Ewa Schön aus Euskirchen„Ich lache und ich weine“

„Ohne die Kinder hätte ich im vergangenen Jahr 80 Prozent weniger zu lachen gehabt“, sagt Ewa Schön mit Layla (links) und Emilia.
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Euskirchen – Die Jalousien vor den raumhohen Fenstern sperren einen Großteil des Sonnenlichts aus.
Ewa Schön (35) sitzt am Esstisch in ihrem neuen Haus und sagt: „Eigentlich freut man sich ja, wenn die Sonne scheint. Aber ich kann diese sonnigen Morgen nicht ertragen. Ich assoziiere das mit dem Morgen, an dem ich als Witwe aus dem Krankenhaus kam, in dem vor einer Stunde mein Mann gestorben war.“
Die perfekte Familie
Genau ein Jahr ist vergangen, seit der Tod wie ein Blitz in Ewas bis dahin so perfektes Leben eingeschlagen hat, ein Unfall ihr den Geliebten, Freund und Geschäftspartner nahm. Ewa und Ralph, das ist das perfekte Paar. 2001 im Karneval lernen sie sich kennen. Der Techniker und die Journalistik- und Geschichtsstudentin sind sofort Feuer und Flamme füreinander.
Dreimal die Woche fährt Ralph nach Feierabend von Jülich nach Gießen, um seine Ewa zu sehen. „Ich hatte immer Angst, dass ihm unterwegs etwas passiert, und hab’ öfter gesagt, »Du willst doch heut Abend nicht schon wiederkommen«.“
Ein Jahr später beschließen die beiden, eine Firma zu gründen, C.D.E. PC-Profi in Euskirchen. Zwölf Stunden arbeiten die beiden dafür jeden Tag und entdecken, wie viel Spaß ihnen das macht. 2007 heiraten sie, 2008 kommt Tochter Emilia zur Welt. Vier Jahre später hat die Firma 15 Mitarbeiter, Ralph und Ewas Eigenheim nähert sich der Fertigstellung, das zweite Kind ist unterwegs. „Wir waren die perfekte Familie, die drei Schön-Blondis“, sagt Ewa und gesteht, dass sie ihre Glücksgefühle mitunter verborgen hat vor Freundinnen. „Da gibt es ja welche, die sind alleine oder haben eine Beziehung, die nicht so gut läuft.“
Ralph oder Ralli, wie ihn seine vielen Freunde nennen, ist auf dem Heimweg, als er aus bis heute ungeklärter Ursache mit seinem Roller stürzt und sich tödliche Kopfverletzungen zuzieht. Auch ein Freund, der ihm im Auto folgt, kann nicht erkennen, was den 33-Jährigen und seine Vespa aus dem Gleichgewicht gebracht hat.
Emilia, seine heute fünf Jahre alte Tochter, glaubt, dass ihr Papa, der mit ihr so gerne Tierdokumentationen im Fernsehen angeschaut hat, bestimmt einem Häschen ausgewichen ist. Ewa lächelt über die Phantasie ihrer Tochter.
Quälende drei Stunden
Dann erzählt sie von jenem letzten Juli-Abend im vergangenen Jahr. Wie sie gleich ein ungutes Gefühl befällt, als die Polizei vor ihrer Tür steht, um die Nachricht vom Unfall zu überbringen. Wie sie mit Schwester und Schwager und Freunden in einem winzigen Zimmer in der Bonner Universitätsklinik wartet. Quälende drei Stunden vergehen, in denen die Ärzte den Verunglückten operieren. Stunden, in denen die anderen sagen: „Der Ralph schafft das, ganz bestimmt. Der Ralph stirbt doch nicht, nicht der Ralph.“ Doch Ewas Bauchgefühl sagt etwas anderes, und sie behält recht. Ein junger Arzt eröffnet ihnen, dass Ralph nicht zu retten ist, noch zwanzig Minuten, vielleicht fünf Stunden zu leben hat.
Tränen steigen ihr in die hellblauen Augen, als ihre Erinnerung zu jenem Moment zurückkehrt, als sie endlich zu dem Sterbenden geführt werden.
Sie legt sich zu ihm, hält ihn ganz fest in den Armen und fleht ihn an, sie nicht zu verlassen. Es ist zwanzig vor sieben, draußen hat der erste warme Tag dieses Sommers begonnen, als das Piepsen eines Überwachungsmonitors wie im Fernsehen in einen Dauerton übergeht und eine Ärztin ihr traurig zunickt.
„Das härteste Jahr meines Lebens“
Wie bringt man einem vier Jahre alten Kind bei, dass der Vater verunglückt und gestorben ist, nie mehr nach Hause kommen wird? „Genau so“, sagt Ewa. „Natürlich habe ich ihr auch erzählt, dass ihr Papa jetzt im Himmel ist.“ Die Kleine hat vor ihr gestanden mit einem Gesichtsausdruck, den sie an ihrer Tochter noch nie gesehen hat, und hat sich an den blonden, langen Haaren gerissen. Tage später, als Emilia fragt, wann denn der Papa nach Hause kommt, wird Ewa klar, dass sie dem Mädchen die Gelegenheit geben will, den toten Vater noch ein letztes Mal zu sehen. Freunde und die Familie raten ihr ab, doch Ewa spürt, dass sie das Richtige tut.
Eine halbe Stunde verbringt sie mit Emilia am offenen Sarg. „Ich habe ununterbrochen geredet, ich weiß gar nicht, wie ich das geschafft habe. Aber die Kleine hat ihren Papa gleich geküsst. Gefragt, warum er so kalt ist, so dass ich ihr erklären konnte, dass der Papa nicht mehr in seinem Körper ist.“
Familie und Freunde legen allerlei Beigaben in den Sarg, Emilia trennt sich von ihrem Lieblingsstofftier, Ewa hat einen Schraubenzieher dabei – damit er im Himmel Computer reparieren kann. „Am Ende sah er aus wie ein geschmückter Tannenbaum“, sagt sie und lacht. Zur Beerdigung kommen 500 Menschen. Nachher sagt der Trauerredner, dass er noch nie so viele Männer hat weinen sehen.
Am ersten Todestag ihres Mannes bilanziert Ewa: „Ich habe das härteste Jahr meines Lebens hinter mir.“ Doch sie hat in dieser Zeit auch erfahren, wie eng und tragfähig ihr soziales Netz ist: Die Geburt von Tochter Layla, die Fertigstellung des Eigenheims, die Weiterführung der Firma, die ihre Existenzgrundlage ist, denn eine Witwenrente bekommt sie nicht, die Berge von Papierkram, die nicht kleiner werden wollen – bei all dem wird sie nicht allein gelassen, bekommt auch Hilfe von Menschen, von denen sie es gar nicht erwartet hätte.
Zum ersten Todestag hat Raimund Ullrich, einst Kunde, inzwischen ein Freund der Familie, ein Gedenkkonzert für Ralph in seinem Autohandel in Eiserfey organisiert. Ewa freut sich auf den Abend, an dem Ralphs Lieblingsmusik erklingen wird.Dann trübt sich ihr Blick, und sie erzählt von ihrer Trauer, von der Wut auf ihr Schicksal und von ihrem schlechten Gewissen Ralph gegenüber, weil sie ihre Lebensfreude noch genießen kann. Im Wohnzimmer hat sie ein großformatiges Foto von ihm aufgestellt. Groß, blond, strahlend, schwarze Fliege auf weißem Hemd steht er da – ein Unverwundbarer, könnte der Betrachter denken.
„Ich habe die Liebe meines Lebens verloren“
„Ich möchte, dass Layla mit seinem Bild aufwächst, weil sie ihn ja nicht kennen gelernt hat, auch wenn mir selbst der Anblick manchmal wehtut.“ Ewa geht offen mit ihrer Gefühlsachterbahn um, sie zuckt die Schultern: „Ich lache und ich weine.“ Nur Sätze wie „Du musst jetzt stark sein“ oder „Denk doch an die Kinder“ sollten in ihrer Gegenwart tunlichst nicht fallen.
„Ich habe die Liebe meines Lebens verloren, da habe ich doch wohl alles Recht der Welt, auch mal schwach zu sein.“