Fahrradwallfahrt74-Jähriger pilgert mit dem Pedelec von Euskirchen nach Frankreich
Euskirchen – Nicht zuletzt durch Hape Kerkelings Buch „Ich bin dann mal weg“ hat das Pilgern einen neuen Aufschwung erlebt. Davon ist auch Gerd Weinand überzeugt, der sich seit 13 Jahren regelmäßig auf Pilgerreise begibt. Zum ersten Mal hat der Euskirchener aber seinen Weg auf dem Rad zurückgelegt – eine ungewöhnliche Art der Wallfahrt. „Früher habe ich immer gesagt: Pilgern auf dem Fahrrad, das geht nicht. Nach einem Pilgertag müssen einem die Füße wehtun. Aber dann habe ich gemerkt: Es reicht auch, wenn einem der Po wehtut“, sagt er und lacht.
Erst kürzlich ist er von seiner Fahrradreise zurückgekehrt. Elf Tage lang sei es von Euskirchen aus bis ins französische Taizé gegangen, einen bekannten Pilgerort vor allem für junge Menschen, sagt Weinand. Täglich habe er zwischen 80 und 100 Kilometern auf dem Rad zurückgelegt, und das mit 74 Jahren. „Man muss fit bleiben“, sagt er und verrät: „Und das Wichtigste ist, jeden Tag positiv zu bleiben.“
Zur Ruhe kommen
Warum er sich solche Strecken zumutet? „Auf den Pilgerreisen kommt man zur Ruhe. Man ist den ganzen Tag allein, man kann viel nachdenken und vieles aufarbeiten, was unterschwellig noch in einem schwelt. Und ich bin ein gläubiger Mensch, natürlich suche ich auch das Gespräch zu Gott“, erklärt er seine Motivation.
Vor allem zu Fuß habe er sich während seiner vergangenen Reisen dennoch ab und zu gefragt: Warum tue ich mir das an? „Wenn man wandert und irgendwo da hinten den Kirchturm im nächsten Ort sieht und einem dann bewusst wird, dass es noch eine Stunde dauert, bis man da ankommt, das ist schon anstrengend“, erinnert er sich: „Aber auf dem Rad ist das kein Problem. Da legt man die gleiche Strecke teils in zehn, zwanzig Minuten zurück.“
Grab besucht
„Ich habe einen sehr engen Freund gehabt, der 2018 verstorben ist. Er war regelmäßig in Taizé und hat vor seinem Tod gesagt, er möchte mit Blick auf Taizé beerdigt werden. Und das hat er tatsächlich geschafft“, erinnert sich Fahrradpilger Gerd Weinand.
Bereits einige Zeit vor seinem Tod habe der Freund ein Grab gepachtet mit Blick auf den Ort, wo er dann auch beerdigt worden sei. „Auf einer meiner Reisen habe ich natürlich dort Halt gemacht und das Grab besucht“, erinnert sich Weinand. (enp)
Das sei aber nicht der Grund gewesen, warum er sich bei seiner jüngsten Tour aufs Rad gesetzt habe, sondern eine Operation an der Hüfte. „Da musste ich dann umdenken. Aber das Pedelec ist eine gute Alternative“, sagt er. Denn ein wenig Unterstützung beim Strampeln bekomme er durch den Elektro-Motor seines Fahrrads. Nach wie vor halte er das Pilgern zu Fuß für ein intensiveres Erlebnis: „Wenn man geht, dann bemerkt man jede Blume am Wegesrand und kann die Natur noch eingehender wahrnehmen. Auf dem Rad rauscht vieles auch an einem vorbei.“ Wer etwa gesundheitliche Probleme beim Gehen habe, für den sei die Reise auf dem Rad oder Pedelec aber zu empfehlen, so Weinand weiter.
Nur das Nötigste im Gepäck
Auf seine Pilgerfahrten nehme er nur das Nötigste mit. „Eigentlich das, was man am Körper trägt, nur zweimal“, erklärt er. Abends müsse man dann natürlich beinahe täglich waschen. Aber möglichst wenig und leichtes Gepäck erleichtere die Reise ungemein. Auch empfiehlt er, die Pilgerfahrt im Voraus zu planen: „Ich benutze die App Komoot zur Routenplanung. Da teile ich mir dann die Tagesrouten ein, und darauf basierend buche ich meine Unterkünfte“, sagt Weinand.
Wichtig und praktisch sei zudem, ein Smartphone mitzunehmen. Es gebe zwar immer noch Leute, die überzeugt seien, dass Handys auf einer Pilgerfahrt nichts verloren haben, doch im Notfall könnten sie Leben retten, wenn man sich etwa verletzt habe. Immerhin sei man die meiste Zeit allein unterwegs.
Reisen durch ganz Europa
Seit 2009 hat der 74-Jährige zahlreiche Erfahrungen auf seinen Wanderungen gesammelt und kann einige Anekdoten zum Besten geben. „2009 habe ich mit dem Klassiker angefangen, dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Danach hat mich das Pilgerfieber gepackt“, erinnert er sich. Bereits zahlreiche Länder habe er zu Fuß bereist, unter anderem sei er durch Italien und Norwegen gewandert.
Eine Begegnung sei ihm dabei besonders in Erinnerung geblieben: „Einmal habe ich auf meinem Weg eine Frau bemerkt, die immer schwarze Kleidung getragen und mit niemandem geredet hat.“ Er habe die US-Amerikanerin angesprochen. „Das Erste, was sie gesagt hat, war, ’she killed herself’ – also ’Sie hat sich das Leben genommen’“, erzählt er: „Wenn ich daran zurückdenke, bekomme ich gleich wieder Gänsehaut.“
Er streicht sich über die Arme, bevor er fortfährt: „Ich habe sie gefragt, wen sie meint, und sie erklärte, dass ihre Tochter sich das Leben genommen habe mit 14 Jahren. Die Frau wusste nicht, warum ihre Tochter das getan hat.“
Deshalb habe die Mutter sich zu einer Pilgerreise entschieden. Dabei habe sie den ganzen Jakobsweg über die Schuhe der Tochter im Rucksack getragen. Als Weinand sie einige Tage später am Zielort wiedergetroffen habe, habe sie ihm erklärt, dass sie durch die Reise zur Ruhe gekommen sei. „Das hat mich sehr berührt“, sagt der Wallfahrer.
Welchen Pilgerweg er als nächsten bereist, weiß Weinand eigenen Aussagen zufolge noch nicht. Eins sei aber sicher: „Das Pilgern will ich nicht mehr missen. Das mache ich noch, bis dass der Tod uns scheidet.“