Rätselhafte ApparateIm alten Bahnhof in Euskirchen sind „freie Maschinen“ zu sehen
Euskirchen-Großbüllesheim – Im Arbeitszimmer von Felix Scharstein klappern die Getriebe wie in Zeiten der frühen industriellen Revolution. Am lautesten rasselt eine merkwürdige Maschine, die an frühe Webstühle erinnert: Lederriemen drehen massive Spulen an, obenauf tanzen bunte Quasten in gelb, blau, dunkel- und hellgrün. Sie erinnern an das Garn, das in Nähmaschinen eingesetzt wird.
Aber diese Maschine, die „Spinning Jenny“, näht nicht wie eine Nähmaschine, sie webt auch nicht wie ein Webstuhl. Die „Spinning Jenny“ stellt überhaupt nichts her: Keine Wolle, keine Kleidung. Nur Bewegungen und Geräusche: Drehen, Klappern und Rattern. Der Künstler Felix Scharstein nennt seine „Spinning Jenny“ trotzdem eine Maschine und im Raum steht die Frage: Was macht eine Maschine eigentlich aus?
„Für mich steht zunächst einmal die Faszination für mechanische Funktion im Vordergrund“, sagt Scharstein. Dass die Maschinen dabei einen bestimmten Zweck erfüllten, sei für ihn zweitrangig.
„Früher habe ich hauptsächlich Exponate für Museen gebaut“, erklärt der gelernte Feinmechaniker. An sein erstes Modell erinnert er sich noch gut: „Es war ein einfacher Nachbau einer Dampfmaschine. Die steht heute noch im Industriemuseum in Kuchenheim.“ Auf diese Dampfmaschine folgten in den vergangenen 20 Jahren unzählige weitere Kunstmaschinen für Museen. Bei diesen Exponaten gehe es oft darum, technische Zusammenhänge sichtbar zu machen, so Scharstein. Man solle eben ganz genau sehen können, wie die Maschine funktioniert, erklärt der Künstler.
„Maschinen und die Bewegungen und Veränderungen, die diese mit sich bringen, haben mich immer interessiert“, sagt Scharstein. In Zukunft wolle er aber mehr Kunstobjekte entwickeln, weniger Exponate für Museen. Er wolle mehr selbst- und weniger nachbauen.
Kinetische Kunst
Seine schwingenden, ratternden und drehenden Objekte nennt der 56-Jährige „Freie Maschinen“. Seine Kunstform steht in einer Tradition, die die Bewegung der Objekte in den Mittelpunkt rückt: die kinetische Kunst.
„Als ich ein Kind war, fand ich besonders den Künstler Jean Tinguely gut“, sagt Scharstein: Ein Schweizer Künstler, der durch seine beweglichen, maschinenähnlichen Objekte bekannt wurde. Scharstein öffnet einen Bildband mit Fotografien von Tinguelys Gegenständen, blättert durch das Buch und bleibt bei einer großen Maschine stehen, die aus bunten Zahnrädern unterschiedlicher Größe besteht. Jedes Zahnrad ist anders, der Blick verliert sich in dem Objekt.
Fraktale Geometrie
„Das ist mir aber zu chaotisch“, sagt Scharstein. Das besondere an seinen Maschinen sei nämlich, dass sie eben nicht unaufgeräumt, sondern in geometrischer Regelhaftigkeit angeordnet seien. Die Ordnung, die hinter den meisten seiner Maschinen stehe, nenne man „fraktale Geometrie“.
Das mag zwar kompliziert klingen, aber: „Das Prinzip ist ganz einfach“, sagt er. Wenn man sich zum Beispiel einen Romanesco-Kohl ansehe, dann fiele einem schnell auf, dass die kleinen Romanesco-Röschen genauso aussehen, wie das ganze Gemüse. Das gleiche gelte für den Farn: Sehe man sich die einzelnen Fragmente der Blätter an, sehen diese im Kleinen genauso aus, wie der ganze, große Farn.
„Diese Dinge sind sich selbst ähnlich“, erklärt der Künstler. Das Kleine spiegle das Große und umgekehrt. Und darum ginge es auch in seinen Maschinen. Er nehme dieselbe geometrische Form und vergrößere oder verkleinere sie. Aus diesen geometrisch selbstähnlichen Einheiten entstehen dann die fraktalen Maschinen.
Natur und Technik
Plötzlich ruckelt es an der Wand. Der Rollhalm beginnt sich zu öffnen. Der Rollhalm, das ist ein metallischer Tentakel. Eine Hebelkonstruktion, zunächst eingerollt wie eine Schnecke, fährt sich nun aus. Der Tentakel richtet sich auf wie eine Lanze, er präsentiert seine Dornen.
In seinem Transformationsprozess ist der Rollhalm halb Wesen, halb Maschine. Nicht ganz ein Organ, nicht ganz ein Gerät. Und darum geht es Scharstein auch in seinen selbstähnlichen Maschinen. Die Formensprache der Natur wird mit den Technikaspekten der Maschinen verbunden. Vermeintliche Gegensätze würden so aufgelöst, erklärt der Künstler.
Und es funktioniert: Bei der ausgiebigen Betrachtung der Maschinen aus Blech und Eisen werden diese zu natürlichen Lebewesen: „Dieses Signal hier nenne ich liebevoll den Shrimp“, sagt Scharstein. „Weil es zusammengerollt aussieht wie ein kleines rotes Krebschen.“ Ausgerollt und aufgerichtet wird der Krebs zum roten Wimpel.
Das könnte Sie auch interessieren:
Eine andere Maschine aus der Reihe der Signale steht in Scharsteins Garten am alten Bahnhof in Großbüllesheim und zeigt in Richtung der Schienen. Scharstein hat es dort platziert für Vorbeifahrende. Die Idee, dass Zugreisende auf ihrem Weg ein rätselhaftes Signal entdeckten, gefalle ihm. Und weil Kunst gezeigt, ausgestellt und angesehen werden möchte – ganz so wie das Signal an den Schienen – hatte Felix Scharstein die Idee, die Menschen aus der Nachbarschaft und der Umgebung zu seiner Gartenausstellung Ende Oktober einzuladen.
Am Samstag, 29. Oktober, von 12 bis 18 Uhr stellt der Künstler Felix Scharstein seine Kunstobjekte im Garten des alten Bahnhofs in Großbüllesheim aus. Die Adresse: Großbüllesheimer Straße 71, Euskirchen. Der Eintritt ist frei.