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DokumentarfilmEuskirchener Kamerafrau begleitet die erfolgreichsten Skifliegerinnen

Lesezeit 7 Minuten
Eine Kamerafrau läuft über einen Haufen Schnee in den Bergen.

Drei Jahre hat Martina Di Lorenzo an dem Film „Sieben Sekunden“ gearbeitet, der von der Film- und Medienstiftung NRW gefördert wurde.

Martina Di Lorenzo hat ihr Leben als Grundschullehrerin in der Schweiz aufgegeben, um einen Film über die besten deutschsprachigen Skifliegerinnen zu drehen.

Ein Mädchen steht am Abgrund und traut sich nicht. Sie schaut auf ihre roten Kinderski und die steile Skisprungschanze darunter – der Zuschauer mit ihr. „Ich mache das“, sagt sie. Ihre Stimme zittert. „Mir wird schon nichts passieren.“ Sie atmet laut. „Ich werde es tun, ich werde springen“, wiederholt sie wie ein Mantra.

Mit dem linken Ski rutscht sie plötzlich weg. Das Mädchen erschrickt und wimmert. Dann fängt sie sich. Richtet sich auf. Atmet tief. „Und los!“, sagt sie, während sie die roten Kinderski Richtung Abgrund neigt. Es gibt kein Zurück mehr. Sie rast den Abgrund hinunter, Richtung Schanze. Während sie immer schneller wird, ist das Mädchen still, fokussiert. Jetzt die Schanze! Das Mädchen hebt ab und der Zuschauer mit ihr. Ein unkontrolliertes Juchzen entfährt ihr in den wenigen Sekunden, in denen sie in der Luft ist. Dann landet sie. Und brüllt so triumphierend wie jemand, der alles gewonnen hat, was jemals zu gewinnen war.

Eva Pinkelnig wird von einer Person auf den Händen in die Luft gehoben.

Genau sieben Sekunden gleiten die Skiflieger bei ihrem Sprung durch die Luft. Diese sieben Sekunden erfordern jahrelanges Training.

So beginnt der Film „Sieben Sekunden“ von Martina Di Lorenzo. Der Dokumentarfilm begleitet die beiden erfolgreichsten deutschsprachigen Skispringerinnen Eva Pinkelnig (35) und Katharina Schmid (27) auf ihrem Weg zu ihrem ersten Skiflug. Der Unterschied zwischen dem Sprung und Flug sind Schanzengröße (ab 185 Metern) und die Zeit, die die Sportlerinnen in der Luft verbringen (Sieben Sekunden).

Sieben Sekunden: Es geht ums Skispringen und das Gefühl vom Fliegen

„In dem Film geht es ums Skispringen. Und es geht um das Gefühl zu fliegen“, sagt die Kamerafrau, Regisseurin und Produzentin des Films. Aber eigentlich gehe es um noch sehr viel mehr. Di Lorenzo führt durch ihr Euskirchener Studio, das sich auf einem Hinterhof inmitten des Industriegebiets befindet – umgeben von Autowerkstätten, Metallbau-Unternehmen, Packstationen und der Euskirchener Tafel.

Die Kamerafrau hält in ihrem Studio eine Kamera.

Martina Di Lorenzo ist Kamerafrau – als sie in diesem Beruf anfing, gab es diese Berufsbezeichnung noch nicht.

In dem Studio, das die 47-Jährige „Kreativspace“ nennt, gibt es einen Greenscreen, viele Beamer, eine provisorische Küche, Tische voller Kameras und technischem Equipment und sechs Hochbetten, aufgereiht wie in einem Landschulheim. Es riecht nach Möbelhaus. „Die Betten sind für Bandmitglieder, mit denen wir Musikvideos drehen. Aber ab und zu – wenn es spät wird – schlafen auch wir schonmal darin.“ Im Bad gibt es eine frisch renovierte Dusche, in der Küche ein Regal mit Wechselklamotten. Während der Arbeit an „Sieben Sekunden“ wurde es oft spät.

Martina Di Lorenzo kommt aus der Schweiz, arbeitet in Euskirchen und lebt in Köln

Martina Di Lorenzo kommt ursprünglich aus Einsiedeln in der Schweiz. Daher komme auch die Nähe zum Skisport, sagt sie. „Man muss sich das so vorstellen: Wenn du in der Schweiz aufwächst und im Wohnzimmer der Eltern läuft der Fernseher, dann läuft da Wintersport.“ Sie lacht. Dabei müsse man in ihrem Heimatdorf nicht einmal den Fernseher einschalten, um verschneite Berge und die weltbesten Skispringer zu sehen. Denn in Einsiedeln befinde sich das Trainingszentrum für die schweizerische Nationalmannschaft. „Andreas Küttel ist mit meinem Bruder zur Schule gegangen“, sagt Di Lorenzo. In Tschechien hatte Küttel 2009 den Weltmeistertitel für die Großschanze geholt.

„Aber ich selbst“, sagt Martina Di Lorenzo, „bin richtig unterirdisch im Skifahren – jedenfalls für eine Schweizerin“. Sie komme zwar alle Berge hinunter, besonders elegant sehe das dann aber nicht aus. „Jesses Gott. Nee, nee“, sagt sie. Das sagt sie oft. Trotz ihrer Nähe zu dem Sport wollte Di Lorenzo selbst nie Skispringerin werden. Stattdessen: Lehrerin.

Zehn Jahre hat die heute 47-Jährige an einer Grundschule in Einsiedeln unterrichtet. Ihr Leben war bequem, sie befand sich zu der Zeit in einer glücklichen Beziehung und verdiente viel Geld. Doch so richtig zufrieden hat sie das nicht gemacht. In ihr wuchs ein anderer Wunsch: „Ich wollte Kamerafrau werden – unbedingt“.

Mit 33 Jahren bewarb sich die Grundschullehrerin an der Filmhochschule

Deswegen bewarb sie sich mit 33 Jahren an der Internationalen Filmhochschule in Köln auf den Studiengang Film mit dem Schwerpunkt Kamera – und wurde angenommen. Über Nacht verlagerte Di Lorenzo ihren Lebensmittelpunkt um 600 Kilometer, nahm in Kauf, dass ihre Partnerschaft in die Brüche gehen und sie ihre gesamten Ersparnisse aufbrauchen würde. Beunruhigt hat sie das aber nicht. „Im Gegenteil: Ich war vollkommen begeistert!“

Eine Kamerafrau filmt Eva Pinkelnig und Katharina Schmid auf einem Boot.

Martina Di Lorenzo filmt Eva Pinkelnig und Katharina Schmid auf einem Boot. Später wird die gemeinsame Bootsfahrt der Konkurrentinnen eine der Lieblingsszenen der Kamerafrau werden.

Doch bald fiel ihr auf, dass man es nicht leicht hatte, wenn man unbedingt Kameramann werden will, aber eine Frau ist: „Als ich angefangen habe, gab es noch nicht mal eine Berufsbezeichnung für mich.“ Mit dem Begriff „Kameramenschen“ hätten die Dozenten sich dann eine Weile beholfen, als sie die jungen Studentinnen in ihren Seminaren sahen. Albern fand Di Lorenzo das. „Ich bin natürlich eine Kamerafrau.“

Und es seien nicht nur die Begrifflichkeiten, sondern auch das Equipment, das für Frauen einfach nicht ausgelegt war. „Die Gurte sind meistens zu groß und zu breit. Und schnüren die Brust ab.“ Doch das Schlimmste: „Ich fühlte mich nie richtig ernst genommen.“

Um an das Ansehen eines Mannes in dem Beruf heranzukommen, müsse eine Frau sich immer fünfmal mehr anstrengen, sagt Di Lorenzo. „Ich bin eine Feministin geworden. Doch, ich glaube, das kann man sagen“, sagt Di Lorenzo vorsichtig. Das ist nicht zuletzt dem Film zu verdanken, für den sie in den vergangenen vier Jahren recherchiert hat.

Die Skispringerin sitzt gemeinsam mit anderen auf einer Bank.

Katharina Schmid ist vor ihrem Sprung in sich gekehrt.

„Es ist mir ein bisschen peinlich, aber ich habe lange nicht gewusst, dass es überhaupt weibliche Skispringerinnen gibt“, sagt sie. „Das kriegt man überhaupt nicht mit – nicht einmal, wenn jeden Mittag Wintersport im Fernsehen läuft.“ Das liege unter anderem daran, dass Frauen lange Zeit nur zweimal pro Saison auf der Großschanze starten durften.

Skifliegerinnen müssen sich ihren Platz in einer Männerdomäne erkämpfen

Bei der Recherche für den Film fiel ihr auf, dass es sich mit den Skispringerinnen verhält wie mit den Kamerafrauen. Beide müssen sich Stück für Stück ihren Platz in einer Männerdomäne erkämpfen – und das nicht ohne Gegenwind. Während Di Lorenzo immer wieder halb mitleidig gefragt wurde, ob sie denn überhaupt eine Kamera halten könne, wurden die weltbesten Skispringerinnen immer wieder gewarnt – wegen ihres zu schwachen Körpers.

Unter dem Aspekt der Sicherheit habe man Skispringerinnen lange von der Großschanze ferngehalten: Frauen haben nicht genug Muskeln, habe es immer wieder geheißen, erklärt Di Lorenzo. Sie müssten mehr Schwung nehmen, um genauso weit zu fliegen wie die Männer. Und dann sei auch die Gefahr für Verletzungen größer. Außerdem seien ihre Knie anfälliger. Und an bestimmten Tagen des Zyklus einer Frau sei die Sturzgefahr besonders groß. Di Lorenzo schnaubt. „Ob das stimmt, weiß ich nicht.“ Es gebe diese älteren Studien und eine neuere aus Norwegen, die das alles widerlege.

Aus Norwegen stamme auch Skispringerin Silje Opseth, die im vergangenen Jahr zweimal sprang. Das erste Mal stürzte sie und verletzte sich im Gesicht. Dann trat sie erneut an – mit blutendem Gesicht. Und knackte die Bestmarke. „Das ist genau das, was mich an diesen Frauen so fasziniert“, sagt Di Lorenzo. „Diese Frauen wollen dieses Gefühl vom Fliegen genauso haben wie die Männer – sie wollen es unbedingt und nehmen dafür alles in Kauf.“ Darauf richteten diese Frauen ihr ganzes Leben aus.

Katharina Schmid hält eine Medaille in die Luft.

Im vergangenen Jahr sprang Schmid noch unter dem Namen „Althaus“.

Ein Moment, sagt Martina Di Lorenzo, gehe ihr nicht aus dem Kopf. An dem Tag, an dem Katharina Schmid beim Skiflug-Weltcup nach nur ein paar Sekunden in der Luft landete, hatte sie danach zu der Kamerafrau gesagt: „Das soll es jetzt schon gewesen sein?“ Geknackt hatte sie die Marke nicht. Schmid widmete sich sofort wieder ihrem Training.

„Das hat mich inspiriert“, sagt die Produzentin. Sie verstehe das. Es sei dasselbe mit ihrem Film. Jahrelang habe sie wie besessen daran gearbeitet. Ihren gut bezahlten Lehrerjob aufgegeben, um anschließend nicht mehr zu verdienen als 1200 Euro im Monat mit Zusatzjobs. Sie fürchte sich jeden Abend beim Zubettgehen vor Altersarmut. Sie lebe mit einer ständigen Ungewissheit, ob das, was sie gerade mache, auch erfolgreich sein werde. Sie hasse es, mit fast 50 noch so zu leben wie eine Studentin. „Manchmal bin ich einfach nur noch müde und mir tut die Schulter weh. Und ich will bloß noch ein eigenes Bett und eine Toilette.“

Aber, sagt Martina Di Lorenzo, wenn man das tue, was man unbedingt tun möchte, und einfach dranbleibe, selbst wenn man nicht mit Erfolg rechnen könne, dann lohne sich das. „Irgendwas an der ganzen Sache gibt mir so viel, dass ich sie einfach machen muss.“ Deswegen gehe sie nicht zurück in die Schweiz, um Geld zu verdienen und in Ruhe alt zu werden. Und deswegen blieben auch Schmid und Pinkelnig hartnäckig. Den ganzen Unterschied machten manchmal eben nur diese magischen sieben Sekunden.


Filmpremiere

Am 28. Mai feiert der Film Deutschlandpremiere in Oberstdorf. Auch in Köln und Aachen wird er einige Wochen später laufen. Das genaue Datum steht noch nicht fest.