mertens, wenn er über die Schoeller Feinrohr in Neuhaus am Rennweg spricht, die die Hellenthaler 2019 übernommen haben. Neuhaus spiele weiterhin eine Rolle in der Schoeller-Gruppe. Der genaue Zuschnitt und die Zusammenarbeit mit Hellenthal werden aktuell erarbeitet. „Neuhaus wird eher als ,Schnellboot' mit Fokus auf manuelle Arbeiten und kleinere, spezielle Aufträge agieren.“ Im Gegensatz dazu bezeichnet er Hellenthal als den Serientanker für die großen Aufträge.
Für Sorgen und Frust bei der Belegschaft hatte 2020 die Ankündigung gesorgt, einen Teil der Produktion nach Thüringen zu verlagern, wodurch in Hellenthal 180 Mitarbeiter entlassen worden wären. Die Kehrtwende kam im Frühjahr 2022: Die neue Produktionsstätte in Neuhaus wird nicht gebaut, die Arbeitsplätze bleiben in Hellenthal. Hat das Bestand? Ja, sagt Mertens: „Die Verlagerung im damals geplanten Umfang war und ist vom Tisch. Das ist kein Thema mehr.“
Das Unternehmen will ab 2035 klimaneutral produzieren
Die Ziele sind ambitioniert: Bis 2030 werden die CO2-Emissionen um 40 Prozent gesenkt, ab 2035 wird bei Schoeller CO2- und damit klimaneutral produziert. Auch daran wird nicht gerüttelt, sagt Mertens, da es „realistisch und wirtschaftlich“ sei. 17 Millionen Euro hat Schoeller 2023 investiert – viel davon ist bereits in die Energieeffizienz geflossen.
Künftig will Schoeller seinen eigenen Wasserstoff produzieren und einen Wasserstoff-Hub bauen. Eine entscheidende Rolle wird der Strom aus Windkraft spielen: „Fest steht, dass wir den elektrischen Energiebedarf künftig komplett mit erneuerbarer Energie decken werden. Geplant ist eine direkte Anbindung über das Umspannwerk in Wollenberg an regionale Windkraftanlagen. Der finale Anbieter steht jedoch noch nicht fest.“ Auch sind die Zeitpunkte nicht genau fixiert.
Am Standort Hellenthal werden viele Millionen investiert
„Wir haben 2024 ein großes Programm vor, mit Investitionen von bis zu 40 Millionen Euro“, kündigt Mertens an. Der Fokus liegt auf den Anlagen. 35 sind in den Werkhallen bereits demontiert, dadurch etwa 4000 Quadratmeter Platz geschaffen. Der wieder gefüllt wird. 85 Meter lange Laserschweißanlagen sind im Aufbau und sollen ab Mitte des Jahres in Betrieb gehen.
Und dann kommt die XL-Laserschweißmaschine: 94 Meter wird sie lang sein, Platz brauchen wie zwei „normale“ Anlagen. 74 Seiten umfasst das Lastenheft für den italienischen Hersteller. Kosten wird das einen Betrag im oberen einstelligen Millionenbereich, so Mertens: „Das ist die größte Einzelinvestition, die wir jemals getätigt haben.“ Mit dem Großrohr-Laser, der Ende des Jahres betriebsbereit sein soll, werden Rohre im Durchmessern von 65 bis 127 Millimetern geschweißt – und das viermal schneller als die heutigen WIG-Maschinen.
Entlassungen sind kein Thema bei den Hellenthalern
Der Automatisierungsgrad wird erhöht. „Doch auch das hat Grenzen. Die Anlagen haben beispielsweise enorm viele Prüfsysteme und müssen entsprechend überwacht werden“, so Mertens. Dennoch: Im Vergleich zu bisherigen Anlagen kommen die neuen mit der Hälfte des Personals aus.
Also doch Entlassungen? Ein klares Nein. „Insgesamt planen wir mit 30 Prozent weniger Anlagen und 20 Prozent weniger Personal in der Fertigung im Zielbild. Das sind etwa 70 Mitarbeiter weniger.“ Er betont, dass die Standortentwicklung über die kommenden Jahre und nicht von heute auf morgen umgesetzt werde, und in dem Zeitraum eine vergleichbare Zahl an Mitarbeitern in Ruhestand gehe. Die Reduzierung geschehe durch natürliche Fluktuation.
Der Fachkräftemangel macht auch vor den Werktoren von Schoeller nicht halt. Hochspezialisierte Ingenieure etwa sind nicht so leicht vom Standort Hellenthal zu überzeugen. Also sucht auch Schoeller das Heil in der Ausbildung. Rund 30 junge Leute lernen kontinuierlich verschiedene Berufe – Fachkräfte für Lagerlogistik kommen in diesem Jahr neu dazu. Unter den Azubis sind stets zehn bis zwölf, die ein duales Studium absolvieren. „Das wird immer beliebter“, sagt Mertens: „Gerade durch die hohen Praxisanteile mit der Kombination aus drei Monaten im Betrieb und drei Monaten an der Uni im Wechsel.“
Arbeiten möchte Mertens an der Führungskultur. „Wir brauchen jeden einzelnen Mitarbeiter, um erfolgreich zu sein. Und das müssen die Mitarbeiter auch spüren.“ Daher sollen sie etwa verstärkt in die Prozesse eingebunden werden.
2023 hat Schoeller 64,5 Millionen Meter Rohre produziert
„Mit 240 Millionen Euro Umsatz und 64,5 Millionen Meter geschweißter Rohre haben wir das Ziel für 2023 erreicht. Insgesamt schließen wir mit einem zufriedenstellenden Ergebnis ab“, sagt Mertens. „Richtig gepikst“ worden sei Schoeller 2023 durch die Legierungszuschläge, die durch Preisschwankungen an den Rohstoffbörsen, etwa für Nickel und Molybdän, auftreten.
Mit 65,7 Millionen Meter Rohre, die das Werk verlassen, wird für 2024 ein ähnliches Volumen angestrebt. „Die Auftragsbücher fürs erste Halbjahr 2024 sind gut gefüllt“, so Mertens. Kurzarbeit, wie kurzfristig im Juni 2023, ist derzeit kein Thema.
Geschäftsführer Mertens: „2023 war ein starkes Autojahr“
Die schwächelnde Baubranche hat sich auch bei Schoeller bemerkbar gemacht. Ausgeglichen wurde das durch Zuwächse im Bereich Wärmetauscher und Medizintechnik. Im Bereich On- und Offshore für Erdöl und -gas spricht Mertens von einem Rekordjahr.
Lange war die Automobilindustrie der wichtigste Markt für Schoeller. Die Abhängigkeit wurde reduziert, mit rund 40 Prozent des Umsatzes ist sie aber weiterhin wichtig. „2023 war ein starkes Autojahr“, sagt Mertens: „Selbst im Bereich der Glühkerzen für den totgesagten Diesel lagen wir über dem Plan.“ Bis etwa 2030 geht er von stabilen Zahlen in diesem Segment aus. Auch sieht man in Hellenthal bei Wasserstofftechnik Potenzial. Mertens: „Ich glaube nicht, dass da das letzte Wort schon gesprochen ist.“
Der Geschäftsführer
Geschäftsführer Alexander Mertens ist 44 Jahre alt. Er lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Kall. Mertens ist ein echtes Schoeller-Eigengewächs: Seit 2001 ist er bereits bei dem Hellenthaler Unternehmen.
Nach der Ausbildung zum Industriekaufmann war seine erste Station im Vertrieb als Disponent. Parallel zum Beruf absolvierte er sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Rheinischen Fachhochschule in Köln. 2005 folgte für Mertens die Stelle als Personalreferent, nach dem Ruhestand des Leiters der Abteilung war er Personalleiter. „Die Personalleitung war für mich eine persönliche Herzensangelegenheit, da mein Vater Anfang der 90er Jahre bis zu seinem krankheitsbedingten Ausscheiden ebenfalls diese Abteilung bei Schoeller geleitet hat. Wobei ich selbst mich nie als den klassischen Personaler gefühlt habe. Vielmehr ist mir der Kontakt zu den Menschen und das Arbeiten an Strukturen wichtig“, sagt Mertens.
Die Arbeit an Strukturen wurde ab 2016 intensiviert, als er Leiter des Auftragsmanagements wurde und im Zuge der Einführung eines neuen ERP-Systems einen komplett neuen Fachbereich aufbaute. Mit dem Einstieg in die erweiterte Geschäftsführung 2020 folgten sukzessive weitere Aufgaben, seit 2022 war er gemeinsam mit Frank Poschen Geschäftsführer.
Die Chefetage
Ein Management-Board lenkt nun maßgeblich die Geschicke der Schoeller-Gruppe. Neben Mertens zählen dazu Michael Gottschalk (Geschäftsführer der ID-Ingenieure und Dienstleistungen in Euskirchen, seit 2017 Schoeller-Tochter) und Ralf Holler (Geschäftsführer der Schoeller Feinrohr in Thüringen).
In Hellenthal sind sechs Führungskräfte der obersten Ebene bis auf Weiteres gemeinsam mit Mertens maßgeblich für den Standort verantwortlich. Für die Bereiche Vertrieb und Einkauf ist es Roland Mertens, für Operations (Auftragsmanagement, Qualität und Produktion) Michel Büser, für Finanzen und Controlling Michael Nepute, für Personal und IT Stefan Mager, für Produkt und Prozess (Industrial Engineering, Produktmanagement und -entwicklung) Christian Roder und für die Technik und somit die Anlagen am Standort Hellenthal Johannes Heun.